Martin Janssen: «Diese Too-Big-To-Fail-Studie ist politisch motiviert»
Geschäftsbanken, im Unterschied zu Privatbanken, tragen in ihrem Geschäftsmodell inhärente Risiken, die im Extremfall zum Untergang eines Instituts führen können. Solange diese Risiken ausschliesslich Gläubiger oder Anteilseigner betreffen, sind die Risiken mit jenen anderer Dienstleister vergleichbar und werden vom Markt durch Transparenz und die Informationswirkung der Marktpreise effizient gesteuert.
Anders verhält es sich, wenn aufgrund der Systemrelevanz einer Bank Verluste möglicherweise von der Gesellschaft getragen werden müssen und das Institut gleichzeitig seine eigene Verlustwahrscheinlichkeit – etwa über die Höhe des Eigenkapitals – beeinflussen kann. In diesem Fall stellen sich Optimierungsfragen zu Art und Umfang staatlicher Eingriffe.
Ökonomische Perspektive
In der ökonomischen Theorie und Praxis werden solche Eingriffe auf der Basis einer Kosten-Nutzen-Analyse beurteilt. Diese Logik findet sich auch in Art. 170 der Bundesverfassung, wonach «Massnahmen des Bundes auf ihre Wirksamkeit überprüft werden». Dabei muss für alle neuen Gesetze und Verordnungen eine Regulierungsfolgenabschätzung (RFA) vorgenommen werden.
Im «Handbuch Regulierungsfolgenabschätzung» des Bundes vom 1. April 2024 steht auf Seite 4: «Dabei nimmt die RFA eine ökonomische Perspektive ein: Dies bedeutet insbesondere, dass die Auswirkungen in ökonomischen Dimensionen (insbesondere Kosten, Nutzen, Verteilungswirkungen) analysiert und dargestellt werden.»
Hohe Standards nötig
In einfachen Fällen schätzt man bei einer Kosten-Nutzen-Analyse die Veränderungen von Produzenten- und Konsumentenrenten solcher Staatseingriffe. In komplexeren Fällen führt man diese Analysen im Rahmen eines «Paketansatzes» durch, der sich auf Transparenz, Marktinformationen, internationale Vergleiche und Wettbewerb abstützt. Wenn man dann feststellt, dass der erwartete Nutzen solcher Massnahmen die erwarteten Kosten deutlich übertrifft, gibt es Gründe, Massnahmen zu ergreifen.
Geht es – im konkreten Fall – um die Kapitalisierung systemrelevanter Banken, im Besonderen der UBS, müssen solche Analysen nicht nur wegen der volkswirtschaftlichen Bedeutung, sondern auch wegen der internationalen Visibilität hohe Standards erfüllen: Sie müssen die erwähnten wissenschaftlichen Anforderungen erfüllen und dürfen nicht politisch ausgerichtet sein.
Umsetzung des PUK-Berichts
Das Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) führt zurzeit eine Regulierungsfolgenabschätzung zur Umsetzung der Massnahmen aus dem PUK-Bericht1 durch. In diesem Zusammenhang wurde ein Auftrag an eine verwaltungsexterne Firma vergeben, die «Auswirkungen auf die Gesamtwirtschaft», im Besonderen «auf den Schweizer Finanzmarkt», zu prüfen.
Es lohnt sich, diese Studie2 aus volkswirtschaftlicher und methodischer Sicht zu lesen und festzustellen, wie der Bundesrat glaubt, mit der Frage nach der Finanzierung von TBTF-Banken umgehen zu können.
Die Studie
Die Studie hält eingangs fest: «Dieser Bericht analysiert die Auswirkungen der geplanten Revision des Too-Big-To-Fail-Dispositivs im Hinblick auf dessen gesetzliche Ziele: die Verminderung von Risiken für die Stabilität des schweizerischen Finanzsystems, die Gewährleistung der Fortführung volkswirtschaftlich wichtiger Funktionen und die Vermeidung von staatlichen Beihilfen.»3
Es fällt an der Studie sofort auf, dass keine Art quantitativer Kosten-Nutzen-Analyse, weder eine Schätzung von Veränderungen von Konsumenten- und Produzentenrenten noch eine integrierte Schätzung der Wirkungen staatlicher Massnahmen, vorgenommen wird.
Nach dieser Feststellung fragt man sich, welche Methode die Autoren anwenden, um die Wirkungen staatlicher Massnahmen zu beurteilen. Ganz früh in der Studie machen die Autoren dazu eine weitere Einschränkung: «Wir fokussieren… ausschliesslich auf die unmittelbare Wirkung der Massnahmen im Hinblick auf das jeweilige Ziel.»4
Unaufgelöster Widerspruch
Das bedeutet, dass Massnahmen nur auf jenes Ziel hin diskutiert werden, das mit einer gewissen Massnahme direkt angesprochen wird. Dabei vernachlässigen die Autoren die möglichen Nebenwirkungen solcher Eingriffe – vergleichbar mit unbeabsichtigten Effekten medizinischer Behandlungen –, die ökonomisch relevanter sein können als die beabsichtigten Hauptwirkungen. Dass diese Selbstbeschränkung unhaltbar ist, wissen die Autoren: «Die Effektivität einzelner Massnahmen lässt sich kaum beurteilen, ohne das Zusammenspiel mit anderen Massnahmen zu berücksichtigen.5»
Dieser Widerspruch wird im Bericht nicht aufgelöst.
Politische Priorisierung
Die Autoren schwächen ihren Anspruch an ihre Studie weiter ab und halten fest6, dass sie sich «auf die Massnahmen konzentrieren, die vom Bundesrat als besonders relevant eingestuft werden». Das heisst, dass die Diskussion der Massnahmen nicht aufgrund ökonomischer Kriterien, sondern gemäss politischer Priorisierung erfolgt. Die Autoren führen dazu Literaturstudien durch und führen «Gespräche mit national und international renommierten Expertinnen und Experten. 7»
Auf eine systematische oder quantitative Regulierungsfolgenabschätzung im ökonomischen Sinn wird verzichtet.
Warum diese Studie?
Hinsichtlich des Verzichts auf eine Kosten-Nutzen-Analyse sind die Autoren konsequent:
- «Der Bericht liefert keine grundsätzliche Einschätzung dazu, ob TBTF-Regulierungen Sinn machen8». (Das wäre genau der zentrale Bestandteil einer Regulierungsfolgenabschätzung.)
- «Wir nehmen nicht dazu Stellung, ob die Schweiz von grossen, systemrelevanten Banken in Summe profitiert – ob also die angebotenen Dienstleistungen grosser Banken für Schweizer Unternehmen und für den Schweizer Finanzplatz einen wesentlichen Mehrwert schaffen, der allfällige Risiken aufwiegt.»9 (Eigentlich ginge es bei einer Kosten-Nutzen-Analyse um Veränderungen der Kosten- und Nutzen-Elemente aufgrund staatlicher Massnahmen, nicht der Bestände.)
Es stellt sich entsprechend die Frage, warum eine Studie, in der weder der Nutzen noch die Risiken systemrelevanter Banken angesprochen werden, als «Beitrag zu einer Regulierungsfolgenabschätzung» bezeichnet wird. Der politische Hintergrund der Studie tritt auch dort zutage, wo die Autoren unter dem Titel «Verantwortlichkeitsregime (M2)»10 schreiben: «In den allermeisten Fällen tragen aber Managementfehler und übermässige Risikonahme einzelner Mitarbeiter zur Entstehung (von Krisen) bei.»
Systemischer Charakter wird verkannt
Diese Sichtweise greift zu kurz, weil sie die TBTF-Problematik (in den allermeisten Fällen) auf individuelles Fehlverhalten reduziert und deren systemischen Charakter verkennt. Ex post erscheinen Fehlentscheidungen immer offensichtlich; ex ante jedoch ist das Risikoverhalten Ergebnis komplexer Anreiz- und Informationsstrukturen.
Wäre die Sicht der Studie zutreffend, könnte man «Managementfehler» und «übermässige Risikonahme», was immer das «ex ante» ist, mit staatlicher Regulierung vermeiden. Dann müsste man sagen: Wüssten Regulatoren und Berater tatsächlich, wie man eine Grossbank führt, sollten sie es versuchen.
Schlussbemerkungen
Die Gestaltung und Handhabung des TBTF-Dispositivs sind für die Zukunft des Finanzplatzes Schweiz von zentraler Bedeutung.
Es wäre daher wünschenswert, wenn die Schweiz im Rahmen künftiger Analysen ökonomisch fundierte Entscheidungsgrundlagen schaffen würde, am besten durch einen integrierten Ansatz, der auf Transparenz, Marktbeobachtung, internationale Vergleichbarkeit und klare Wettbewerbsregeln setzt, um so Kosten und Nutzen staatlicher Massnahmen abschätzen zu können.
Ohne nachvollziehbare, methodische Basis
Nur auf einer solchen wissenschaftlich sauberen Grundlage lässt sich beurteilen, ob etwa höhere Kapitalanforderungen für die UBS sinnvoll sind oder ob andere Massnahmen den grösseren Beitrag zur Finanzstabilität leisten würden. Eine impressionistische oder politisch motivierte Handhabung des Themas ohne nachvollziehbare methodische Basis wird der Tragweite und Komplexität der Problematik nicht gerecht.
1 Bericht der Parlamentarischen Untersuchungskommission: «Die Geschäftsführung der Bundesbehörden im Kontext der CS-Krise» vom 17. Dezember 2024, 57 Seiten.
2 Auswirkungen der TBTF-Regulierung: Beitrag zu einer Regulierungsfolgenabschätzung der BSS Volkswirtschaftliche Beratung, Basel, vom 11. September 2025, 57 Seiten.
3 Studie, S. 4.
4 Studie, S. 6.
5 Studie, S. 46.
6Studie, S. 6.
7 Studie, S. 6.
8 Studie, S. 7.
9 Studie, S. 7.
10 Studie S. 14
Martin Janssen ist Unternehmer (ECOFIN-Gruppe). Er war langjähriger Professor für Volkswirtschaftslehre und Finanzmarktökonomie an der Universität Zürich.













