Jesuiten, Absinth, Minarette, Abzockerei – wozu die Bundesverfassung taugt und wozu nicht. Von Christoph Winzeler, Schweizerische Bankiervereinigung.

Christoph_Winzeler_119x178Christoph Winzeler ist Leiter Finanzmarktrecht/Netting bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Manchmal – in stürmischen Zeiten – pflegt das Volk ein Problem nicht zu lösen, sondern mit einem Verfassungsartikel dagegen zu demonstrieren. Die Schweizer Geschichte singt ein Lied davon. Rekordhalter ist das Jesuitenverbot: Es stand während 125 Jahren in der Verfassung (1848–1973).

Als weiteres Beispiel wäre das Verbot «des unter dem Namen Absinth bekannten Likörs» zu nennen (1908–2005). Letzter Streich dieser Art ist das Minarettverbot vom 29. November 2009.

Solche Verfassungsartikel dienen dem Protest, nicht einem rationalen Ziel, und sie schaffen mehr Probleme, als sie zu lösen vorgeben.

In die Verfassung gehören Prinzipien

Jüngstes Beispiel für diese Art von Politik ist Thomas Minders Volksinitiative «Gegen die Abzockerei», über die am 3. März 2013 abzustimmen sein wird.

Nun respektiere ich die Meinung des Initianten über gewisse Fehlentwicklungen und Missbräuche in der Wirtschaft. Was ich jedoch nicht verstehe, ist die Borniertheit, mit der sich der Initiant und sein Komitee weigerten, ihren Text zugunsten des ausgereifteren, durchdachteren Gegenvorschlags der Bundesversammlung zurückzuziehen. Denn leider ist der Initiativtext weder ausgereift noch durchdacht, sondern kontraproduktiv, und er würde der Schweiz als Unternehmensstandort schaden.

In eine Verfassung gehören langfristig trag- und entwicklungsfähige Prinzipien, keine Details und schon gar nicht, wenn sie einen so rapide im Wandel stehenden Bereich wie das Wirtschaftsrecht betreffen.

Fehl am Platz sind dort auch strafrechtliche Normen, wie etwa die Odyssee der Ausschaffungsinitiative zeigt. Sie gehören in ein Gesetz, das sorgfältig auszuarbeiten ist und, wenn nötig, später mit vernünftigem Aufwand neuen Realitäten angepasst werden kann.

Wo der Initiativtext dem Gegenvorschlag unterlegen ist

Dies darf sich ein Strafrechtler wie Martin Killias, der an die abschreckende Wirkung der verlangten Strafnorm glaubt, von einem Verfassungsrechtler sagen lassen. Übrigens hat die Aufhebung des von Anbeginn verfehlten Jesuitenverbots 125 Jahre gebraucht ...

Dass der Initiativtext dem Gegenvorschlag unterlegen ist, möchte ich an zwei Beispielen aufzeigen.

• Thomas Minder auferlegt den Pensionskassen – ausschliesslich ihnen! – einen Stimmzwang in der Generalversammlung der Aktiengesellschaften, deren Titel sie halten. Demgegenüber verlangen die neuen, im Zusammenhang mit dem Gegenvorschlag zu lesenden Richtlinien für Institutionelle Investoren von Economiesuisse, ASIP, Ethos, Schweizerischer Bankiervereinigung und SwissHoldings eine Teilnahme nur, soweit sie möglich und verhältnismässig ist. Wo eine Pensionskasse das Vermögen lediglich indirekt, etwa über eine Kollektivanlage in die Gesellschaft investiert hat, ist ihr die Teilnahme oft gar nicht möglich. Solchen Realitäten trägt der Gegenvorschlag Rechnung.

• Dafür erfassen die Richtlinien handkehrum nicht nur Pensionskassen (wie Minder), sondern alle «Investoren, die berufsmässig Beteiligungspapiere treuhänderisch für Anleger halten», also auch Investmentstiftungen, Kollektivanlagen, Staatsfonds und Versicherungen. Anders lautende Behauptungen gehören ins Reich der Fabel, eine Literaturgattung, die jüngst durch Paolo Bernasconi einen bemerkenswerten Primeur erhalten hat.

Wer das Problem «Abzockerei» mit Aussicht auf Erfolg angehen will, muss einen vergleichenden Blick auch ins Ausland werfen, zur Demagogie der Initiative Nein sagen und so dem viel effizienteren Gegenvorschlag zum Durchbruch verhelfen.