Die Genfer Privatbank Pictet wird zwar nie ein anderes Institut übernehmen. Dennoch sieht der Zürcher Private-Banking-Chef Victor Aerni in der Konsolidierung enorme Möglichkeiten.

Victor Aerni (Bild) war nicht immer Bankier. Der heute 46-jährige Aargauer aus Baden studierte Wirtschaftswissenschaften – in Japan – und stieg 1992 bei der weltweit tätigen Boston Consulting Group (BCG) ins Beratungsgeschäft ein, wo er bereits 31-jährig Partner wurde.

Als BCG-Berater beschäftigte er sich nach und nach mit der Finanzbranche, so dass es letztlich doch ein nachvollziehbarer Schritt war, dass Aerni kurz vor seinem 40. Geburtstag die Fronten wechselte und bei dem Genfer Finanzinstitut Pictet Chef für das Private Banking in der Deutschschweiz (an den Standorten Zürich und Basel) wurde.

Gut möglich, dass ihm dabei auch seine vielseitigen Sprachkenntnisse zugute kamen. Der Sohn einer Spanierin und eines Schweizers spricht Deutsch, Spanisch, Französisch, Italienisch, Englisch und Japanisch.

Grosse Veränderungen

Der Einstieg 2009 war aus mindestens zwei Gründen trotzdem nicht ganz einfach, wie Aerni im Gespräch mit finews.ch einräumt. Zum einen musste sich der Quereinsteiger in einem von einer grossen Tradition zehrenden Institut zuerst einmal zurecht finden, und zum andern heuerte er, just zu einem Zeitpunkt im Banking an, als dieses regelrecht in Aufruhr geraten war. Inzwischen sagen manche Arbeitskollegen Aernis, die seit mehr als 40 Jahren bei Pictet arbeiten, die vergangenen fünf Jahre hätten mehr Veränderungen gebracht, als die 35 zuvor.

Dass sich Aerni dennoch etablieren und jene Glaubwürdigkeit erringen konnte, um ein Unternehmen oder zumindest einen Teil davon zu leiten, hängt stark von den Werten ab, die im Hause Pictet gelebt werden: Unabhängigkeit, Integrität, Exzellenz und Respekt, wie Aerni aufzählt.

Bloss kein Bonus-Denken

«Was wir machen, soll nachhaltig und nicht getrieben sein von einem Bonus-Denken», bekräftigt der Bankier. Und tatsächlich ist Pictet wohl eine jener letzten (Finanz-)Bastionen, die von integren Partnern geführt wird, respektvoll mit den Beschäftigten umgeht und eben höchst Ansprüche – nämlich Exzellenz – an die gebotenen Dienstleistungen stellt.

Daran hält sich auch Aerni und sagt im Gespräch weiter: «Eine Bank ist heute mehr als nur ein Unternehmen, das Geld verwaltet. Eine Bank ist so etwas wie eine professionelle Service-Firma, die sämtliche Ansprüche abdeckt, die jemand in finanziellen Belangen stellt. Und für solche Leute wollen wir die erste Adresse sein.» Im gleichen Atemzug betont der Zürcher Wealth-Management-Chef von Pictet aber auch, dass seine Bank nicht alles mache – kein Investmentbanking, kein Corporate Banking, keine Hypotheken.

Aerni ist überzeugt, gerade mit diesem Mut zur Lücke die Kernkompetenz der Bank, nämlich das Verwalten und Investieren von Geld, zu schärfen – «eine Tätigkeit», sagt er, «bei der wir auf Grund unserer klaren Fokussierung enorm in die Tiefe gehen können.» Doch ist das, was in der Theorie so gut klingt, auch in der Praxis wirklich umsetzbar?

Wie schweizerisch noch?

Pictet, 1805 gegründet, hat allein in den vergangenen fünf Jahren vermutlich den weitesten Weg zurückgelegt. Das Institut, einst Inbegriff des schweizerischen Privatbankenwesens, wo einzelne Gesellschafter unbeschränkt mit ihrem Vermögen für die Verbindlichkeiten des Hauses hafteten, hat sich zu einer diversifizierten und höchst international ausgerichteten Kommandit-Aktiengesellschaft gewandelt, die neben dem klassischen Private Banking auch Asset Management, also Vermögensverwaltung für institutionelle Anleger, anbietet und darüber hinaus auch Zusatzleistungen (Asset-Services) im Zusammenhang mit grossen Vermögen.

Wie schweizerisch Pictet heute wirklich noch ist, lässt sich nicht so einfach beantworten, wie auch Aerni feststellt. Natürlich habe die Bank ihre Wurzeln in Genf, doch sie sei auch gezwungen, neue Standorte im Ausland zu eröffnen – und diese aus regulatorischen Gründen erst noch mit viel Kapital zu unterlegen – um überhaupt Geschäfte heutzutage tätigen zu können.

Insofern werde das klassische Offshore-Banking zunehmend durch die Betreuung der Kunden an ihrem Wohnsitz (onshore) ergänzt, was wiederum dazu führe, dass selbst eine urschweizerische Bank wie Pictet zunehmend international werde.

Vermögensverwaltung wird immer kostspieliger

Diese Entwicklung in der Bankbranche hat generell zur Folge, dass die so genannten «costs for doing business» laufend zunehmen, wie Aerni im Gespräch mehrmals betont. Mit anderen Worten, das Geld anderer Leute zu verwalten, wird immer kostspieliger.

Vor einigen Jahren, erinnert sich Aerni, habe es noch geheissen, eine Bank brauche mindestens 20 Milliarden Franken an verwalteten Kundendepots, um die kritische Grösse zu besitzen. Heute liege diese Grenze wohl schon über 50 Milliarden Franken, betont er.

Unter diesen Prämissen hat es Pictet gut, denn die Bank verwaltet gemäss zuletzt verfügbaren Zahlen insgesamt 435 Milliarden Franken an Kundengeldern (eine Aktualisierung folgt Ende August 2015) – und ist damit die grösste Privatbank der Schweiz; nur die Wealth-Management-Einheiten der beiden Schweizer Grossbanken weisen noch höhere Depotvolumen aus.

Klare Maxime

Darüber hinaus verfügt Pictet – dies im Gegensatz zu UBS und CS – über eine enorm dicke Eigenkapitaldecke (21,3 Prozent Tier 1), was zum einen eine grosse Sicherheit bietet, aber auch Chancen eröffnen würde, andere Institute zu übernehmen – was angesichts der derzeitigen Konsolidierung in der Schweizer Bankbranche ein heisses Thema ist. Doch Aerni winkt ab.

Pictet übernimmt keine anderen Banken. So lautet die Maxime des Hauses. Der Grund: Das Institut will sich keine unnötigen Risiken aufbürden. Dies würden die Kunden nicht goutieren. Denn Tatsache ist, dass jede Übernahme mit Unwägbarkeiten verbunden ist, sei es in der Qualität der Kundendepots, unter den Mitarbeitern oder bei der Integration des erworbenen Instituts. Ausserdem verfüge Pictet bereits über eine funktionierende IT und alle erforderlichen Abwicklungsprozesse, ergänzt Aerni. Eine Akquisition würde zu vielen Doppelspurigkeiten führen.

Davon profitiert Pictet

Und trotzdem sieht der Zürcher Private-Banking-Chef von Pictet eine «Riesenchance» in der Konsolidierung auf dem Schweizer Bankenplatz. Denn nicht alle Kunden und Mitarbeiter würden Übernahmen positiv beurteilen. Im Gegenteil, viele von ihnen suchen in solchen Fällen das Weite. «Und davon profitiert Pictet», sagt Aerni, «wenn Leute sagen, ah, da gibt es ja noch eine Bank namens Pictet.»

Von diesem Nimbus oder zumindest von diesem guten Ruf als Anlaufstelle oder auch Auffangbecken konnte Pictet besonders in den vergangenen fünf Jahren profitieren, sowohl was qualifizierte Leute als auch neue Kundengelder anbelangt.

Zwar erwähnt es Aerni nicht gerne, doch Tatsache ist, dass es ihm seit seinem Einstieg bei Pictet in Zürich gelungen ist, die verwalteten Kundengelder mehr als zu verdoppeln. Wie hoch diese Depots nun sind, will er allerdings nicht verraten. Hier schimmert noch etwas von der einstigen noblen Zurückhaltung durch.

Schätzungen in der Branche gehen indessen davon aus, dass rund 15 Prozent aller Pictet-Kundengelder (Private Banking, Asset Management und Global Custody) in Zürich gebucht sind – vermutlich gut 60 Milliarden Franken. In Zürich arbeiten rund 110 Personen.

Wachstum wird schwieriger

Dass es schwierig werden dürfte, das bisherige Wachstum zu halten – von übertreffen ist gar nicht erst die Rede, ist sich Aerni selber am besten bewusst. Doch im Gespräch gibt er sich durchaus entspannt und versichert, der Finanzplatz Schweiz und damit auch dessen Banken hätten eine gute Zukunft.

Allerdings werde der Erfolg nicht mehr auf steuerlicher Arbitrage mit dem Ausland beruhen, wie dies in der Vergangenheit der Fall war, sondern auf der Kompetenz, die eine Bank ihren Kunden bieten könne. «Darin liegt der Kern der Transformation», sagt Aerni, «und dafür braucht man genügend Mittel, die besten Leute und die effizientesten Prozesse überhaupt. Das muss der Anspruch sein.»

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