Der Schweizer Finanzplatz benötigt einen enormen Innovationsschub, sagen Deloitte-CEO Reto Savoia und Banken-Partner Jean-Francois Lagassé im Interview mit finews.ch. Die Hausaufgaben müssten gemacht werden – und die Konsolidierung schreite weiter voran.


Herr Savoia, der Schweizer Finanzsektor ist ein relevanter Teil der Schweizer Wirtschaft. Wie ist Ihre Prognose: Wird seine Bedeutung eher ab- oder zunehmen?

Wenn Sie mich vor der Corona-Pandemie gefragt hätten, wäre meine Antwort gewesen: Trotz unbestrittener Stärken wie im internationalen Private Banking wird der Finanzsektor im Verhältnis zu den Sektoren Life Science, Technologie und Industrie eher an Bedeutung verlieren.

Also hat Corona eine Trendwende verursacht?

Ja. Die Relevanz des Schweizer Finanzsektors als Teil der Gesamtwirtschaft hat in meinen Augen wieder zugenommen. Die Banken haben in dieser Krise ihre Bedeutung artikuliert und sich als Teil einer Gesamtlösung beweisen können. Damit hat der Finanzsektor in der Debatte um die Zukunft der Schweizer Wirtschaft sicherlich wieder mehr Gewicht erhalten.

Zumal sich auch die Versicherer als nachhaltig stark erwiesen haben. Ich möchte anmerken, dass der Ruf der Schweizer Finanzindustrie im Ausland nach wie vor hervorragend ist. Jedenfalls deutlich besser, als hierzulande teilweise angenommen wird.

Im vergangenen Jahrzehnt waren vor allem Regulierung und Digitalisierung die treibenden Kräfte im Finanzsektor. Was sind die künftigen Treiber?

Meine Theorie ist, dass die globalen Unsicherheiten und wirtschaftlichen Turbulenzen anhalten werden und gleichzeitig neue Kundengewohnheiten sowie Digitalisierung weiterhin die disruptiven Elemente für den Finanzsektor darstellen. Banken und Versicherer werden diese disruptiven Herausforderungen meistern müssen. Gelingt dies, kann die Schweiz ihre Vorzüge als sicherer Hafen mit einer stabilen Währung und Rechtssicherheit weiter akzentuieren, was vor allem für das Wealth Management positive Auswirkungen haben wird.

Das würde aber gleichzeitig ein Risiko für den Ruf der Schweiz bedeuten. Wir wollen ja keinesfalls mehr als Hort von unversteuerten Geldern angesehen sein.

Das muss kein Risiko für den Ruf des Bankenplatzes sein. Aus unseren Kontakten mit einer internationalen und vermögenden Klientel geht klar hervor, dass es zunehmend Sicherheitsaspekte sind, die zur Wahl einer Schweizer Privatbank und damit einhergehend einer stabilen Währung führen.

«Das können wir uns nicht leisten»

Daten zeigen übrigens auch, dass verschiedene Kunden ihre Gelder korrekt versteuert in der Schweiz verwalten lassen. Dies allein, weil sie die stabilen Verhältnisse vorziehen. Insofern sind die Schweizer Banken für Wachstum gut positioniert – wenn wir unsere Hausaufgaben machen.

Welche sind das?

Wir dürfen die Schweizer Wirtschaft nicht überregulieren. Im internationalen Vergleich hat die Schweiz in vielen regulatorischen Bereichen immer noch einen Vorsprung. Aber der schmilzt. Das können wir uns angesichts der hohen Personalkosten, die insbesondere auch die Banken hier in der Schweiz haben, nicht leisten. Ich denke aber auch an Nachhaltigkeit: Wenn sich Schweizer Banken hier einen Vorsprung erarbeiten, ist dies nicht nur dem Wachstum, sondern auch der Reputation des Finanzplatzes förderlich.

Man erhält den Eindruck, dass in der Finanz- und Bankenindustrie «softere» Themen wie Nachhaltigkeit, Diversity und neue Arbeitswelten plötzlich ganz oben auf der Agenda stehen. Beeinflusst dies Ihre Beratertätigkeit?

Der Eindruck täuscht nicht ganz. Ich denke, dass sich die neue Generation von Arbeitskräften und Kunden viel stärker die Frage nach dem Nutzen und Wirken ihrer Tätigkeit – oder Investments – stellt. Damit geraten nicht nur die Banken unter Druck, sondern auch wir als Berater müssen Antworten liefern, wie eine Bank oder ein Arbeitgeber im Allgemeinen für Top-Talente relevant und attraktiv bleiben kann.

«Früher waren solche Themen eher 'nice to have'»

Wir sehen darin eine grössere Veränderung: Waren früher solche Themen gerade im Hochlohnland Schweiz eher ‘nice to have’, so hat sich das eindeutig geändert. Das Gleiche gilt für Kunden, die nun vielfach hohe Anforderungen an einen Finanzdienstleister stellen, was dessen Diversity-Strategie betrifft. Das war vor zwei Jahren noch nicht der Fall.

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