Die Stiftung für Konsumentenschutz befinde sich auf einem völligen Irrweg mit ihrer Vorstellung von Anlegerschutz, findet der Schweizer Finanzprofessor Maurice Pedergnana.


Maurice Pedergnana ist Professor an der Hochschule Luzern – Wirtschaft; Chefökonom der Zugerberg Finanz sowie Geschäftsführer der SECA Swiss Private Equity and Corporate Finance Association. Er schreibt regelmässig für finews.ch.

Leider hat sich jüngst eine wahre Geschichte ereignet, die mittlerweile zum Alltag im Banking geworden ist. Es soll dies nicht nur eine Lehre für diejenigen Privatanleger sein, die glauben, mit der Komplexität von modernen Kapitalmarktinstrumenten locker umgehen zu können.

Anderseits müsste es auch der Stiftung für Konsumentenschutz einleuchten, dass sie sich auf einem Irrweg mit ihrer Vorstellung von Anlegerschutz befinden. Aber eins nach dem andern.

Mehrseitiger Fragebogen

Elisabeth Hiller, Mitte 60, hat das geerbte Elternhaus verkauft und wurde nach der Handänderung von der Bank kontaktiert. Man habe gute Renditemöglichkeiten. Gewohnt, in der Grössenordnung der üblichen 10'000 und 20'000 Franken Kassaobligationen mit der eigenen Bank abzuwickeln, liess sie sich auf einen Gesprächstermin ein.

Die Anlegerin, gleichermassen konservativ in ihrer Lebenseinstellung ebenso wie in ihren Anlagevorstellungen, wurde zunächst mit einem mehrseitigen Fragebogen konfrontiert. Ordnungsgemäss wurde sie mit der empathischen Aufmerksamkeit eines Verhörrichters abgefragt, wie sie mit einem Verlust von 10 Prozent, 20 Prozent und 40 Prozent umgehen würde.

Ziemlich blöd

Sie wolle überhaupt keinen Verlust und fände diese Fragerei ziemlich blöd und weltfremd, baffte sie leise vor sich hin. Und machte schliesslich doch ein paar Kreuze bei der Mehrfachantwortauswahl, aus denen letztlich allerdings keine Konsistenz abgeleitet werden konnte.

Aber ohne diesen Schritt hätte sie die nächste Gesprächsphase überhaupt nicht erst antreten dürfen. Ordnung muss sein, dafür hat sich der Regulator entschieden – natürlich ohne je selbst ein Kundengespräch durchgeführt und protokolliert zu haben. Endlich konnte das Beratungsgespräch doch noch auf gewisse Inhalte gelenkt werden.

Lesen Sie die Packungsbeilage

Von vielen Begriffen verstand sie nichts, und hatte sich bald einige umgangssprachlich verständliche Begriffe gewünscht. Stattdessen wurde sie mit statistischen Formeln und mathematischen Abbildungen, gespickt mit einer Reihe von unverständlichen Finanzkennzahlen (UCITS-konforme KIID, Tracking Error, RFR, Sharpe Ratio, Alpha, Beta, Information Ratio, Benchmark, Volatilität sowie R- und I-Tranche usw.) sowie einem zweiseitigen «Disclaimer» abgespiesen.

Das sei halt der moderne Anlegerschutz, wie ihn die Bankenaufsicht interpretiere und verlange. «Lesen Sie die Packungsbeilage»: Der Empfang der Produktinformationsblätter musste gar unterzeichnet werden. Dabei ging es nicht darum, ob sie das Gesagte tatsächlich verstanden hat, sondern darum, dass dadurch die Bank sich haftungsrechtlich schadlos erklären kann.

Hölzerne Aussprache

Geblieben sind ihr von den Anlagevorschlägen im Speziellen die «Cocos». Sie hat es sich mit einer Kokosnuss gemerkt, die einem wirklich weh tun kann, wenn sie einem auf den Kopf fällt. Aber von solchen Metaphern ist der Bankbeamte weit weg.

Er umgeht die Abkürzung Coco vom englischen Begriff «Contingent Convertible Capital» eloquent; mit seiner hölzernen Aussprache verrät er allerdings, dass er die englisch abgefassten Unterlagen wohl selbst nie gelesen hat.

Hartnäckige Fragerei

Viel lieber wirft er ins Cocos-Karussell Firmennamen wie Swiss Re, Rabobank, Lloyds, Zürcher Kantonalbank und Credit Suisse ein und verspricht verheissungsvolle Coupons von hohen 3,5 Prozent bis rekordverdächtigen 8 Prozent.

Dumm ist Elisabeth Hiller nicht. Offensichtlich bringt ihre hartnäckige Fragerei den Berater in die Defensive. Coco-Anleihen seien einfach beliebt; das sei noch das einzige, worauf sie als konservative Anlegerin setzen könne. Alles andere werfe nach Steuern und Gebühren gar nichts mehr ab.

Rettungsanker in der Finanzkrise

Wie es ganz genau funktioniere, wenn etwas schief laufen würde, wisse er nicht. Aber diese Pflichtwandelanleihen seien auch der Rettungsanker in der Finanzkrise gewesen; deshalb seien sie noch immer so beliebt.

Mit vier Anlagevorschlägen, allesamt Coco-Anleihen, wurde Frau Hiller verabschiedet. Zuhause angekommen war bereits ein Mail mit den Links zu den entsprechenden vier Emissionsprospekten eingetroffen. Hier könne sie die Details nachlesen, ergänzte der Berater sein Gespräch.

Wunderbar protokolliert

Notabene, der kürzeste Prospekt hatte den Umfang von 171 Seiten. Sicherlich braucht sie ein ganzes Wochenende, um alles zu lesen. Natürlich hat sie dann immer noch einiges nicht verstanden und die Anzahl unbeantworteter Fragen hat eher zugenommen.

Spielt aber keine Rolle. Der Berater ist seiner Aufklärungspflicht nachgekommen und hat alles wunderbar protokolliert. So versteht sich der Anlegerschutz heute, falls der Anleger glaubt, es sei besser, auf ein Vermögensverwaltungsmandat zu verzichten.

Wohin fällt die Kokosnuss?

Beratungsmandate werden für Kleinkunden indes nicht mehr überall angeboten; gar mehr und mehr liegt im Trend, das Beratungsgeschäft einzustellen. In Deutschland haben rund 25 Prozent der Raiffeisenbanken («Volksbanken») und Sparkassen die Beratungsleistungen eingestellt.

Somit bleibt dem Kunden ohne VV-Mandat noch die Welt der Sparprodukte – da fällt einem zwar keine Kokosnuss auf den Kopf, aber mit derzeit garantiert negativer Realverzinsung ist auch nicht viel Wertvolles zu machen: Das verdanken wir den Konsumentenschützerinnen und den Regulatoren.


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