Die EZB will die direkt beaufsichtigten Banken in der EU auf Herz und Nieren prüfen. Doch dabei stecke sie in einem Dilemma, denn die Resultate dürften weder zu schlecht noch zu gut ausfallen, sagt Martin Hess von der Bankiervereinigung.

Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Die Errichtung der EU-Bankenunion ist nichts Geringeres als das grösste Projekt seit Einführung des Euro. Respekt. Im Vergleich zu den zahllosen angefangenen Wirtschaftsreförmchen und Umverteilungsmaschinen wurde hier etwas Rechtes in Rekordzeit geschaffen.

Es ist absolut verständlich, dass die EZB als Neo-Aufseherin zuerst ihre zukünftigen Schäfchen auf Herz und Nieren prüfen will, bevor sie sie unter ihre Fittiche nimmt. Die muss wissen, wieviele Zombie-Banken sie beaufsichtigen wird (vgl. mein Blog), und mit welchen Überraschungen sie fertig werden muss. Dazu führt sie eine Risiko- und Bilanzprüfung sowie einen Stresstest durch. Die Resultate dieser umfassenden Prüfung werden den rund 130 Instituten am Freitagabend mitgeteilt und am Sonntag publiziert.

Drei Schwierigkeiten

Ob der Fitnesstest insgesamt ein Erfolg wird, kann erst längerfristig beurteilt werden. Die sonntägliche Publikation der Resultate darf aus drei Gründen nicht überinterpretiert werden:

  • Es erscheint mir unvorstellbar, dass die EZB 130 Banken innert einem Jahr vollständig durchleuchten kann, auch wenn sie dazu fast 1000 Spezialisten neu einstellt.
  • Durch die jahrelange Tiefstzinspolitik, den zahlreichen Garantien und die staatlichen Förderprogramme wurden Preise und Märkte – nicht nur im Finanzsektor – massiv verzerrt. Es ist schwierig geworden, Werthaltiges von Wertlosem zu unterscheiden. Da ist es möglich, dass gute Projekte in der EU unter knappem Geld leiden und Unproduktivem ein politischer Rettungsring zugeworfen wird. Die Prinzipien der Marktwirtschaft werden durch Transferzahlungen immer mehr ausgehebelt.
  • Um das Vertrauen in die Märkte zu sichern, werden die Resultate den Erwartungen entsprechen müssen. Zu schlechte Resultate fördern Bedenken in den Zustand der Branche, zu gute Resultate lassen an der Ernsthaftigkeit des Tests zweifeln. Beides führt zur Verunsicherung.

Vollständige Klarheit unerwünscht

Ich erwarte deshalb, dass die Resultate am Sonntag nur bei wenigen Banken schwarz oder weiss sein werden. Zwar werden bereits seit Tagen durchgefallene Kandidaten gerüchteweise gehandelt.

Wir werden insgesamt aber vielmehr unzählige Grauschattierungen sehen mit beruhigenden Noten für die kurze Frist und der Aufforderung an die Banken sich anzustrengen, um mittelfristig zu alter Stärke zurückfinden zu können.

Stresstest ist kein Befreiungsschlag

Grautöne bieten Interpretationsspielraum, so dass die Anleger nicht alle in eine Richtung schauen. Grautöne vermeiden bei knappen Ressourcen oder Modellierungsproblemen eine Scheingenauigkeit. Grautöne fördern das Vertrauen, legitimieren aber dennoch weitere Analysen und Regulierungen.

Die EZB dürfte am Sonntag die Resultate einer aufrichtigen Analyse präsentieren. Den oft zitierten Befreiungsschlag kann der Stresstest aber nicht bewirken. Dazu braucht es die Rückkehr zu marktwirtschaftlichem Handeln. Dieses Handeln umfasst Strukturreformen und Abschreibungen von Wertlosem.