Gemessen am Dollar ist der Euro eine Erfolgsstory – selbst in den letzten zwei Jahren. Und doch redet alles von der Eurokrise: Der Ökonom Walter Wittmann über Mythen, die sinnvolle Lösungen verbauen.

Als Griechenland im April 2010 unmittelbar vor der Zahlungsunfähigkeit stand, sprangen der Internationale Währungsfonds IWF und die EU-Länder freiwillig ein, um den Bankrott abzuwenden.

Kurz zuvor war die Bonität Griechenlands von den internationalen Ratingagenturen herabgestuft worden. Und gleichzeitig setzte die Spekulation gegen den Euro ein – dominant aus den USA heraus. Als der Euro gegenüber dem US-Dollar einbrach, machte das Gespenst der Eurokrise die Runde. Nicht wenige Experten sagen das Ende des Euro und sogar der Europäischen Union voraus.

Im Laufe des Jahres 2010 wurde der Euro-Rettungsschirm aus der Taufe gehoben, bisher mit einem Volumen von 750 Milliarden Euro. Federführend ist die EU-Kommission: Sie emittiert Euro-Anleihen, um zusammen mit dem IWF den Rettungsschirm zu finanzieren. Auf Griechenland folgte Irland und im Mai 2011 Portugal. Potentielle Ausfall-Kandidaten sind Spanien, Belgien und Italien.

Der Etikettenschwindel hat einen Grund

Für das, was sich seit 2009 in Europa bei den Staatsschulden abspielt, ist die Eurokrise eine Fehlbezeichnung. Es handelt sich um eine (schwere) Schuldenkrise, nicht zuletzt als Folge der Finanzkrise, die im Frühjahr 2007 begonnen hatte.

Der Etikettenschwindel hat einen ganz bestimmten Grund: Nach dem Maastricht-Vertrag, welcher der Währungsunion zugrunde liegt, darf kein EU-Land verpflichtet werden, für die Schulden eines anderen Landes einzuspringen. Es gibt die «No-Bailout-Klausel». Jedes Land muss selbst – und allein – mit seinen Schulden fertig werden.

Da man aber nicht bereit war (und ist), Staatsbankrotte in Kauf zu nehmen, musste rasch gehandelt werden. Man entschied sich für ein «Umgehungsgeschäft». Aus der Schuldenkrise machte man eine Eurokrise. Nun konnte man Hilfen an (quasi) bankrotte Länder unter dem Label «Rettung des Euro» laufen lassen.

Man hätte die Länder pleite gehen lassen müssen

Doch faktisch handelt es sich um einen Schulden-Rettungsschirm – denn seine Finanzierung erfolgt innerhalb der EU von den «reichen» zu den bedrohten Ländern, dominant aus Deutschland und Frankreich. Massgeblich beteiligt sind aber auch potentielle Bankrotteure wie Italien und Spanien. Es ist abzusehen, dass diese beiden (und andere) Ländern ausfallen werden.

Nach der «No-Bailout-Klausel» hätte man vom Bankrott bedrohten Ländern nicht helfen dürfen – man hätte sie pleite gehen lassen müssen. Ein Insolvenzverfahren besteht aus einem Schuldenverzicht, Erstreckung der Rückzahlungsfristen, festen niedrigen Zinsen für die Restlaufzeit und der Durchsetzung drastischer Sparmassnahmen. Dazu konnte man sich aber nicht durchringen, von den Sparauflagen abgesehen (die aber auch alles andere als gesichert sind).

Es drohte erneut eine Bankenkrise

Der entscheidende Grund: Bei Insolvenzen hätten europäische Banken massive Ausfälle erlitten, auch jene, die marode Anleihen versichert haben (CDS). Es wäre zweifelsfrei zu einer erneuten Bankenkrise gekommen. Der Staat hätte einspringen müssen, um bedrohte Institute zu retten. Das wollte man unter allen Umständen vermeiden.

Bei den Krediten ausländischer Banken an Portugal, Irland, Griechenland und Spanien rangiert Frankreich vor Deutschland, gefolgt von der übrigen Eurozone und Grossbritannien.

Seit die sogenannte Eurokrise ausbrach, stieg der Euro zum Dollar

Entgegen einer häufigen Behauptung ist der Euro nicht in einer Krise. Vielmehr ist er seit seiner Einführung 1999 eine Erfolgsgeschichte. Dies kann man an der Entwicklung gegenüber dem US-Dollar ablesen. Vor zehn Jahren, 2001, notierte der Euro bei 0,85 Dollar. Danach stieg er bis 2005 auf 1,36 Dollar, korrigierte in einem Jahr allerdings auf 1,16 Dollar; übrigens war bereits damals von einer Eurokrise die Rede.

Bis 2008 erhöhte sich der Euro auf 1,60 Dollar. Dann ging es in (grob) jährlichem Rythmus auf und ab. Aktuell notiert er bei 1,43 Dollar.

Seit Frühjahr 2010, als die europäische Schuldenkrise ausbrach, ist er nach einem kurzen Schwächeanfall auf unter 1,20 Dollar kräftig gestiegen.

Die Schuldenkrise wird nicht mit dem Rettungsschirm bewältigt

Die Währungsunion wird von Dauer sein. Sollte Griechenland aussteigen, würde es über eine schwache Währung verfügen. Darauf würde sich die Spekulation freuen – sie würde die Drachme in der Ägäis versenken. Doch die Schulden in Euro blieben. Ein Ausstieg Griechenlands würde die Währungsunion nicht schwächen, sondern stärken. Im Extremfall wird die Währungsunion aus nördlichen Ländern bestehen. Eine solche Kernzone wird schon aus politischen Gründen von Dauer sein.

Die Schuldenkrise kann nicht mit dem Rettungsschirm bewältigt werden. Denn wer überschuldet ist, dem kann man nicht mit Krediten – also mehr Schulden – helfen. Es gibt einen einzigen situationsgerechten Weg: Ein quasi-bankrottes Land nach dem anderen wird dadurch saniert, dass Schulden partiell erlassen, Fristen verlängert und niedrigere Zinsen angesetzt werden.

Es entspricht dem Verursacherprinzip, dass die involvierten Banken entsprechende Verluste in Kauf nehmen. Denn ohne sie wäre eine Überschuldung gar nicht möglich geworden.

Die Abwicklung von Insolvenzen ist nicht zu vermeiden. Den Auftakt wird Griechenland bilden. Und zwar noch 2011.


WalterWittmann.quadratWalter Wittmann ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Freiburg. Bekannt wurde er durch diverse wirtschaftspolitische Sachbücher. Unter anderem veröffentlichte er 2007 «Der nächste Crash kommt bestimmt», in dem er die nachfolgenden Ereignisse vorweg nahm. Im Frühjahr 2010 erschien sein nicht weniger prophetisches Buch «Staatsbankrott».

In den nächsten Tagen veröffentlicht Walter Wittmanns sein neues Buch: «Unabhängige Schweiz? Perspektiven für ein reformunwilliges Land» (Orell-Füssli Verlag).


Zur Debatte siehe auch das zuvor erschienene Interview mit Tom Elliott: «Der Dollar wird die stärkste Währung»

 

 

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