Derzeit rollt eine Gegenbewegung zur Nachhaltigkeitsdebatte. Das lässt sich auch in der Schweizer Finanzbranche prominent feststellen. Doch bereits Mitte nächsten Jahres müssen hier alle grösseren Akteure die Karten auf den Tisch legen, wie Recherchen zeigen. Und die Verwaltungsräte haften.

Zurich kommt im Bericht «Insurance Scorecard» nicht gut weg. Der Assekuranzkonzern sei weltweit der sechstgrösste Versicherer für Förderer von fossilen Brennstoffen und habe in diesem Geschäftsfeld im vergangenen Jahr geschätzte 600 Millionen Dollar eingenommen, werfen die Autoren dem Schweizer Branchenprimus vor.

Hinter dem am (heutigen) Donnerstag veröffentlichten Report stehen rund 22 Organisationen aus zwölf Ländern, darunter die Kampagnen-Plattform Campax aus der Schweiz. Entsprechend breit ist die Wirkung der Kritik.

Sich der Nachhaltigkeit verschreiben, aber trotzdem nicht mit den Diensten für die Öl- und Erdgasbranche brechen: Diese Vorwürfe wurden in der Vergangenheit diversen hiesigen Finanzkonzernen gemacht, zumal den Grossbanken Credit Suisse (CS) und UBS.

Klimakläger auf dem Vormarsch

Mittlerweile ist unter Finanzmultis gar eine Bewegung weg von Klimabündnissen zu beobachten; dieses Jahr sind etwa der grösste Schweizer Rückversicherer Swiss Re und eben auch Zurich aus der Net-Zero Insurance Allliance (NZIA) ausgetreten. Die Konzerne beteuern jedoch, weiterhin an ihren Klimazielen festzuhalten.

Indes, jener «Backlash» bei der Nachhaltigkeit, der sich längst nicht nur bei Schweizer Firmen und im Finanzwesen beobachten lässt, könnte sich für die Unternehmen noch rächen. Denn damit verhärten sich nicht zuletzt die Fronten zwischen Wirtschaft und Klimaaktivisten. Letztere beschränken sich längst nicht mehr nur darauf, Unternehmen an den Pranger zu stellen, sondern beschreiten inzwischen den Rechtsweg.

Klimaverbrechen werden zu einem neuen Vorwurf, der insbesondere in europäischen Ländern eingeklagt wird, wie erste Beispiele zeigen.

Bereits seit Anfang 2022 inkraft

Wer sich in den Schweizer Unternehmen in Sicherheit wähnt, liegt gründlich falsch. Eher könnten hierzulande Verstösse gegen Nachhaltigkeitsversprechen bald noch strenger geahndet werden als im Ausland: Gemäss einer im Zuge der Konzernverantwortung-Initiative per 1. Januar 2022 eingeführten Erweiterung des Obligationenrechts (OR) müssen alle Schweizer Firmen ab einer bestimmten Grösse bis im Juni 2024 eine «nicht-finanzielle Berichterstattung» abliefern.

Dabei wird die Geschäftstätigkeit insbesondere in Bezug auf die Aspekte Umwelt, Soziales und Gute Geschäftsführung sowie in Bezug auf Arbeits- und Menschrechte sowie die Korruptionsbekämpfung betrachtet. Dieses Reporting muss vom Verwaltungsrat des jeweiligen Unternehmens unterschrieben werden und über zehn Jahre öffentlich verfügbar sein. Auch wenn eine Firma sich auf keinerlei Standards verpflichten will, ist dies im Report gebührend zu begründen.

Strafrechtliche Verantwortlichkeit der Verwaltungsräte

Die zwingenden neuen Bestimmungen sind bereits am 1. Januar 2022 inkraft getreten, 2022 galt dabei als Übergangsjahr. Aber erst mit den ersten «offiziellen» Nachhaltigkeitberichten ab dem kommenden Sommer wird die Thematik für die hiesige Wirtschaft richtig heiss. Fehlerhafte Angaben gemäss Paragraph 964a OR zur Transparenz über nicht-finanzielle Belange können nun zu einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Verwaltungsräte führen.

«Ich stelle in Gesprächen mit Managern immer wieder fest, dass man sich der Risiken für die Verwaltungsrat-Mitglieder nicht bewusst ist», sagt Daniel Bühr zu finews.ch. Der Partner bei der Schweizer Wirtschaftskanzlei Lalive Rechtsanwälte spezialisiert sich auf Regulierungs- und Bankenrecht sowie auf Wirtschaftskriminalität, Governance und ESG. Bei der Umsetzung der nicht-finanziellen Berichterstattung bei Firmen zählt er nun mit zur Avantgarde.

Eher im Mittelfeld

Dabei hat Bühr auch Einblick zum Stand der Finanzbranche gewonnen. Diese sei in Bezug auf nachhaltige Anlageprodukte Vorreiterin, weil sie sich der Bedeutung nachhaltiger Anlagen schon lange bewusst ist und weil die Kunden diese Produkte auch verlangen, erklärte der Anwalt. Auf der anderen Seite seien die Institute mit Bezug auf ihre eigene Nachhaltigkeit und die Berichterstattung dazu wohl im eher im Mittelfeld.

Und es gibt hier viel zu tun, folgt man Bühr. Auch grössere Banken und Versicherungen müssten für 2023 konkret zu Umwelt, Klimazielen, Sozialem, Arbeitnehmer, Achtung der Menschenrechte und Bekämpfung der Korruption berichten, sagt er. Und dies entlang von nicht weniger als sieben Aspekten, darunter Konzept und Sorgfalt, Massnahmen und Wirksamkeit, wesentliche Risiken und Risikobewältigung sowie Leistungsindikatoren.

«Es wird sicher Kritik geben»

Besonders knifflig wird das für international aufgestellte Firmen, weil die Berichterstattung sämtliche ausländische Tochterfirmen umfassen muss, und, sofern relevant und verhältnismässig, die gesamte Wertschöpfungskettte inklusive Geschäftsbeziehungen. Denkt man hier daran, dass Banken dazu ihre Kunden auf Nachhaltigkeit-Aspekte hin durchleuchten müssen, dann werden die Schwierigkeiten greifbar, welche auf die Branche zukommen.

Und weil Firmen jetzt auch wesentliche Risiken bezüglich Umwelt, Menschenrechten oder Korruption zwingend offenlegen müssen, machen sich die Unternehmen zusätzlich angreifbar.

Bühr glaubt jedoch nicht, dass die unmittelbare Folge der neuen Berichterstattung eine Welle von Klagen sein werde. «Es wird aber sicher Kritik an einzelen Berichten und insbesondere den verantwortlichen Verwaltungsräten geben», blickt er in die Zukunft. Es sei deshalb wichtig, dass die Berichte wahr seien und keine wesentlichen Informationen zurückbehalten werden.

Doch eher eine Chance?

Ob die Unternehmensspitzen zumal von Finanzdienstleistern, hier vorab die Gefahren sehen statt der Chancen, muss sich weisen. Für den Lalive-Partner, der sich unter anderem bei der Vereinigung Ethics and Compliance Switzerland (ECS) für eine gute und nachhaltige Unternehmensführung einsetzt, liegt eigentlich Letzteres auf der Hand.

«Die Transformation der Wirtschaft hin zu nachhaltigem Wachstum, Ressourcenschonung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit», findet Bühr, «ist der grosse Wirtschaftsplan des 21. Jahrhunderts».

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.66%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.57%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.19%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.06%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.52%
pixel