Matthias Geissbühler lebt in zwei Welten. Als Investmentchef führt er die Kunden von Raiffeisen durch das Börsengeschehen – und tritt am Samstag als Singer-Songwriter Matt mit einem neuen Album vors Publikum. Mit finews.ch hat er über sein Abtauchen in die Musik und über die Kunst des Investierens gesprochen.


Herr Geissbühler, Sie sind Investmentchef der Raiffeisen Gruppe – und Sie sind Matt, Singer-Songwriter mit neuem Album. Am 15. April ist die Plattentaufe in Bern. Wofür schlägt Ihr Herz wirklich, für die Musik oder für die Börse?

Für mich sind die beiden Welten gleichwertig, aber ich trenne sie ganz bewusst. Die Musik erlaubt es mir, im Alltag abzutauchen und abzuschalten. Dank meinem spannenden Job bei Raiffeisen kann ich das ohne Druck tun. Das Börsengeschehen übt eine anhaltende Faszination aus und zieht mich auch nach über 20 Jahren in seinen Bann. Genauso klar ist aber: ich werde immer Musik machen!

Im titelgebenden Song «Trumpfkönig» des neuen Albums singen Sie über den Wunsch, das Rad nochmals zurückdrehen zu können. Haben Sie sich nie eine reine Musikerkarriere vorstellen können?

Für mich stellte sich diese Frage nach meiner Matur. Damals gab es aber keine musikalische Ausbildung, die zu mir gepasst hätte – hingegen hat mich das Wirtschaftsstudium interessiert. Ich habe es seither nie bereut, mich beruflich für die Wirtschaft entschieden zu haben.

«Ich hatte von Anfang an vor, eine Trilogie zu schaffen»

Im Gegenteil: Dank meiner Arbeit bei Raiffeisen verspüre ich nie den enormen Schaffensdruck, mit dem Berufsmusiker konfrontiert sind. So manche meiner Kollegen aus jener Welt sind mit ihren Träumen gescheitert.

Nach dem Erstling «Mattschwarz» im Jahr 2007 und «Schachmatt» im Jahr 2009 hat es nun mehr als zehn Jahr gedauert, bis mit «Trumpfkönig» das dritte Album vorliegt. Einmal mehr deutet der Titel auf ein Spiel hin. Ist das ein bewusster Zug von Ihnen?

Tatsächlich hatte ich von Anfang an vor, eine Trilogie zu schaffen. Der rote Faden ist die Stilrichtung, die Musik sowie die Lebensphilosophie, die in den Texten zum Ausdruck kommt.

Das müssen Sie erklären.

Die Musik ist in allen drei Alben ähnlich, sie ist bewusst sparsam produziert und komplett analog aufgenommen – im Wesentlichen ist alles live eingespielt.

«Nach zwei, drei Liedern bin ich emotional eingemittet»

Die Texte setzen sich mit den Fragen des Lebens auseinander, sie fassen mein Nachdenken über die Zeit, über Beziehungen und Emotionen in Worte.

Im neuen Album sind die Texte einmal mehr melancholisch, mitunter sogar wütend. Haben Sie wirklich ein so finsteres Gemüt?

Ich möchte festhalten, dass ich ein grossartiges Leben führen darf mit allen Vorteilen, die wir in unserem Land geniessen – so den Wohlstand und die Freiheit zur Selbstentfaltung. Die Melancholie ergibt sich, wenn ich in meine Erinnerungen abtauche, in den Gefühlen schwelge. Mir persönlich gibt das viel. Egal wie meine Gefühlslage ist: nach zwei, drei Liedern bin ich emotional wieder komplett eingemittet.

Geissbuehler 500

Matthias Geissbühler, Raiffeisen (Bild: Raiffeisen)

Sie machen die Musik also zuerst für sich selber. Wozu brauchen Sie da noch Publikum?

Sie haben nicht unrecht mit der Beobachtung. Ich sehe meine Alben als persönliche Erinnerungsstücke an, als eine Art klingendes Fotoalbum. Mit jeder CD habe ich Lebensphasen abgeschlossen und die dazugehörigen Erinnerungen festgehalten. Wenn ich ein Album jeweils hervor nehme und abspiele, versetzt mich die Musik in vergangenen Zeiten zurück. Aber natürlich ist die Produktion auch mit einigem Aufwand verbunden. Da freut es einen schon, wenn man dies mit einigen Leuten teilen kann.

Für eine Songwriter müsste sich Englisch für die Liedtexte aufdrängen. Sie haben sich jedoch für Mundart entschieden. Wieso?

Ich habe zuerst Violine gespielt, bis ich als Jugendlicher auf die Gitarre kam. Die musste dann elektrisch und vor allem laut sein – mir hatte es damals der Punkrock angetan. Da waren die Texte natürlich englisch, bis ich einmal einen Song in Mundart aufgenommen habe.

«Es besteht immer die Gefahr, kitschig zu sein»

Mein Umfeld fand dann zu meiner Überraschung, dass es mich in diesem Text viel besser spüre. Als wechselte ich die Sprache, ein Entscheid, der mir als Berner angesichts der Vorlage von Polo Hofer, Züri West oder Patent Ochsner eher leicht gefallen ist.

Was kommt bei Ihnen zuerst: die Sprache oder die Musik?

Immer die Musik. Manche Akkorde trage ich jahrelang in meinem Kopf herum, sie sind jederzeit abrufbar. Die passenden Worte dazu zu finden, fällt mir sehr viel schwerer. Ich muss dazu in der richtigen Stimmung sein. Dann kommt es vor, dass die Sätze nur so sprudeln und ein Songtext innerhalb einer halben Stunde auf dem Blatt ist.

Als Investmentchef sind Sie das Schreiben gewohnt. Können Sie nicht daraus schöpfen?

Es besteht doch ein ziemlicher Unterschied zwischen einem Research-Bericht und einem Songtext. Für meine Stücke muss ich viel persönlicher werden, und es besteht immer die Gefahr, kitschig oder zu simpel zu sein.

Bleibt eigentlich bei den Analysen für Raiffeisen Raum für Kreativität?

Investing is more art than science, Investieren ist mehr Kunst als Wissenschaft: Diesen Leitsatz, welcher der Investorenlegende Howard Marks zugeschrieben wird, würde ich unbedingt unterschreiben. Am Ende des Tages basieren auch die besten Quantmodelle am Markt auf Vergangenheitsdaten und können die Zukunft nicht annährend exakt vorhersagen, nicht zuletzt weil den Börsen etwas Irrationales anhaftet. Kreativität und eine gewisse Intuition sind deshalb wichtige Fähigkeiten für einen erfolgreichen Anleger.

Ihr Publikum als Raiffeisen-Investmentchef ist der vermögende Mittelstand. Allzu kreativ mit Ihren Anlagetipps dürfen Sie da gar nicht werden, oder?

In den Wochen vor der Übernahme der Credit Suisse durch die UBS wurde ich an Kundenanlässen oft gefragt, ob man jetzt nicht zwingend die Aktien der Grossbank kaufen müsse – so günstig, wie der Kurs sei.

«Diese Arbeit trägt nun Früchte»

Für mich war dies aber immer pure Spekulation und das Gegenteil dessen, was wir unseren Anlagekunden bei Raiffeisen empfehlen. Wir sagen: zuerst gilt es, die Risiken in den Griff zu bekommen. Dann kann man darüber nachdenken, wie sich die Rendite optimieren lässt.

Sie sind via die einstige Privatbanken-Tochter Notenstein La Roche zu Raiffeisen gestossen. Nach dem Verkauf des Instituts an das Zürcher Investmenthaus Vontobel im Jahr 2018 sind sie bei den Genossenschaftbanken geblieben – und mussten mit der Raiffeisen-Vermögensverwaltung praktisch bei Null anfangen. Wie stehen Sie heute da?

Wir haben die Anlageprozesse vor gut vier Jahren komplett neu aufgesetzt und auf die Sicht des Investment Office ausgerichtet. Diese Arbeit trägt nun Früchte. Wir konnten die in unseren diskretionären Mandaten verwalteten Vermögen von anfänglich 250 Millionen auf mittlerweile 8 Milliarden Franken steigern. Unsere Produkte sind eher defensiv ausgelegt und bewusst nicht fancy. Einfachheit und Transparenz stehen im Vordergrund. Aber sie bieten den Sparern für jenes Geld, dass nicht gebraucht wird und auf dem Konto liegt, eine gute Alternative. Das birgt unserer Meinung nach grosses Potenzial.

Ihre jüngste Prognose als Raiffeisen-Investmentchef konstatiert Deglobalisierung, Inflation, volatile Finanzmärkte. Ist jetzt auch Ihre Sicht auf die Börse mattschwarz?

Wir wollten lediglich daran erinnern, dass es gewisse Trends gibt, die Anleger im Augen behalten müssen. Die Auseinandersetzung zwischen den USA und China, der damit verbundene Rückbau der Wertschöpfungsketten, der Wegfall der Friedensdividende und die höheren Energiepreise: Das alles spricht für eine länger anhaltende Inflation, was wiederum auf die Renditen von Wertschriften drückt. Aufgrund der negativen Realzinsen verliert man als Sparer unter dem Strich laufend Geld. Anlegen bleibt damit längerfristig betrachtet – trotz anspruchsvollem Umfeld – alternativlos.


Matthias Geissbühler wirkt seit dem Jahr 2018 als Investmentchef (CIO) der Raiffeisen Gruppe. Zuvor war er knapp drei Jahre lang als CIO für die frühere Raiffeisen-Tochter Notenstein La Roche Privatbank tätig; seine Karriere im Finanzwesen startete bei der damaligen Atag Asset Management im Jahr 2000. «Trumpfkönig» ist sein drittes Mundart-Album als Singer-Songwriter Matt. Der Berner Finanzprofi und Musiker lebt im Kanton Zürich.