Fachleute behaupten, die Banken seien gar nicht so wichtig: Ihre Wertschöpfung viel sei zu hoch ausgewiesen worden. Da wurde falsch gerechnet, findet Raphael Vannoni.

Raphael_Vannoni_119x178Raphael Vannoni ist Leiter Economic Analysis bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Das Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) hat fünf Studien zum Finanz- beziehungsweise Bankensektor in Auftrag gegeben. Die Autoren, Kersten Kellermann und Carsten-Henning Schlag (von KOFL) kamen in ihrer Studie zum Schluss, dass die Wertschöpfung des Bankensektors vom Bundesamt für Statistik zu hoch ausgewiesen werde.

Sie argumentieren für eine Risikoadjustierung der direkten Messung der Finanzdienstleistungen. Danach wäre die Wertschöpfung des Bankensektors im Jahr 2010 um fast 40 Prozent geringer gewesen, als vom Bundesamt für Statistik BFS ausgewiesen. Diese Sicht der Dinge entspricht jedoch weder aktuellen internationalen Statistikstandards, noch beruht sie auf einem ökonomisch verankertem Fundament.

Wertschöpfung beruht auf zwei Komponenten

Die Wertschöpfung des Bankensektors setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: einerseits der direkt gemessenen Finanzdienstleistungen (FISDM, Financial Intermediation Services Directly Measured) und andererseits der indirekt gemessenen Finanzdienstleistungen (FISIM, Financial Intermediation Services Indirectly Measured).


  • FISDM: Finanzdienstleistungen, die direkt in Rechnung gestellt werden, ähnlich wie andere, nichtfinanzielle Dienstleistungen. Dies beinhaltet die Summe aller Kommissionserträge abzüglich der Vorleistungen. Konkrete Beispiele hierfür sind Courtagen oder Vermögensverwaltungsgebühren.
  • FISIM: Berechnet sich anhand des Volumens an Krediten und Einlagen sowie den jeweils geltenden Zinsmargen (Differenz zwischen Kredit- und Referenzzins).

Ist die Bedeutung des Bankensektors tatsächlich viel geringer, als uns das BFS weismachen möchte? Irren sich die Statistiker in Neuenburg mit Weitblick auf See und Alpen?

Die klare Antwort lautet: Nein.

Das BFS hält sich bei der Berechnung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung an internationale Standards. Denn ohne die Berücksichtigung dieser Standards wäre ein internationaler Vergleich nicht machbar.

Gemäss den Autoren der Studie liegt der Fehler bei der Berechnung der FISIM: Diese beinhalte auch von den Banken erhaltene Risikoprämien, die teilweise aus der Wertschöpfung herauszurechnen wären (Adjustierung um das entsprechende Ausfallrisiko der Bank).

Doch die Übernahme von Risiken ist eine der zentralen Dienstleistungen von Banken, für die sie entsprechend abgegolten werden.

Ohne Risiko kein Ertrag

Genauso verhält es sich bei allen anderen Branchen, die allesamt auch ein Geschäftsrisiko übernehmen. Denn ohne Risiken ist kein Ertrag möglich – sei dies für den Detailhandel, Grosshandel oder andere Branchen.

Beispielsweise unterliegt ein Schweizer Autoimporteur einem Wechselkursrisiko. Mit einer Aufwertung des Franken werden die Preise von Autos im benachbarten Ausland im Vergleich zum Inland massiv günstiger. Dies führt dazu, dass die Autos, die bereits im Lager standen, einen Wertverlust aufweisen. Korrekterweise müssten die Wertschöpfungsbeiträge entsprechend durch die Risikoadjustierung schrumpfen.

Arbeit plötzlich nur noch halb so viel wert?

Vorbei sind die Zeiten, als nur das produzierende Gewerbe unter der Wertschöpfung verstanden wurde. Doch selbst diese müsste folgerichtig um das Risiko adjustiert werden, das die Hersteller von Waren eingehen. So riskiert ein Schreiner, der ein Regal oder eine Küche herstellt, dass diese in Kürze bei Ikea, Interio oder Möbel Pfister für die Hälfte des Preises verfügbar ist. Ist seine Arbeit deshalb nur noch halb soviel wert?

Aus der Versicherungsindustrie lässt sich folgendes Beispiel zeigen: Wenn ein Auto einen Totalschaden erleidet, wo fällt dann die Wertschöpfung beim Kauf eines neuen Autos an? Bei der Versicherung oder beim Autoverkäufer?

Auf den ersten Blick unlogisch

Es liessen sich beliebig viele Beispiele finden, die auf den ersten Blick nicht ganz fair oder logisch erscheinen, sich aber dennoch in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung niederschlagen.

Falls wirklich eine Risikoadjustierung zur Verbesserung der Schätzung der Wertschöpfung durchgeführt werden soll, müsste dies flächendeckend über alle Branchen erfolgen. An dieser Stelle nur den Bankensektor herauszupicken, ist eine unzulässige Ungleichbehandlung der Sektoren im Produktionskonto der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.

Vorsicht vor Datenlücken

Der Einbezug von Geschäftsrisiken ist aber (noch) kein Bestandteil der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung. Mit einer Risikoadjustierung würde das Bruttoinalndprodukt (BIP) gemäss bisherigen Tests massiv stärker schwanken als ohne. Auf Grund von Datenlücken würden sich unplausible oder gar negative Wertschöpfungsbeiträge ergeben.

Entsprechend schwieriger wäre die Interpretation der Ergebnisse. Eine Risikoadjustierung ist heute demzufolge weder wünsch- noch machbar.

Noch entwicklungsfähig

Klar ist, dass eine gesamthafte Risikoadjustierung die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung durcheinander bringen würde – inklusive allfälliger Reduktion des BIP. Ob dann der Wertschöpfungsanteil der Banken tatsächlich sinken würde, ist nicht klar.

Zudem verstehen die Autoren Kellermann und Schlag ihre Untersuchungsresultate als erste Annäherung, die auf einer lückenhaften Datenbasis beruht und einen Ansatz zur Anwendung bringt, der sich noch in der Entwicklung befindet.

Keine exakte Wissenschaft

Dass die Schätzung der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung keine exakte Wissenschaft darstellt, hat die letzte Revision im Juni 2012 gezeigt. Nach der Revision war das schweizerische BIP um 4,3 Prozent höher als zuvor. Die Schätzung wird vom BFS entsprechend den aktuellen Entwicklungen angepasst.

Dies wiederum hat Einfluss auf den Wertschöpfungsbeitrag des Schreiners, der Autoindustrie oder des Bankensektors.