Nur in ausgewählten Perioden lasse sich mit den Aktien der beiden Schweizer Grossbanken eine Outperformance erzielen, sagt Andreas Brun, Finanzanalyst bei Vontobel, im Interview mit finews.ch. Er verrät dabei auch, was ihn in diesem Jahr am meisten enttäuscht hat.


Herr Brun, sind die Aktien der Schweizer Grossbanken noch ein valables Investment, sofern man sich den Wertverlust in den vergangenen zwanzig Jahren anschaut?

Bei den Grossbanken-Aktien sind wir nicht für eine blinde Buy-and-Hold Strategie über Jahrzehnte. Nur in ausgewählten Perioden kann mit Grossbanken-Aktien eine Outperformance erzielt werden. Ein gutes Beispiel ist die positive Kursentwicklung der UBS im laufenden Jahr – und das trotz negativer Aktien- und Bondmärkte.

Können Sie das noch genauer erklären?

Der Investment Case für die UBS ist gekennzeichnet von einer seltenen Konstellation aus attraktiver Kapitalrückführung und positivem Wachstumsmomentum aller Kerndivisionen. Vor allem die hohen Aktienrückkäufe zeigen, dass das Management auch in Bezug auf die noch ausstehenden Rechtsrisiken zuversichtlich ist.

«Im ersten Quartal haben wir begonnen, Zurich Insurance stärker aufzubauen»

Im laufenden Jahr konnten wir unsere Annahmen zu den Buybacks bereits viermal leicht anheben. Auch erwarten wir einen knapp zweistelligen Anstieg des Zinsertrags 2023 und damit einen klar stabilisierenden Faktor gegen tiefere Einnahmen auf der niedrigeren Basis der verwalteten Kundenvermögen.

Schliesslich wurden wir auch positiv überrascht vom Umstand, dass es die UBS im Wealth Management trotz widriger Märkte geschafft hat, in hohem Ausmass neue Kundengelder anzuziehen.

Was waren Ihre persönlichen Favoriten?

Im ersten Quartal haben wir begonnen, Zurich Insurance stärker aufzubauen, was wir im Jahresverlauf nie bereut haben, auch wenn der Titel mittlerweile ein Konsensus-Buy geworden ist. Letzteres ist darauf zurückzuführen, dass die meisten entscheidenden Eckwerte herausragend sind, wie Profitabilität, Dividende und Kostentrends.

«Der Einbruch der Partners-Group-Aktie zu Beginn des Jahres hat uns enttäuscht»

Die Valoren der Zurich schätzen wir insbesondere in unsicheren Zeiten, weil die starken Unternehmensresultate bei hoher Visibilität und reduziertem Risikoprofil erzielt werden. Entscheidender Kurstreiber für uns war vor allem der Preistrend, der im wichtigen Commercial Business bis Mitte 2023 noch immer die Inflation überkompensieren dürfte. Bis dann sollten sich die neuen Katalysatoren entfalten können, unter anderem das Wachstum im Mid-Market-Segment sowie im europäischen Retail-Business.

Was waren Ihre grössten Enttäuschungen im vergangenen Jahr?

Der Ausbruch des Ukraine-Kriegs sowie die global steigenden Inflationsraten und die höheren Zinsen haben zu einer hohen Marktvolatilität geführt, die uns in ihrem Ausmass überrascht hat. Das im Jahresverlauf direktionslose Muster machte es sehr schwierig, richtig positioniert zu bleiben.

Der Einbruch der Partners-Group-Aktie zu Beginn des Jahres hat uns enttäuscht. Wir sind vorsichtiger in Bezug auf den Investment Case, der erst wieder in die Gänge kommt, wenn sich der Refinanzierungsmarkt verbessert und damit Exits sowie neue Investments möglich werden. Beide Treiber sind auch entscheidend für die zukünftige Entwicklung der Neugelder.

Die Credit Suisse dürfte auch eine Enttäuschung gewesen sein?

Wir waren zu keiner Zeit in die Credit Suisse investiert. Hingegen haben wir Leonteq frühzeitig abgebaut. Wir haben erkannt, dass die Volumen- und Margenentwicklung nicht nur im Geschäft mit Strukturierten Produkten, sondern auch in allen anderen Segmenten einbrechen, die stark von der Handelsaktivität der Kunden abhängig sind. Das erwartete rekordhohe Handelsergebnis und die stark steigende Dividende im Gesamtjahr 2022 können die Schwäche im Kerngeschäft und die zu hohen Erwartungen im nächsten Jahr nicht kompensieren.

Werden die Aktien von Versicherungen mit den steigenden Zinsen attraktiver als Bankentitel?

Wie so oft müssen beide Seiten einer Medaille betrachtet werden. Während die Versicherungen mittelfristig von steigenden Zinsen im Leben- und Nichtleben Geschäft profitieren, darf nicht ausgeblendet werden, dass eine starke Inflation der Feind der Versicherungsindustrie ist.

«Der entscheidende Punkt ist die Einschätzung der Inflationsentwicklung»

Zusätzlich relativiert sich für uns der Katalysator steigender Zinsen insofern, als dass wir diesen Kurstreiber in den allermeisten Finanztiteln als eingepreist erachten, da die Zinswende bereits seit Anfang Jahr das dominierende Thema im Sektor ist.

In unseren Portfolios bilden wir keine Sektor-Positionen ab, sondern definieren unsere Allokation auf Bottom-Up-Aktienanalysen, die 2023 sowohl Banken- als auch Versicherungstitel beinhalten wird.

Gibt es Argumente, die ganz klar gegen ein Engagement in Versicherungsaktien sprechen?

Der entscheidende Punkt ist die Einschätzung der Inflationsentwicklung. Einerseits besteht die Gefahr, dass die höheren Schadenskosten nicht durch die steigenden Preise der Versicherungsverträge kompensiert werden können – insbesondere bei Naturkatastrophen und Social Inflation – und anderseits können negative Inflationsüberraschungen die Versicherungen zwingen, Reserveverstärkungen vornehmen zu müssen.

Während 2023 die Entwicklung der Dividenden und des Aktienrückkaufpotenzials ihre hohe Bedeutung im Sektor vermutlich nicht verlieren, könnten bei bestimmten Versicherungen die gewichtige Exponierung im Immobilienmarkt stärker in den Fokus rücken, insbesondere wenn die Net-Asset-Value- (NAV)-Entwicklung ins Negative fallen sollte.

Welche makroökonomischen Faktoren gilt es, im kommenden Jahr bei Bankaktien zu beachten?

Momentan steht und fällt die Zuversicht für 2023 mit den Inflations- und Zinserwartungen in Europa und den USA. Beinahe wöchentlich schwankt der Markt zwischen der Euphorie einer sich abzeichnenden Abschwächung der Inflation und eines hartnäckig starken Preisanstiegs, der nur durch eine forcierte Rezession durchbrochen werden kann.

«Wir erachten Bankaktien immer auch als starke Konjunktur-Proxies»

Da wir aktuell vom Höchststand der Inflation in der EU und den USA ausgehen, erwarten wir weitere Zinserhöhungen in abnehmendem Ausmass, was uns für 2023 zuversichtlicher stimmt insbesondere für qualitativ hochstehende Wachstumstitel.

Für einen weiteren entscheidenden makroökonomischen Faktor halten wir die Konjunkturentwicklung, da wir Bankaktien immer auch als starke Konjunktur-Proxies erachten. Erst wenn sich die Konjunktur verbessert und die Zuversicht anzieht, kann mehr Neugeld fliessen, und es können mehr Kundentransaktionen und Deals im Investmentbanking stattfinden.

Inwiefern hat die Zinswende mittelfristig einen Einfluss auf die weitere Entwicklung der Schweizer Bankaktien?

Die Zinswende wird erst im nächsten Jahr einen signifikanten Einfluss auf die operativen Ergebnisausweise der Banken und Versicherungen haben, weil die Zinserhöhungen insbesondere in der Schweiz und Europa mehrheitlich im zweiten Halbjahr 2022 erfolgten.

«Jedes Finanzinstitut, das sich nicht in einer Restrukturierung befindet, kann sich glücklich schätzen»

Jedoch darf nicht vergessen werden, dass der negative Effekt aus dem Rückgang der verwalteten Vermögen bei den meisten Vermögensverwaltern schwerer wiegt als der positive Ertragsbeitrag aus den Zinsen. Auf die Aktienkurse dürfte die Zinswende erst einen Einfluss haben, wenn nicht nur der Zinsertrag, der eingepreist ist, sondern auch der Kommissionsertrag zu steigen beginnt.

Nach welchen Kriterien sind Bankaktien im nächsten Jahr attraktiv?

Aufgrund der niedrigen Visibilität und der starken Marktschwankungen lag der Fokus 2022 stark auf Dividendenrenditen und Aktienrückkäufen und weniger auf Wachstum und Innovationskraft.

Aufgrund der hohen Finanzierungskosten und der daraus folgenden niedrigen Dealaktivität kann sich jedes Institut glücklich schätzen, das sich momentan nicht in einem Restrukturierungsprozess befindet. Ein wichtiger Treiber im 2023 wäre, wenn die Aktivität der Kunden aufgrund steigender Zuversicht zunehmen würde.


Andreas Brun ist seit einem Jahr Aktienanalyst beim Schweizer Investmenthaus Vontobel. Zuvor war er in vergleichbaren Funktionen bei der Credit Suisse, Mirabaud und der Zürcher Kantonalbank tätig gewesen. Er studierte Finanzwissenschaften an der Universität Basel und bildete sich in der Folge als Investmentanalyst (AZEK, CAIA Charter) weiter. 

 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.6%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.59%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.19%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.08%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.55%
pixel