Die EZB könnte mit ihren Anleihekäufen den Wandel zu mehr Nachhaltigkeit im globalen Finanzsystem fördern, findet der Think-Tank-Gründer und frühere SAM-Manager Alexander Barkawi.


Herr Barkawi, Sie leiten einen wirtschaftspolitischen Think Tank für Nachhaltigkeit. Betrachtet man ihren Lebenslauf, ist dieses Thema der rote Faden. Wie kam es dazu?

Das Interesse reicht in meine Schulzeit in Kairo zurück. In dieser Millionenstadt wurde ich laufend mit Entwicklungen konfrontiert, die der Nachhaltigkeit entgegenstehen. Die Tatsache, dass dort elementare Bedürfnisse unerfüllt bleiben, ist ein ernüchterndes Beispiel dafür. Ich denke, die elf Jahre, die ich dort verbrachte, haben mich motiviert, das Thema Nachhaltigkeit aufzugreifen.

Sie stiegen später in die Finanzbranche ein. Überraschend, nicht?

Finanzmärkte sind für Nachhaltigkeit zentral. Mit Investitionenentscheiden beeinflussen wir, welche Branchen und Unternehmen Kapital erhalten, und welche Technologien, Produkte und Dienstleistungen damit gefördert werden. Gleichzeitig ist Nachhaltigkeit für den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg und für die finanzielle Performance wichtig. Mit diesen Überlegungen bin ich nach dem Studium zu SAM (heute Robeco SAM) gegangen und führte dort während über neun Jahren das Indexgeschäft mit den Dow-Jones-Sustainability-Indizes.

Nachhaltigkeitsaspekte spielen an den Finanzmärkten doch kaum eine Rolle.

Rendite und Nachhaltigkeit schliessen sich nicht aus. Im Gegenteil: Es gibt eine signifikante Schnittmenge zwischen finanziellem Erfolg und Nachhaltigkeit. Steigendes Interesse privater und institutioneller Investoren an Themen wie Corporate Governance, Humankapital und Ressourceneffizienz sind ein Beispiel dafür.


«Ohne Veränderungen geht es nicht»


Gleichzeitig bewegt sich mit der zunehmenden Bedeutung des Hochfrequenzhandels ein wachsender Teil des Finanzmarktes in einen Bereich, der mit Nachhaltigkeit nichts mehr zu tun hat.

Sind Sie darum 2009 aus der Finanzbranche ausgestiegen?

Indirekt. Ich glaube weiterhin, dass Finanzmärkte eine zentrale Rolle für Nachhaltigkeit spielen, und dass es im wirtschaftlichen Eigeninteresse von Investoren ist, entsprechende Kriterien zu berücksichtigen. Ich bin aber zunehmend zur Überzeugung gelangt, dass wir ohne Veränderungen der wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen weder weit noch schnell genug in Richtung Nachhaltigkeit vorwärts kommen.

Darum gründeten Sie den Think Tank «Council on Economic Policies»?

Ja. Der «Council on Economic Policies» (CEP) fokussiert als wirtschaftspolitischer Think Tank auf die Frage der ökonomischen Spielregeln – insbesondere auf die Gebiete der Fiskal-, Geld- und Handelspolitik. Wir haben die Organisation 2012 mit acht Gründungsmitgliedern aus der Taufe gehoben und haben mittlerweile zwei weitere Kollegen und sechs Beiräte an Bord.

Zentralbanken versuchen zurzeit mittels tiefer Zinsen und Liquiditätsspritzen die Wirtschaft zu stabilisieren. Wie können sie da noch Nachhaltigkeit fördern?

Eine solide wirtschaftliche Entwicklung ist ein zentraler Pfeiler der Nachhaltigkeit. Wenn Geldpolitik diesbezüglich stabilisierend wirkt, leistet sie einen wichtigen Beitrag.

Gleichzeitig ist es erstaunlich, wie wenig Gedanken wir uns darüber machen, welche weiteren gesellschaftlichen Ziele durch Geldpolitik tangiert werden, und welche politischen Alternativen vor diesem Hintergrund allenfalls zu prüfen wären. Googeln Sie mal nach «Monetary Policy and Sustainability».


«Das wird schlicht nicht diskutiert»


Sie erhalten weltweit 15 Hits – 15 Hits für einen Politikbereich, der das Zinsniveau und damit einen zentralen Preis in unserem Wirtschaftssystem beeinflusst, der monatlich weltweit Milliarden von Franken in Finanzmärkte hineingibt, und der hier in der Schweiz über die Einführung und die Aufhebung der Anbindung des Schweizer Franken an den Euro entschieden hat.

So wenig Aufmerksamkeit ist – um es sachte auszudrücken – faszinierend. Die Zusammenhänge zwischen Geldpolitik und Nachhaltigkeit werden mit wenigen Ausnahmen schlicht nicht diskutiert.

Was sind das für Zusammenhänge?

Wir beschäftigen uns bei CEP zum Beispiel mit den Verteilungseffekten von Geldpolitik und sehen, dass die aktuellen Massnahmen der Zentralbanken bedeutende Verschiebungen in der Einkommens- und Vermögensverteilung hervorrufen. Das hat Konsequenzen für die Transmissionsmechanismen und damit auch für die Effektivität der geldpolitischen Entscheide.


«Rahmenbedingungen sollen Anreize schaffen»


Wichtige Fragen ergeben sich auch in Bezug auf die Tatsache, dass Geldpolitik oft nicht sektorneutral ist. Die Käufe der Europäischen Zentralbank (EZB) von Asset-Backed-Securities auf der Basis von Automobilkrediten – und die Tatsache, dass Geschäftsbanken das zum Anlass nehmen, um mehr Automobilkredite zu vergeben – sind ein Beispiel dafür. Es ist erstaunlich, dass wir über eine solche Unterstützung eines bestimmten Wirtschaftssektors durch die Zentralbank keine breitere Debatte führen.

Die Hauptakteure in diesen Mechanismen sind Investoren. Muss man sie an die Kandare nehmen?

Es geht nicht darum, jemanden an die Kandare zu nehmen, sondern es geht um die Schaffung sinnvoller und verlässlicher Rahmenbedingungen. Die ökonomischen Spielregeln müssen Systemstabilität fördern und Investoren einen Anreiz bieten, ihre Entscheide im Sinne der Nachhaltigkeit zu fällen.

Wie wirkt CEP in Hinblick auf das Thema Geldpolitik?

Wir wollen in einem ersten Schritt einen Beitrag leisten, um die Zusammenhänge zwischen Geldpolitik und Nachhaltigkeit zu identifizieren. Schritt zwei wird auf die Erarbeitung konkreter Handlungsempfehlungen fokussieren. Das Ziel verfolgen wir durch eigene Studien und Konferenzen sowie durch die Zusammenarbeit mit weiteren Ökonomen.

Wir konnten beispielsweise bereits vergangenes Jahr mit der Federal Reserve Bank of Atlanta einen Workshop zum Thema «Geldpolitik und Ungleichheit» durchführen. Zusätzlich haben wir 2014 mit dem United Nations Environment Programme (UNEP) zusammengearbeitet und die Auseinandersetzung mit dem Thema Geldpolitik unterstützt.

Wie beurteilen Sie aus Nachhaltigkeitssicht die Geldlockerungs-Massnahmen der Zentralbanken?

Die öffentliche Debatte über diese Programme haben sich vor allem auf das «ob»und nicht auf das «wie» bezogen. Es wäre wichtig, auch zu fragen, ob der Kauf von Staatsanleihen und von verbrieften Hypothekar-, Konsum- und Automobilkrediten der effektivste und effizienteste Mechanismus ist, einer möglichen Deflation entgegenzuwirken.

Ebenso wünschenswert wäre eine Diskussion darüber, in was die EZB die 60 Milliarden Euro seit diesen Tagen monatlich investiert. Der Betrag ist mehr als das Doppelte der 22 Milliarden Euro, die letztes Jahr monatlich in erneuerbare Energien investiert wurden. Die Käufe der EZB bewegen sich somit in Grössenordnungen, die für einen Wandel in Richtung Nachhaltigkeit entscheidend sein könnten – im Sinne eines «Green Quantitative Easing».


Der 42-jährige Alexander Barkawi ist Gründer des Council on Economic Policies (CEP). Dabei handelt es sich um einen wirtschaftspolitischen Think Tank für Nachhaltigkeit mit Fokus auf Fiskal-, Geld- und Handelspolitik. Daneben ist er Präsident der «oikos Stiftung» für die Integration von Nachhaltigkeitsthemen in die Wirtschaftswissenschaften. Barkawi hat an der Universität St. Gallen Ökonomie studiert und in Soziologie promoviert.

 

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