Wir haben unser Leben lang daran gearbeitet, die Kommunikation von Person zu Person zu verbessern. Doch heutzutage brauchen wir ganz neue Fähigkeiten.


Von Bernhard Böttinger


Das Arbeiten im Homeoffice ist topaktuell und in aller Munde – viele finden sich aufgrund der Corona-Krise plötzlich gezwungenermassen in dieser Situation, obwohl sie es nie wollten. Hinter dieser Ablehnung steht eine Reihe von Vorurteilen, die sich durch alle Hierarchiestufen ziehen:

  • Ein Tag im Homeoffice ist wie ein Tag Ferien. Chefs glauben, dass Mitarbeitende im Homeoffice gar nicht wirklich arbeiten (oder viel weniger produktiv sind)
  • Ein Job-Interview muss zwingend ein persönliches Meeting sein
  • Wirklich wichtige oder schwierige Gespräche kann man nur persönlich führen
  • Wenn ich im Homeoffice arbeite, bin ich sozial ausgegrenzt, bekomme den Büroklatsch nicht mit und habe keine Chance bei der nächsten Beförderungsrunde
  • Meine Chefin schenkt mir keine Aufmerksamkeit, wenn ich im Homeoffice bin, nach dem Motto «aus den Augen, aus dem Sinn»

Ist an diesen alten, tiefsitzenden Glaubenssätzen etwas Wahres? Oder ist jetzt nicht vielmehr der perfekte Zeitpunkt, uns von Vorurteilen zu lösen und mit einer neuen Arbeitsweise vertraut zu machen?

Vorteile für jedermann

Immerhin zeigen viele neuere Studien klar, dass das Arbeiten im Homeoffice die Produktivität und Kreativität im Vergleich zu einem traditionellen Büro sogar noch erhöhen kann. Die höhere Flexibilität erlaubt den Unternehmen, besser qualifizierte Mitarbeitende für sich zu gewinnen, während zudem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ganz deutlich erleichtert wird.

In meiner praktischen Führungserfahrung zeigen sich dennoch einige ernstzunehmende Herausforderungen für eine wirksame «Führung auf Distanz»:

  • Zuerst sind da die Tücken der Technik: Unterbrechungen bei der Übertragung von Stimme, Bildern, Videos und geteilten Bildschirmen
  • Die Missverständnis-Quote über Telefon oder Videokonferenz ist klar höher als bei einem persönlichen Gespräch – allerdings immer noch deutlich tiefer als bei der Kommunikation über Emails.
  • Es besteht zudem das Risiko, dass die Führungskräfte den Schwerpunkt ihrer Kommunikation auf die möglichst präzise Erteilung der Aufträge legen und dabei das Zuhören und der soziale Austausch deutlich zu kurz kommen. Geeignete Trainings können hier in kurzer Zeit eine deutliche Verbesserung bewirken.

Mit den folgenden acht pragmatischen Tipps können moderne Führungskräfte das Engagement und die Energie Ihrer Mitarbeitenden auch aus der Distanz hochhalten:

1. Führen Sie neue Spielregeln ein. Definieren Sie klar, wann und wie oft das gesamte Team zusammenkommt und welche Kollaborations-Tools sie verwenden werden. Diese Regeln helfen insbesondere Mitarbeitenden, die sich eventuell isoliert fühlen.

2. Wie wäre es mit einem Morgen-Sprint? Damit meine ich einen 15-minütigen Video-Call zu Beginn des Arbeitstages. Dort können Sie den Kontakt herstellen, einen positiven Startpunkt setzen, noch einmal an die Ziele erinnern und sich über anstehenden Herausforderungen und Aufgabenverteilung abstimmen. Vergessen Sie nicht, Erfolgserlebnisse auszutauschen, um voneinander zu lernen und sich gegenseitig zu loben.

3. Pflegen Sie den «persönlichen» Kontakt. Für Videocalls aktivieren grundsätzlich alle Teilnehmenden die Kamera. Dies erleichtert den Austausch, weil Emotionen, Körpersprache und Mimik besser erkennbar sind. Der positive Nebeneffekt: alle müssen sich weiterhin um einen professionellen Auftritt bemühen.

4. Schaffen Sie eine virtuelle Kaffee-Ecke. Beginnen Sie die Meetings mit einem kurzen Ritual aus Fragen und persönlichen Neuigkeiten – so wie Sie es auch bei einem physischen Meeting machen würden. Denken Sie auch an Geburtstage, Dienst-Jubiläen und andere Ereignisse.

5. Bringen Sie Bewegung in die Sache. Motivieren Sie die Teilnehmenden, auch mal aufzustehen, sich zu bewegen oder zu strecken und während des Meetings herumzulaufen. Wie bei einem physischen Meeting wirken kurze Pausen mindestens einmal pro Stunde wahre Wunder.

6. Pflegen Sie den direkten Austausch. Empfehlenswert sind zusätzliche 1:1-Meetings mit den Team-Mitgliedern. Seien Sie sehr zurückhaltend, diese Meetings abzusagen – sie sind ein Gradmesser für Respekt, Aufmerksamkeit und Fürsorge der Führungskraft.

7. Führen Sie Schalter-Öffnungszeiten ein. Sie werden tendenziell mehr Zeit in Meetings und Calls verbringen als früher und müssen trotzdem noch zugänglich für ihr Team sein. Ein gutes Mittel hierfür ist, wenn Sie sich bewusst gewisse Zeiten blockieren, zu denen Sie für Fragen und kurze Gespräche erreichbar sind.

8. Halten Sie das Energie-Level hoch und achten Sie besonders genau auf die Zeichen der Team-Mitglieder. Oft hilft schon etwas Humor, wie ein lustiges Bild oder Video zu teilen. Wenn Sie Muster oder Regelmässigkeiten bei einer Person feststellen, ist allenfalls ein Einzelgespräch angezeigt, um der Ursache auf den Grund zu gehen.

Die Corona-Krise ist neben aller menschlichen und wirtschaftlichen Tragik auch eine grosse Chance für uns. Wir probieren gerade in grossem Umfang etwas Neues aus – und werden ohne Zweifel eine mitunter frustrierende Lernkurve durchleben. Doch mit einer positiven Grundeinstellung und den acht Tipps klappt es von Sitzung zu Sitzung immer besser.

Krise als Testlabor

Meine persönliche Erwartung ist, dass nach der Coronavirus-Epidemie die virtuelle Team-Arbeit, die ja in internationalen Grossunternehmen schon länger gängige Praxis ist, auch in lokalen Firmen immer mehr zur Regel wird. Der Grund dafür ist, dass wir die Krise zum Erproben nutzen werden und danach viele Menschen die erheblich grössere zeitliche und örtliche Flexibilität und Unabhängigkeit sehr zu schätzen wissen und nicht mehr missen möchten.

Somit bewahrheitet sich hier der Ratschlag «Lasse niemals eine gute Krise ungenutzt vorübergehen!».


Bernhard Böttinger hat sich nach seiner Karriere als Partner für Financial Services in führenden Beratungsunternehmen als Berater im Bereich «Leadership» selbständig gemacht. Er unterstützt seine Kunden bei strategischen Reviews und im Coaching und Mentoring von Führungskräften und Teams. Hierbei schöpft er aus seiner breiten Führungserfahrung (er hat selber 60 Mitarbeitende geführt) und der ICF-zertifizierten Ausbildung «Coaching for Leadership».