Der Internationale Frauentag ist wichtig – aber nicht der Schlüssel zu all den Zielen, die Frauen erreichen wollen, wie die Beraterin Malvika Singh exklusiv für finews.life schreibt. Die Voraussetzungen liegen in einem selber.

Beim Nachdenken über den Internationalen Frauentag (IWD) komme ich zu einem Schluss, der seiner Ironie nicht entbehrt: Wir Frauen haben es geschafft, wenn wir den IWD nicht mehr brauchen und wir einfach den Internationalen Tag des Menschen feiern. Und wann haben wir das letzte Mal den Internationalen Männertag gefeiert?

Wir können uns uns einig sein, dass es sich um ein komplexes Thema handelt, welches den Einsatz verschiedenster Elemente erfordert, wie Politik und Organisationen, aber auch die Gesellschaft, Führungskultur und Kulturwandel.

Ich möchte mich auf das wichtigste Element konzentrieren: Das sind SIE – und die Kraft des Einzelnen.

Was ist Ihr «BHAG»?

Die Macht des Einzelnen trägt jeder von uns in sich. Es ist die Macht, um die Welt zu verändern. Aber wir lassen diese zu oft ungenutzt, da wir schlicht denken, wir besässen sie nicht. Vor 25 Jahre wurde mir eine Frage gestellt, und sie hat mein Leben und meine Arbeit verändert: «Wenn alles möglich wäre – war würden Sie gerne erreichen?».

Es gibt eine Voraussetzung, mit der jede transformative Veränderung beginnt – eine von der Art, welche die Welt verändert. Sie beginnt mit einem «BHAG», einem «Big Hairy Audacious Goal».

Ich bin Wissenschaftlerin und darum eine skeptische Person. Also wollte ich dieses Konzept erstmal widerlegen. Ich setzte mir zwei unmögliche Ziele: Einen Marathon zu laufen und eine Schweizer Niederlassung für meinen damaligen Arbeitgeber zu eröffnen.

Was ist sonst noch unvorstellbar?

Zu jener Zeit war ich nicht in der Lage, mehr als einen Kilometer zu joggen. Ausserdem war ich von der gläsernen Decke in meinem Unternehmen überzeugt. Und ich fühlte mich zu jung und dachte, mein Chef würde mich nicht mögen.

Es geschah etwas Aussergewöhnliches: Innerhalb von vier Monaten hatte ich beide «unmöglichen» Ziele erreicht. Ich stellte mir weitere Fragen: Was ist sonst noch unvorstellbar und wünsche ich ich mir dennoch? Es war der Wendepunkt in meinem Leben und wurde zu meiner Lebensaufgabe und meiner Leidenschaft.

Es gibt eine Wahl

Die Welt zu verändern beginnt mit – Ihnen! Zu handeln ist gerade jetzt dringend notwendig. In der Finanzindustrie wie auch überall sonst sind grosse Veränderung im Gange, wirtschaftlich, sozial und politisch. Frauen müssen Aktivisten sein.

Wir haben die Wahl, Geschichte zu machen oder von der Geschichte geprägt zu werden. Fortschritte, Durchbrüche, Revolutionen, Innovationen – die Geschichte ist übersät davon und alle beginnen mit dem «BHAG» einer einzigen Person. Es sind gewöhnliche Menschen, die das Aussergewöhnliche erreichen.

Immer gleiche Schlüsselzutaten

Wir können uns an Erkenntnissen aus der Neurowissenschaft, der Psychologie und der Verhaltensökonomie bedienen und sie als Blaupause nehmen, um diese Macht des einzelnen zu erreichen.

Ich hatte in den letzten 30 Jahren das Privileg, mit aussergewöhnlichen Führungskräften zu arbeiten und habe diese Konzepte erprobt. Sie funktionieren! Um diese «Power of One» freizusetzen braucht es einige immer gleiche Schlüsselzutaten, nur das Rezept variiert. Diese Schlüsselzutaten gelten für jeden, unabhängig von Rasse, Geschlecht oder Alter.

Das 90/10-Prinzip

Die erste Zutat ist das «BHAG». Wir wissen aus den Neurowissenschaften und der Verhaltensökonomie, dass das Gehirn zwei Betriebsarten hat – automatisch und absichtlich. Dies wurde vom Nobelpreisträger Daniel Kahneman herausgearbeitet. Wir neigen meistens dazu, auf Autopilot zu sein.

Der erste Schritt besteht darin, aus diesem Autopiloten auszusteigen und sich auf den Fahrersitz zu begeben. Wenn alles möglich wäre, und das ist es meistens, was würden Sie gerne erreichen? Diese Frage ist relevant für unser Leben, unseren Beruf, unsere Beziehungen, für alle Dinge, die Ihnen wichtig sind.

«BHAG» ist ein Muskel, den Sie jeden Tag trainieren und aufbauen müssen. Trauen Sie sich jeden Tag etwas zu. Trainieren Sie diesen Muskel. Ich glaube fest an die 90/10-Regel: 10 Prozent ist das, was das Leben Ihnen gibt, und 90 Prozent ist das, was Sie daraus machen. Sie haben eine Wahl, Sie wählen ständig, bewusst oder unbewusst. Wofür entscheiden Sie sich? Auf dem Fahrer- oder Beifahrersitz zu sitzen? Der Architekt der Veränderung zu sein oder ein Beobachter?

Halten Sie die Klappe!

Das nächste, was sich meldet, nachdem Sie sich ein BHAG gesetzt haben, ist die sehr laute und manchmal ohrenbetäubende innere Stimme: «Ich bin nicht klug genug. Ich bin zu alt, zu jung. Es gibt eine gläserne Decke. Das funktioniert im Bankwesen nicht ...». Die Liste ist endlos.

Es ist wie eine Ente, die auf Ihrer Schulter sitzt und vor sich hin quakt. Dabei handelt es sich um ihren inneren Überlebens-Mechanismus, dessen Absicht es ist, Sie sicher und in Ihrer Komfortzone zu halten. Sie müssen die Ente zum Schweigen bringen! Der Ratschlag hier ist, zu etwas Hilfreicherem zu reframen, wie zum Beispiel: «Ich habe, was es braucht».

Nehmen Sie sich ein paar Engel

Die dritte wichtige Zutat ist, dass Sie sich mit einem Komitee von «Engeln» umgeben. Es gibt überall Menschen einschliesslich Sie selbst, die hundert Gründe und Argumente nennen werden, warum Sie es nicht schaffen können.

Es gibt einen Grund, warum Sie es können und werden: Weil Sie es tun wollen. Das ist es, worauf es ankommt. Umgeben Sie sich bei der Arbeit und zu Hause mit Menschen, die Sie unterstützen und mit Ideen befruchten.

Wenn wir heute den IWD feiern, haben wir die Wahl: Darauf zu warten, dass die Veränderungen kommen, oder sie zu gestalten. Ich entscheide mich, nicht zu warten.

Malvika Singh ist Gründungspartnerin von Impact, einer internationalen Beratungs- und Führungsentwicklungsfirma mit Büros in der Schweiz und den USA. Singh berät in der Finanzindustrie CEO, leitende Angestellte und Führungsteams in den Bereichen Organisations- und Führungsentwicklung. Sie ist die Initiatorin, Mitbegründerin und Vorstandsmitglied von Advance, der führende Schweizer Organisation zur Förderung der Gleichberechtigung.