Die Schweizer Finanzbranche macht schwierige Zeiten durch. Immer neue Analysen verkünden den Niedergang. Haben die Untergangspropheten recht?

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Dazu zwölf Thesen, die finews.ch-Mitgründer Claude Baumann entworfen hat.*

1. These: Das Bankgeheimnis wird stark an Bedeutung gewinnen

Wer den urschweizerischen Diskretionsschutz vorschnell abschreibt, begeht einen kapitalen Fehler. Natürlich kann das Bankgeheimnis nicht mehr dazu dienen, Steuern zu hinterziehen. Doch in der Welt von heute ist das Bedürfnis nach dem Schutz der finanziellen Privatsphäre grösser denn je – vor allem in den Schwellenländern, wo der neue Wohlstand gedeiht. Darum wird die Essenz des Schweizer Bankgeheimnisses auch in Zukunft gefragt sein.

Das Regelwerk wird zwar auf Druck von aussen sukzessive aufgeweicht, doch das schweizerische Selbstverständnis für Verschwiegenheit verschwindet dadurch kaum. Denn schon lange, bevor das Bankgeheimnis 1935 in Kraft trat, existierte in der Schweiz eine Diskretionskultur. Natürlich werden Datenmissbräuche nie ganz zu verhindern sein. Aber aufgrund der jüngsten Erfahrungen werden die Banken ihr Personal gewissenhafter aussuchen und ihre internen Kontrollen so ausbauen, dass es erheblich schwieriger sein wird, solche Straftaten zu begehen.

Fazit: Mit der Euro-Krise, der Überschuldung vieler Industrienationen und der politischen Unsicherheit in vielen Teilen der Welt steigt das Bedürfnis der Menschen nach finanzieller Sicherheit. Schon in wenigen Jahren wird das Bankgeheimnis bei versteuerten Vermögen ein unverwechselbarer Wettbewerbsvorteil der Schweizer Finanzbranche sein – weil es so etwas im Ausland nicht gibt. «Darum», sagt auch Historiker Robert Vogler, «verdient das Bankgeheimnis mehr Anerkennung und einen besseren Schutz durch die Politik.»

2. These: Privatbanken verschwinden – Partnerschaften kommen

Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in der Schweiz 700 Privatbankiers. Im Jahre 1934 zählte die Vereinigung der Schweizerischen Privatbankiers 42 Mitglieder. Heute sind es noch zwölf. Der Trend ist klar: Für die unbeschränkt haftenden Privatbankiers wird es zusehends enger.

Denn seit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers, der UBS-Rettung und der drohenden Insolvenz ganzer Staaten weiss man, dass selbst scheinbar unumstössliche Gegenparteien kollabieren können. «Das», sagt Jacques de Saussure von der Genfer Privatbank Pictet, «ist ein Paradigmenwechsel, der unser Geschäft um einiges schwieriger macht.»

Fazit: Die klassischen Privatbanken als Urbilder des schweizerischen Geldwesens werden sukzessive verschwinden oder ihre Gesellschaftsform den neuen Gegebenheiten anpassen müssen. Partnerschaftliche Modelle, bei denen die leitenden Mitarbeiter beteiligt sind, bleiben dabei aber attraktiv. Denn letztlich garantieren nur sie die so eminent wichtige Balance zwischen Risiko und Verantwortung.

3. These: Die neue Vermögensverwaltung erfordert Arbeitskräfte

Tiefere Erträge, erodierende Gewinne und steigende Kosten – kein Wunder, dass die neue Realität im Bankbusiness einen massiven Stellenabbau in Aussicht stellt. Gut möglich ist aber auch, dass es mittelfristig gar nicht so heftig kommt.

Das Geschäft ist auch viel komplexer geworden, seit Aufsichtsbehörden und Politiker mit ständig neuen Auflagen die Finanzwelt zähmen wollen. Darum werden künftig mehr Spezialisten vonnöten sein – in steuerlichen Belangen, bei Erbschaftsfragen, im Treuhand-Business, bei Nachfolgeregelungen und im grenzüberschreitenden Bankgeschäft. Es wird Produktentwickler brauchen, die den veränderten Anforderungen Rechnung tragen, und jede Menge Juristen, die im Gesetzesdschungel die Übersicht wahren.

Fazit: Die Vermögensverwaltung im 21. Jahrhundert erfordert Know-how, das ein Einzelner gar nicht mehr erbringen kann. Darum dürfte der viel zitierte Radikalabbau im Swiss Banking nicht so dramatisch ausfallen, oder wie es Credit-Suisse-Chef Brady Dougan letztes Jahr formulierte: «Weil wir davon ausgehen, dass manche Aktivitäten in der Zukunft wieder anziehen werden, beschäftigen wir in manchen Abteilungen mehr Leute als nötig.»

4. These: Das «Premier-League-Syndrom» hält die Löhne oben

Es ist unbestritten, dass in der Vergangenheit viele Bankangestellte überbezahlt waren, insbesondere im Investmentbanking. Allein schon aus Rentabilitätsüberlegungen geht der Trend nun eher in Richtung Bescheidenheit und Verzicht. Doch ob dadurch die Löhne auf breiter Front sinken, ist fraglich.

Der Grund dafür ist das «Premier-League-Syndrom», wie der Finanzanalyst James Chappell von der Bank Berenberg erklärt. Wie im Fussball wollen die besten Investmentbanken an der Spitze mitmischen. Das ist eminent wichtig für ihr Image, weil sie nur so die lukrativsten Deals an Land ziehen können. Doch wie die besten Kicker haben auch die besten Investmentbanker ihren Preis. «Wenn ein Unternehmen mehr zahlt, müssen die anderen nachziehen», sagt Chappell. Das führe zu einer neuen Gehaltsspirale. «Und in der Tendenz neigen sowohl die Fussballklubs als auch die Banken dazu, ihre neuen Spieler zu überzahlen.»

Fazit: Die ganze Lohndiskussion ist noch lange nicht vorbei. Sie wird auch künftig höchst kontrovers geführt werden.

5. These: Bankmarken sind austauschbar

Die Banken sollten sich nicht allzu viel auf ihre Marke einbilden. Denn die Kunden vertrauen eher ihrem Berater als der Bank, für die er gerade arbeitet. Dies brachte die liechtensteinische LGT-Gruppe jüngst in einer repräsentativen Umfrage in Erfahrung.

Kommt hinzu, dass sich die meisten Banken mit den ewig gleichen Attributen schmücken. Man präsentiert sich als geschichtsträchtiges Haus mit Ahnengalerie, Wappen und den Porträts der aktuellen Repräsentanten der Bank. «Die Selbstdarstellung orientiert sich viel zu stark an der Innensicht», stellt die Markenexpertin Karin M. Klossek fest. So bleibt die Differenzierung auf der Strecke.

Fazit: Banken werden sich in Zukunft weniger über ihre Marke als über ihre Mitarbeiter sowie über die Qualität und Vielseitigkeit ihrer Dienstleistungen profilieren. In den meisten anderen Branchen ist das schon lange so.

6. These: Das Investmentbanking muss auf- und nicht abgespalten werden

Seit der Finanzkrise hat das Investmentbanking einen schweren Stand. Allein schon mit seinen volatilen Ertragsströmen setzt es die grossen Banken einer enormen Unwägbarkeit aus. Missbräuche wie zuletzt die dreisten Manipulationen beim Libor-Zinssatz tragen zusätzlich dazu bei, dass diese Disziplin in Verruf steht. Unter diesen Prämissen erstaunt es nicht, dass die Forderung nach der Abspaltung des Investmentbanking bei UBS und Credit Suisse in der öffentlichen Diskussion zum Dauerstoff geworden ist.

Allerdings greift diese Argumentation zu kurz. Das Investmentbanking der beiden Schweizer Grossbanken muss nicht ab-, sondern aufgespalten werden. Um ihrer Zweckbestimmung – der Kapitaltransformation – wieder vermehrt gerecht zu werden, benötigen die Banken gewisse Investmentbanking-Aktivitäten. Damit vergeben sie Kredite, wickeln Kapitalmarkttransaktionen für Firmenkunden ab oder erstellen Firmenanalysen.

Was es unter demselben Dach hingegen nicht braucht, ist der kostspielige Eigenhandel, sind waghalsige Spekulationen an den Kapitalmärkten und die Entwicklung und Vermarktung komplexer Derivate, die zum Ausbruch der Finanzkrise geführt haben.

Fazit: UBS und Credit Suisse werden auch in Zukunft ein Investmentbanking betreiben, nur wird es von ganz anderer Qualität sein. 2012 hat sich dieser Trend bereits deutlich angekündigt.

7. These: Das Outsourcing stärkt den Schweizer Bankenplatz

Arbeitsplatzverlagerungen nach Osteuropa oder nach Asien sind unpopulär. Dabei ist die Bankbranche wahrscheinlich einer der letzten Wirtschaftszweige, bei denen Unternehmen meinen, die ganze Wertschöpfungskette ihres Angebots selber unterhalten zu müssen.

Wenn die Schweizer Banken weiterhin wettbewerbsfähig bleiben wollen, müssen sie sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und alles andere delegieren.

Fazit: Outsourcing im weitesten Sinne, also auch über Kooperationen innerhalb der Schweiz, wird zum Gradmesser für die Leistungsfähigkeit der Schweizer Bankbranche. Dadurch entstehen sogar neue Arbeitsplätze.

8. These: Erst der nächsten Chef-Generation wird man wieder vertrauen

Im Zuge der epochalen Veränderungen im Swiss Banking sind bereits viele Chefetagen umgepflügt worden. Trotzdem sucht man neue Lichtgestalten der Branche vergebens. Das kommt nicht von ungefähr.

Die derzeitigen Chefs sind immer noch Teil des alten Systems, das seine Glaubwürdigkeit verspielt hat. Ihr Aufstieg an die Spitze erfolgte in den ungezügelten Zeiten des Schweizer Bankwesens und unter jenen Führungsgestalten, die für die Exzesse hauptverantwortlich sind.

Fazit: Erst die nächste Generation, die sich jetzt in der zweithöchsten Hierarchiestufe bewährt, muss in einigen Jahren das Vertrauen der Öffentlichkeit wieder erlangen – dann erst wird auch die Politik wieder auf Schmusekurs mit den Banken gehen.

• Thesen 9 bis 12: Branchenfremde Akteure — Revival der Bankfiliale — Die Rolle von Social Media — Die Grossbanken und die Schweiz

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