Der Schlendrian der EU, weniger das Unvermögen Griechenlands ist verantwortlich für die Misere: Dies schreibt Finanzprofessor Erwin Heri.

ErwinHeri.quadratVon Erwin W. Heri, Professor für Finanztheorie an der Universität Basel und Verwaltungsratspräsident der Valartis Group

Was heute die Finanzmärkte beunruhigt, sind nicht die eigentlichen Finanzlöcher in der griechischen Staatsrechnung.

Wenn man realistisch und ehrlich ist, dann würden sich diese auch durch eine Kombination von «Haircuts» bei denjenigen, die in griechischen Anleihen spekuliert haben und bei denjenigen, die in den letzten Jahren in Griechenland «vergessen haben» die Steuern zu bezahlen, stopfen lassen.

Politischer Schlendrian

Was die Märkte nervös macht, ist vielmehr die Tatsache, dass die Griechenland-Misere Ausdruck eines ganz anderen Problems ist. Es ist der politische Schlendrian, der sich in den letzten zehn Jahren in der ganzen Europäischen Union (EU) eingeschlichen hat.

Es war schon bei der Geburt des Euro klar, dass eine Währungsunion niemals ohne Rahmenbedingungen im Sinne einer politischen, sicher aber fiskalischen Union auskommen würde. Die damals kritischen Stimmen wurden dadurch zu beruhigen versucht, dass man über die Maastricht-Kriterien einen so genannten Stabilitätspakt verfügte.

Stabilisierung der Konjunktur

Die klar formulierte Idee des Stabilitätspaktes war, in wirtschaftlich vernünftigen Zeiten einen annähernd ausgeglichenen Staatshaushalt oder gar einen Überschuss zu erwirtschaften. Dies, damit in wirtschaftlich schwierigen Zeiten durch eine Erhöhung der Staatsausgaben eine Stabilisierung der Konjunktur erreicht werden könne.

Die quantitativen Regeln bestanden darin, eine Neuverschuldung von maximal 3 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu akzeptieren sowie einen Schuldenstand eines Landes von maximal 60 Prozent des BIP.

Viele Abweichler

Schon bald wurde klar, dass diese Kriterien in den politischen Prozessen der EU verwässert würden. Nicht nur hielten sich die grossen Länder selbst bald nicht mehr an die Vorgaben, es wurden sogar Länder in die EU aufgenommen, die schon von Anfang an die Kriterien nicht zu erreichen vermochten (und wahrscheinlich nie eine Chance hatten, dies zu tun).

Das mag alles politisch sinnvoll gewesen sein, ändert aber nichts an der altbekannten Tatsache, dass Währungsunionen noch nie ohne gleichgerichtete fiskalische Regulierungs- und Steuerungsmassnahmen funktioniert haben.

Unfähigkeit der EU

Das heutige Problem ist also nicht einfach nur Griechenland. Das Problem war und ist die Unfähigkeit der EU, die notwendigen und seinerzeit richtig erkannten (Maastricht-)Bedingungen zum Funktionieren eines Euroraumes durchzusetzen.

Und wie sieht die Situation in der EU heute aus? Es gibt sie schon, die Musterknaben. Es sind aber nicht unbedingt diejenigen, die wir erwarten würden.

Nicht allzu streng sein

Beide Maastricht-Kriterien werden nur von Schweden, Luxemburg, Finnland, Dänemark und Estland erfüllt. Alle anderen Länder der EU erfüllen die Maastricht-Kriterien heute nicht mehr.

Nun sollten wir hier vielleicht nicht allzu streng sein, immerhin sind die Zahlen zu den aktuellen Defiziten stark vom Konjunkturzyklus abhängig, und entsprechend brauchen die Zahlen für ein einzelnes Jahr nicht unbedingt ein repräsentatives Bild für die Schuldenmoral dieses Landes abzugeben.

Indikator für Finanzdisziplin

Die Schuldenquote, sprich: die Gesamtschulden in Prozent des Bruttoinlandproduktes aber schon. Denn diese zeigen ja quasi die kumulativen Defizite über die letzten Jahre und stehen damit als Indikator für die Finanzdisziplin des jeweiligen Landes.

Und dem Finanzmarkt und den internationalen Investoren signalisieren sie, wie die Schulden relativ zum Wirtschaftspotential und damit zur Möglichkeit der Schuldenrückzahlung aussehen.

Bittere Pille

Und hier gibt es bittere Pillen zu schlucken. Griechenland ist noch nicht einmal das schlimmste Beispiel. Italiens Schuldenquote liegt ebenfalls bei rund 120 Prozent des BIP. Auch Belgiens Staatsschuld liegt bei 100 Prozent des BIP.

Und auch viele andere «grosse Europäer», die heute mit Fingern auf Griechenland zeigen, können sich nicht rühmen (Deutschland 73 Prozent, Frankreich 77 Prozent). Spanien hingegen, das in den letzten Wochen gelegentlich auch in einen Spekulationsstrudel hineingeraten ist, weil vielerorts der Unterschied zwischen Defizit und Staatsschuld nicht richtig verstanden wird, erfüllt auf der Ebene der Schuldenzahlen sogar noch die Maastricht-Kriterien (53 Prozent).

Märkte zwingen Euro in die Knie

Wenn die europäischen Defizite im letzten Jahr bitterrot ausschauen, dann mag dies aus der gegenwärtigen konjunkturellen Situation heraus vielleicht gerade noch verständlich sein. Wenn es der EU aber nicht gelingt, glaubwürdige Massnahmen zur mittelfristigen Sanierung der gesamten EU-Defizitsituation zu präsentieren, dann werden die Finanzmärkte über kurz oder lang das Euro-System in die Knie zwingen.

Noch einmal: Währungsunionen kommen nie und nimmer ohne durchsetzbare fiskalische Koordination aus. Wäre es nicht schön, wenn wir endlich aus der Geschichte lernen würden?


Dieser Beitrag wird gleichzeitig publiziert in PRIVATE Ausgabe 3/2010 – Das Magazin für private und institutionelle Investoren.

 

 

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