Gibt es Parallelen zwischen der Natur und der Finanzindustrie? Sandro Schmid, Partner bei der Firma Deloitte in Zürich, hat dieses Phänomen untersucht.

Von Sandro Schmid, Financial Advisory Partner und Risk Management Experte bei der Deloitte AG, Zürich

deloitte schmid sandroDie Forschung der letzten Generation von Wissenschaftlern zeigt, dass es Parallelen gibt - zumindest in der Theorie. Ein prominentes Beispiel wäre die Braunsche Bewegung, die zunächst als mathematische Methodik zur Bestimmung der Position von mikroskopischen Partikeln diente und von dem Mathematiker Kiyoshi Itō für die Berechnung von Raketenflugbahnen weiterentwickelt wurde.

Diese Theorie bildete die mathematische Basis für die Berechnung von Optionspreisen durch Black, Scholes und Merton und legte damit die Grundlage für ein modernes, quantitatives Risikomanagement. Auch in anderen quantitativen Risikomodellen, die zurzeit von der Finanzindustrie verwendet werden, gibt es Methodiken welche aus der Physik sowie aus anderen Naturwissenschaften wie der Biologie und Psychologie stammen und abgeleitet wurden.¹

Schuld waren die Risikomodelle

Manche Kritiker würden an dieser Stelle behaupten, dass der Mehrwert einer solchen Diskussion heute fraglich ist. Letzten Endes waren mangelnde Risikomodelle an der heutigen Finanzkrise nicht unschuldig. Die meisten Risikomodelle haben die grossen Verluste, die durch die US-Subprime-Krise verursacht worden sind, weder verhindern noch voraussehen können und haben eher konträr zu Übermut bei vielen Risikonehmern geführt.

Soll deshalb die Gewichtung von quantitativen Modellen im Risikomanagement verringert werden? Sollen Risikomanager weiterhin versuchen die Erkenntnisse der Naturwissenschaft zu Werkzeugen der Messung und Vermeidung von Risiken weiter zu entwickeln und anzuwenden? Oder ist dies ein nutzloses Unterfangen?

Die Grundlagenforschung von Physikern dient dazu, unsere Welt besser zu verstehen und daraus konkreten Nutzen für die Menschheit zu entwickeln und zu ziehen. Dieser Nutzen bleibt aber nicht nur auf die Natur beschränkt. Die Quantenphysiker um Anton Zeilinger, selbst Vorstand des Instituts für Experimentalphysik der Universität Wien, haben es geschafft rein zufällige Ereignisse in der Quantenphysik für die Kryptographie zu nutzen.

Den Finanzmarkt in den Griff bekommen?

Dabei werden quantenphysikalische Zufallsgeneratoren bereits erfolgreich eingesetzt und im Zusammenspiel mit einem weiteren quantenphysikalischen Phänomen - der Verschränkung - ermöglicht das Prinzip Zufall die abhörsichere bzw. nicht entschlüsselbare Übertragung von geheimen Informationen. Die Quantenphysik ist ohne Zweifel eine der Schlüsseltechnologien unserer Informationsgesellschaft. Verglichen mit quantenphysikalischen Versuchsanordnungen lässt sich das komplexe System der internationalen Wirtschaftswelt allerdings schwieriger modellieren.

Heisst dies nun im Umkehrschluss, wir sollen von diesem Ziel loskommen und versuchen durch einfachere regulatorische Methoden den Finanzmarkt in den Griff zu bekommen? Zum Beispiel durch einfache aufsichtsrechtliche Massnahmen wie die Einführung eines Leverage Ratios und die Reformierung der Management Bonussysteme? Oder möglicherweise sogar durch die Adoption von internationalen Handelsgesetzen, die beispielsweise den grenzüberschreitenden Handel von komplexen Derivatinstrumenten verbieten sollen, um Risiken zumindest regional einzuschränken?

Physiker mit Verständnis für die Finanzbranche

Letztere Lösung ist in der modernen Finanzwelt kaum möglich, da komplexe Instrumente sowie ein globaler Finanzplatz langfristig erhöhte Optionen für Investoren, wie aber auch einen effizienten Marktplatz für den Austausch von Risiken ermöglichen. Strengere aufsichtsrechtliche Massnahmen müssen wohl durchgeführt werden, die Komplexität der Finanzmärkte sowie deren Instrumente wird aber höchstwahrscheinlich erhalten bleiben, wenn nicht sogar steigen. Deshalb ist es weiterhin erforderlich, die Eigenschaften der Finanzprodukte, besonders in Bezug auf ihre Risiken, anhand fortgeschrittener Methodik besser zu verstehen und beherrschen.

Um dies zu ermöglichen ist ein ständiger Kontakt zwischen akademischen Disziplinen notwendig und gerade aufgrund dessen muss die Grundlagenforschung durchlässig bleiben respektive sich auch weiterhin austauschen. Risikomanager sollen erkennen können, ob die Arbeit von Naturwissenschaftlern und deren Forschung künftig für die Finanzmärkte angewendet werden kann. Gleichzeitig - und dies ist heute viel seltener - sollte es ebenso Physiker geben, die in der Lage sind zu realisieren, wenn ihre Forschung auch in anderen Disziplinen, vor allem in der Finanzwelt angewendet werden kann.

Das Problem dabei ist eher die Überwindung von Paradigmen. Tatsache ist: Unser aktuelles Wissen hinsichtlich Portfoliotheorie, Kapitalmärkten und Risikomanagement ist genauso kritisch zu hinterfragen, wie die Theorien der Quantenphysiker, unsere Alltagswelt mit Hilfe ihres Arbeitsansatzes in Frage gestellt und mittlerweile revolutioniert haben. Dabei können Risikomanager aus der Finanzindustrie einiges von den Physikern lernen - und dies nicht nur in der Theorie.

Fundamentale Gesetze hinterfragt

In der Physik sind Institute oft bereit massive Investitionen zu tätigen, die sich erst langfristig auszahlen werden. Als aktuelles Beispiel gilt der Large Hadron Collider des CERN, der während einer Bauzeit von über 12 Jahren über 4 Milliarden Franken gekostet hat. Obwohl man heute nur spekulieren kann, ob diese Investition überhaupt einen Beitrag an die Wissenschaft leisten wird, ist die Bereitschaft der Sponsoren sowie der involvierten Wissenschaftler hoch, weil sie richtigerweise erkennen, dass gerade deshalb Potenzial besteht, unser Verständnis der Naturgesetzte völlig zu revolutionieren.

Das heisst letztlich, es existieren nicht nur Parallelen zwischen den Naturgesetzen und der Finanzindustrie, es gibt auch zusätzlich einige Lektionen, die Risikomanager von Physikern und anderen Naturwissenschaftlern lernen können. In der Geschichte haben Naturwissenschaftler immer wieder fundamentale Gesetze der Natur hinterfragt und daraus immer wieder revolutionäre Ideen generiert. Dies sollte in der Finanzwelt nicht anders sein und sich in der Zukunft auch ebenso wenig ändern.

Diejenigen Risikomanager, die erkennen, wann Fortschritte auch ausserhalb ihres Umfeld für ihre Arbeit relevant sein können, werden einen fundamentalen Beitrag zur Weiterentwicklung der Praxis leisten. Vielleicht werden sie sogar dazu beitragen, künftige Finanzkrisen zu vermindern, oder gar zu vermeiden.

¹Z.B. Neural Netzwerke, Hitzegleichungen zur Lösung von stochastischen Differenzialgleichungen oder Prospect Theory (wofür der Psychologe Daniel Kahneman 2002 sogar den Wirtschaftsnobelpreis erhielt)

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