Der Ausblick für Gold ist derzeit «konstruktiv». Die Zinspolitik der Notenbanken begrenzt zwar vorerst das Aufwärtspotenzial. Doch einige Auguren prognostizieren schwindelerregend hohe Goldpreise im neuen Jahr. Ist das realistisch?

«Big Short» Michael Burry sieht die Zeit für Gold jetzt gekommen, «Bond King» Jeffrey Gundlach hält das Edelmetall für zusehends interessanter, Hedgefonds haben ihr Long-Engagement im Gold zuletzt erhöht und ihre Short-Wetten weiter reduziert – nach einem schwierigen Jahr mit heftigem Gegenwind befindet sich der Goldmarkt zum Jahresende hin wieder im Aufwind.

Obgleich Gold dieses Jahr einen mehrmonatigen Preisdurchhänger hatte, entwickelte es sich deutlich besser als andere Anlageklassen wie Aktien oder Obligationen, speziell in der Optik eines Anlegers ausserhalb des Dollarraums. Trotz der Zinserhöhungsrunde der führenden Notenbanken im Dezember hält sich der Unzenpreis derzeit auch relativ stabil in der Region um die 1'800 Dollar.

Setzt Gold nächstes Jahr gar zu einem neuen Höhenflug an, wie nun teilweise in Aussicht gestellt wird?

Notenbanken greifen zu

In Zeiten wirtschaftlicher und geopolitischer Unsicherheit sowie hoher Inflation haben sich auch die Zentralbanken dem Gold als Wertaufbewahrungsmittel im Jahresverlauf immer stärker zugewendet. Notenbanken aus aller Welt haben im dritten Jahresviertel die in einem Quartal grösste Goldmenge seit 1967 gekauft. Damals war der Dollar als Weltreservewährung noch mit Gold gedeckt.

Da die weltwirtschaftlichen Unwägbarkeiten noch eine ganze Weile andauern dürften, werden Zentralbanken ihre Goldbestände in den nächsten Monaten wohl weiter aufstocken. Aus den jüngsten Daten des World Gold Council (WGC) geht hervor, dass die Türkei, Usbekistan, Indien und Katar im dritten Quartal die grössten Goldkäufer waren.

Ist Russland der heimliche Käufer?

Aber eine beträchtliche Menge Gold wurde auch von Zentralbanken gekauft, die ihre Käufe nicht öffentlich gemeldet haben. Der WGC machte keine näheren Angaben dazu, um welche Länder es sich dabei handeln könnte.

Am Markt wird kolportiert, dass vor allem Russland seine Goldbestände kräftig hochgefahren haben könnte. China und Russland gehören zu den Ländern, die nicht regelmässig Informationen über ihre Goldbestände veröffentlichen. Viele Marktbeobachter vermuten, Russland kaufe einen Grossteil seiner Goldproduktion auf, um unabhängiger vom Dollar zu werden. Es bleibt aber unklar, wer genau die «heimlichen» Käufer sind. 

Für Aufsehen am Goldmarkt sorgte auch Zoltan Pozsar von der Credit Suisse. In seiner Analyse vom Dezember befasste sich der Makro-Spezialist mit der strategischen Erdölreserve der Vereinigten Staaten, russischem Öl und Gold. Der für seinen Schreibstil und seine unkonventionelle Analysen viel beachtete CS-Ökonom spekulierte, dass der Goldpreis auf 3'600 Dollar die Feinunze klettern könnte.

Unheilige Allianz

Seine jüngste These: Wenn Russland als Antwort auf die Ölpreisobergrenze der G7-Staaten Gold als Zahlungsmittel für Rohöl akzeptiert, könnte sich der Goldpreis verdoppeln. «Verrückt? Ja. Unwahrscheinlich? Nein», kommentierte der Ungare in seinem Schreiben. Bevor Pozsar im Februar 2015 zur Credit Suisse kam, war er unter anderem leitender Berater des US-Finanzministeriums. 

Wenn Russland sich dafür entscheidet, sein Öl an Gold zu koppeln, könnte es Gold wieder als Zahlungsmittel einsetzen, und sein Wert würde stark steigen, erläuterte er. Sollten Regierungen Öl mit Gold bezahlen, so orakelte Pozsar weiter, könnte dies eine Liquiditätskrise bei Banken auslösen, die am Papier-Goldmarkt tätig sind.

«Ungeheuerliches Niveau»

Einen ähnlich hohen Goldpreis wie Pozsar hält man auch in Dänemark für möglich. In ihren ungeheuerlichen Vorhersagen für 2023 führt die Saxo Bank Gründe für einem hochschiessenden Goldpreis auf.

Chefökonom Steen Jakobsen prophezeite, die Märkte würden nächstes Jahr erkennen, dass die Annahme einer nur vorübergehenden Inflation falsch sei und dass die Teuerung auf hohem Niveau verharren werde. In Reaktion auf das Versagen der Notenbanken, Preissteigerungen und Zweitrundeneffekte in Griff zu bekommen, werde der Goldpreis 3'000 Dollar erreichen.

Marktumfeld hält Goldpreis im Zaum

Abgesehen von solchen Spekulationen und Hypothesen gestaltet sich der Ausblick für Gold zwar konstruktiv, aber der Start ins neue Jahr dürfte dennoch holprig werden. Goldanleger müssen sich fürs Erste wohl weiter gedulden. Das Marktumfeld, das den Goldpreis im bisherigen Jahresverlauf belastet hat, vor allem die aggressive Geldpolitik der US-Notenbank, wird zumindest in der ersten Jahreshälfte 2023 bestehen bleiben.

Obwohl die Teuerung seit Sommer nachgelassen hat, stellte US-Notenbankchef Jerome Powell an der letzten Sitzung unmissverständlich klar: Die Arbeit der Zentralbank ist noch nicht beendet. Etlichen Goldauguren zufolge ist daher vorerst mit Kursen um die 1'800 Dollar pro Unze zu rechnen, auch vorübergehende Schwächephasen sind möglich. Viele Experten denken aber, dass sich die Fed dem Ende ihres Straffungszyklus nähert, was ab der zweiten Jahreshälfte gut für Gold sein könnte.

Henrik Marx, Leiter Edelmetallhandel von Heraeus Precious Metals, erwartet, dass die Inflation weiter nachlassen und eine schwächelnde US-Wirtschaft in den Fokus der Währungshüter rücken wird. Die entscheidende Frage ist seiner Meinung nach, «wann die Fed den Trend umkehrt und die Zinsen nicht weiter erhöht – oder eventuell gar zurückfährt». Ein Wechsel beim Zinskurs könnte zu einer Richtungsänderung für den Dollar und damit zu einem Trendwechsel bei Gold führen.

Im Bann der Geldpolitik

Auch beim US-Fondsriesen State Street geht man davon aus, dass der Kurs der globalen Geldpolitik und das Risiko einer weltweiten Wirtschaftsrezession die wichtigsten Faktoren für Gold im kommenden Jahr sind. Das Edelmetall könnte aufgrund einer Pause bei der Straffung der Geldpolitik, eines schwächeren Dollars und der anhaltenden Volatilität im Zuge der geopolitischen Unsicherheit an Stärke gewinnen, heisst es.

Im Basisszenario, das davon ausgeht, dass die USA um eine schwere Rezession herumkommen, sehen die Experten von State Street den Goldpreis in einer Bandbreite von 1600 bis 1900 Dollar. Im Bullenszenario, dem eine Wahrscheinlichkeit von 20 Prozent zugemessen wird, liegt die potenzielle Handelsspanne für Gold bei 1'900 bis 2'000 Dollar. In diesem Szenario schwenkt die US-Notenbank um und beginnt, die Zinssätze als Reaktion auf sich verschlechternde Wirtschaftsdaten zu senken, während die Vereinigten Staaten auf eine lang anhaltende Rezession zusteuern.

Risiken vernachlässigt

Beim ETF-Spezialisten Van Eck sieht Goldexperte Joe Foster eine Chance, dass sich die Erholung des Goldes verstärkt und es zu seinem Allzeithoch um die 2000 Dollar zurückkehrt. Doch dazu müsse die Investitionsnachfrage steigen. Auch für Heraeus-Stratege Marx spielt die Investmentseite ein Zünglein an der Waage.

Für einen höheren Goldpreis sprechen nach Ansicht von Foster Risikofaktoren wie eine weltweit anhaltende und erhöhte Inflation, eine schwächelnde Wirtschaft und geopolitische Unsicherheiten. Der Markt scheine solche Risiken noch zu ignorieren, seiner Meinung nach nehme die Wahrscheinlichkeit höherer Goldpreise im Jahr 2023 und darüber hinaus aber zu.