Es braucht eine bessere Kontrolle der systemischen Risiken in der Finanzwelt. Nur: Zuerst müssten die Probleme korrekt diagnostiziert werden. Von Martin Hess

Martin_Hess_119x168Martin Hess ist Leiter Wirtschaftspolitik bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Die traditionelle Aufsicht einzelner Bankinstitute genügt nicht zur Sicherstellung der Stabilität des Finanzsystems. Zu dieser Aussage gibt es heute aus zwei Gründen kaum mehr Widerspruch.

• Einerseits können durch den Fokus auf die Banksolvenz Systemrisiken – wie eine hohe Korrelation einer Vielzahl ähnlicher Finanzinstitute – nicht ausreichend kontrolliert werden.

• Andererseits können in Krisenzeiten Auflagen zur Sicherung der Solvenz das System sogar destabilisieren. Im Ausland hat dies bisweilen bereits zu Kreditklemmen geführt.

Vorschläge, wie die makroprudentielle Politik diese systemischen Probleme in den Griff bekommt, werden gegenwärtig heiss diskutiert. Ein Diskussionspapier des IWF zeigt in einer anschaulichen Kategorisierung auf, welche makroprudentiellen Medikamente sich zur Behandlung verschiedener Krankheiten des Finanzsystems eignen.

Makrosbv

Die Medikamente der Kapital- und Liquiditätsanforderungen, Beschränkungen gewisser Aktivitäten und Steuern sind alte Bekannte und scheinen mir grundsätzlich geeignet zur Adressierung gewisser Risiken. Da es pro Symptom jeweils mehrere Medikamente gibt – beziehungsweise einen gewissen Handlungsspielraum für die regulatorische Praxis –, bedarf es einer sauberen Abwägung alternativer Therapien.

Ein Minimum an Nebenwirkungen

Jedoch ist nicht die Bestimmung der Medikamentenklassen heute das drängendste Problem. Vielmehr müssen unbedingt die Diagnosemöglichkeiten zur Entdeckung eines Krankheitsrisikos verbessert und Bestimmungen für die Dosierung der Medikamente aufgestellt werden. Dies sind unabdingbare Voraussetzungen für eine wirksame Intervention, bei der die Nebenwirkungen auf ein Minimum beschränkt bleiben.

Ohne zusätzliche wissenschaftliche Resultate zur Messung von Systemrisiken sowie zu Ausgestaltung und Kalibrierung von makroprudentiellen Massnahmen sind im heutigen Zeitpunkt einschneidende behördliche Eingriffe kaum zu rechtfertigen. Der Eindruck, dass nach eigenem Gutdünken vorgegangen wird, ist nicht zuletzt zum Schutz der Glaubwürdigkeit der intervenierenden Institution unter allen Umständen zu vermeiden.

Ohne Fiebermesser beziehungsweise ohne nähere Bestimmung der Fieberursache sowie ohne Packungsbeilage sind makroprudentielle Eingriffe nur mit grösster Zurückhaltung zu üben. Im Interesse aller muss verhindert werden, dass es heisst: «Operation gelungen, Patient gestorben.»