Florence Pisani: «Ganz sicher nicht so, wie es Donald Trump anpackt»

Die US-Notenbank Fed gilt mit ihrer Geldpolitik als Anker der Stabilität in unsicheren Zeiten. Hätte sie nicht mehr Druck ausüben sollen, dass auch die Fiskalpolitik etwas vernünftiger wird?

Nein, das ist nicht ihr Auftrag. Die Fed macht einen exzellenten Job, wenn es um ihr Mandat geht, also die Inflation und Beschäftigung. Sie hat ein perfektes Soft Landing der US-Wirtschaft hingekriegt. Heute ist es völlig rational und nachvollziehbar, dass Fed-Chairman Jerome Powell in Anbetracht der grossen fiskalpolitischen Ungewissheit abwartet und den Leitzins nicht antastet.

Wäre es wirklich so schlimm, wenn es Trump gelänge, die Unabhängigkeit der Fed zu beschneiden?

Verlöre die Fed ihre Unabhängigkeit, könnte dies zu einer Situation führen, in der die Zentralbank gezwungen ist, massiv Staatsanleihen zu kaufen, um die Realzinsen in den negativen Bereich zu drücken und sie dort zu halten. Das wäre dann eine Periode der «Financial Repression». Dadurch würden sich zwar die Schuldenkennziffern verbessern, aber die Inflation würde in die Höhe schnellen und das Vertrauen in den Dollar und das Weltfinanzsystem unterhöhlt, was sehr gefährlich wäre. Die bange Frage ist: Wer wird der Ersatz für Powell als Fed-Vorsitzender sein, wenn seine Amtszeit im Mai 2026 ausläuft?

«‹Financial Repression› würde das Vertrauen in den Dollar und das Weltfinanzsystem unterhöhlen, was sehr gefährlich wäre.»

Industriepolitik scheint derzeit sehr vogue zu sein. Zuerst machte es China, dann die USA und nun auch vermehrt die EU. Dabei sind die Erfahrungen mit Industriepolitik doch sehr gemischt.

Für Europa ist es Zeit, selber auch eine Industriepolitik zu machen. Unser Kontinent hat bezüglich Hightech und Artifical Intelligence (AI) nur sehr wenig vorzuweisen. Der Draghi-Report hat deutlich gemacht, wie gross der Nachholbedarf ist. Auf der anderen Seite hat es China dadurch geschafft, seine Abhängigkeiten zu reduzieren und die Lieferketten robuster zu machen. Es geht nicht darum, dass man sämtliche Industrien im eigenen Land haben und alles selber herstellen muss – aber die strategisch wichtigen.

Die EU-Länder wollen insbesondere ihre Verteidigungsausgaben deutlich steigern. Damit soll zum einen die eigene Rüstungsindustrie gestärkt werden, zum anderen erhofft man sich davon eine Erhöhung des langfristigen Wachstumspotentials der Gesamtwirtschaft. Ist das realistisch?

Nur Waffen zu kaufen ist in der Tat nicht sehr produktiv. Aber wenn in Forschung und Entwicklung, in AI und Cybersecurity investiert wird, ist das erstens angesichts der Bedrohungslage sinnvoll und könnte zweitens das Wachstumspotenzial stärken. Zentral ist, dass die Regierungen eng kooperieren und Projekte gut koordinieren, sonst werden Mittel verschwendet. Auf EU-Ebene gibt es einen Leuchtturm für eine erfolgreiche Industriepolitik: Er heisst Airbus. Nicht zu unterschätzen ist zudem der positive Impuls, der von Deutschlands grossem Infrastrukturpaket ausgehen wird.

«China zeigt, dass clever betriebene Industriepolitik erfolgreich kann.»

Gemäss dem ökonomischen Standardmodell bräuchte es doch eigentlich gar keine Industriepolitik. Damit sich die Wirtschaft frei entfalten kann, sollten doch gute Rahmenbedingungen – Rechtssicherheit, tiefe Steuern, Preisstabilität usw. – genügen.

Aber die Praxis hat gezeigt, dass es gewisse Eingriffe und auch Planung braucht. Alles einfach ganz den Märkten zu überlassen, hat in den USA offensichtlich nicht funktioniert. Es braucht zumindest Anreize, z.B. für Ausbildung, IT und AI. Und wie gesagt: China zeigt, dass clever betriebene Industriepolitik erfolgreich kann.

Aber China sieht aktuell nicht gerade wie das grosse Vorbild aus, oder?

Ja, das Land hat eine Reihe von Problemen. Überinvestitionen und dadurch vergeudete Ersparnisse, zu wenig Konsum, ein schwacher Immobilienmarkt, deflationäre Tendenzen etc. Aus ökonomischer Sicht sollte die Regierung handeln und den Konsum ankurbeln, doch sie verfolgt eine politische Agenda. Aber bezüglich Lieferketten und Technologie hat die Industriepolitik gut funktioniert.


Florence Pisani arbeitet seit 2002 für Candriam, wurde 2016 Global Head of Economic Research und ist heute Chefökonomin des Asset Managers und Fondshauses. Sie ist Autorin mehrerer Sachbücher zu Themen wie Staatsverschuldung, Schulden- und Wirtschaftskrisen sowie dem Wechselspiel zwischen Realwirtschaft und Finanzsystem. Am bekanntesten dürfte das 2010 erschienene Werk «Global Imbalances and the Collapse of Globalised Finance» sein, in dem sie zusammen mit ihrem Vorgänger Anton Brender (der Ende 2024 in Pension ging) die globale Finanzkrise zu ergründen versuchte.