Unsicherheit ist ein Phänomen, das konzeptionell schwer zu fassen und möglicherweise noch schwieriger zu messen ist. Unsicherheit macht es schwieriger, künftige wirtschaftliche Entwicklungen vorherzusehen.

Von Martin Geiger (Forschungsbeauftragter Volkswirtschaft, Liechtenstein-Institut)

Unsicherheit bildet sich in den Köpfen von Konsumenten, Managern und Politikern ab, kann Entwicklungen auf der mikroökonomischen wie der makroökonomischen Ebene betreffen und wirtschaftliche, politische, soziale oder ökologische Hintergründe haben. Unsicherheit hat also viele Facetten, welche in den letzten Jahren das Interesse der volkswirtschaftlichen Forschung zunehmend auf sich gezogen haben.

Obwohl Unsicherheit ein so breit gefasstes Konzept ist, gibt es interessanterweise weitgehend Einigkeit über die Effekte von Unsicherheit. Eine Reihe von empirischen Untersuchungen zeigt, dass sie ein quantitativ wichtiger Faktor ist, der konjunkturelle Schwankungen auslösen und verstärken kann.

Warum hat Unsicherheit negative, wirtschaftliche Effekte?

Unsicherheit führt dazu, dass Konsumentscheidungen, Investitionen und Neuanstellungen hinausgezögert werden, bis zukünftige Entwicklungen wieder besser absehbar sind. Gleichzeitig wird aus einem Vorsichtsmotiv heraus mehr gespart, um sich für potentielle negative Entwicklungen abzusichern.

Darüber hinaus zeigen neue Forschungsergebnisse, dass Finanzmarkt-Friktionen eine wichtige Rolle dafür spielen, wie Unsicherheit die Wirtschaft beeinträchtigt. Unsicherheit führt zu einem Anstieg der Finanzierungskosten, da Finanzmarktakteure das mit Unsicherheit einhergehende Risiko einpreisen.

Ein stabiler Bankensektor federt die Effekte von Unsicherheit stark ab

Die untenstehende Abbildung 1 zeigt die durchschnittliche Reaktion des jährlichen Wirtschaftswachstums der OECD-Länder zu einem Anstieg von Unsicherheit in einem Szenario mit stabilem Bankensektor und in einem Szenario mit einem gestressten Bankensektor. Die grün-gestrichelten Linien weisen das 95-Prozent-Vertrauensintervall aus.

Unsicherheit wird in diesem Fall mit einem Index abgebildet, der ungewöhnliche Abweichungen in einem Bündel wichtiger makroökonomischer und finanzwirtschaftlicher Grössen misst. Grundlage zur Bewertung der Stabilität des Bankensektors im jeweiligen Land ist die halbjährliche OECD-Länderberichterstattung. Der Vergleich der beiden Szenarien zeigt, dass ein Anstieg von Unsicherheit in einem Land mit gestresstem Bankensektor das Wirtschaftswachstum mehr als doppelt so stark einbricht.

Unsicherheit und Wirtschaftswachstum

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(Datenquelle: Eigene Berechnungen)

Die Tatsache, dass Länder mit gesundem Bankensektor von Unsicherheit weitaus weniger stark betroffen sind, unterstreicht die wichtige Funktion der Finanzmarktstabilität. Obwohl die Kreditnachfrage unabhängig vom Zustand des Bankensektors angesichts von Unsicherheit zurückgeht, zeigt die Gegenüberstellung der Effekte von Unsicherheit bei stabilem und instabilem Bankensektor, wie wichtig die intakte Kreditvergabe in diesem Kontext ist.

Liechtenstein weisst einen stabilen Bankensektor auf

Entsprechend des konservativen Geschäftsmodells liechtensteinischer Banken, das sich in erster Linie der Stabilität verschreibt, ist der Bankensektor im internationalen Vergleich widerstandsfähig, sprich resilient aufgestellt. Liechtensteinische Banken weisen hohe Eigenkapitalquoten und gleichzeitig gute Profitabilitäts- und Effizienzkennzahlen auf. Die Banken des Fürstentums gehören zu den am besten kapitalisierten in der Welt und benötigten auch in der Finanzkrise 2008 keine Staatshilfe.

Der Fokus liegt auf Private Banking und Vermögensmanagement, während konventionelle Kreditvergabe eine geringere Rolle spielt. Insgesamt ist die Assetqualität liechtensteinischer Banken als sehr hoch einzuschätzen und der Anteil notleidender Kredite ist international gesehen ausserordentlich gering.

Die Corona-Pandemie führt zu erhöhter Unsicherheit

Unsicherheit weisst eine antizyklische Dynamik auf: Sie steigt in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wie Krisen und Rezessionen, an und nimmt in Aufschwungphasen ab. Welche wichtige Rolle die Unsicherheit in wirtschaftlich schwierigen Zeiten einnimmt, wurde bereits im Kontext der globalen Finanzkrise von 2008 dokumentiert.

Im Zuge der Covid-19-Pandemie könnte Unsicherheit eine noch grössere Rolle spielen, da quasi jeder Aspekt der Krise schlecht vorhersehbar ist: beispielsweise der weitere Verlauf der Pandemie und weitere etwaige Lockdowns, medizinische Behandlungsmöglichkeiten, wirtschaftliche Konsequenzen auf Unternehmen, Staatshaushalte und Finanzmärkte, politische und soziale Entwicklungen.

Globale, wirtschaftspolitische Unsicherheit

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(Datenquelle: www.policyuncertainty.com)

Sämtliche Indizes, welche Unsicherheit messen, zeigen an, dass diese während Corona stark angestiegen ist. Die obige Abbildung 2 zeigt die historische Entwicklung des Global Economic Policy Uncertainty Index, ein prominentes Mass für Unsicherheit in Verbindung mit wirtschaftspolitischen Entwicklungen.

Dieser Index zeigt den mit Abstand höchsten Ausschlag am aktuellen Rand (Mai 2020). Folglich induziert Corona mehr wirtschaftspolitische Unsicherheit als zum Beispiel der Handelskrieg zwischen China und den USA, der Brexit, die Finanzkrise oder die 9/11-Terroranschläge, die auch zu starken Ausschlägen im Global Economic Policy Uncertainty Index führten.

Finanzmarktstabilität wird ein wesentlicher Resilienzfaktor sein

Im Kontext der wirtschaftlichen Konsequenzen von Covid-19 wird die Finanzmarktstabilität eine entscheidende Rolle spielen. Die globale Vernetzung und Abhängigkeiten steigen. Konjunkturelle Schwankungen werden im Allgemeinen vom Finanzmarkt verstärkt. Realwirtschaftliche Einbrüche können dazu führen, dass Haushalte und Betriebe ihren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können, was zu einem Anstieg notleidender Kredite und somit zu einer Verschlechterung der Bankbilanzen führt.

Mit anderen Worten sinkt in einer solchen Situation die Bonität der Banken, und die Refinanzierungskosten für neue Kredite steigen. Die Konsequenz daraus ist eine Kreditklemme, was wiederum die Realwirtschaft belastet. Damit die Bonität von Banken trotz realwirtschaftlicher Einbrüche intakt bleibt, ist eine hohe Resilienz des Bankensektors entscheidend.

Finanzmarktstabilität hat folglich per se eine wichtige Rolle in wirtschaftlichen Krisenzeiten. Da Covid-19 allerdings darüber hinaus hohe Unsicherheit induziert, ist Finanzmarkstabilität ein besonders wichtiger volkswirtschaftlicher Resilienzfaktor in der aktuellen Situation.