Covid-19-Steuer und die Abwahl von Populisten: Der Futurologe Gerd Leonhard ist im Gespräch mit BKB-Anlagechef Sandro Merino überzeugt, dass die Corona-Krise immense Auswirkungen auf Politik und Gesellschaft haben wird. Die Pandemie ist für ihn aber auch ein Trainingslauf für die Bekämpfung des Klimawandels.

«Noch nie war die Zukunft so unsicher wie in der Corona-Krise», sagt Gerd Leonhard. Der deutsche Futurist ist bekannt für seine messerscharfen Analysen zu den wichtigen Themen unserer Zeit.

Mit Wahrsagerei oder dem Blick in die Kristallkugel hat die Tätigkeit eines Futurologen jedoch wenig zu tun: Vielmehr gelangt er durch Recherche, Intuition und Vorstellungskraft zu spannenden Erkenntnissen darüber, was uns in den nächsten fünf bis zehn Jahren erwartet.

Jetzt hat sich Leonhard mit Sandro Merino, dem Anlagechef der Basler Kantonalbank, über die Auswirkungen der Corona-Krise auf Politik, Gesellschaft und Umwelt unterhalten. Für beide Experten ist klar: Die Pandemie ist ein Akzelerator, der verschiedene Entwicklungen verstärkt – im Guten wie im Schlechten.

Pandemie schadet den Populisten

Für einmal hat der Futurologe auch eine kurzfristige Prognose parat. So glaubt Leonhard, dass die Pandemie den amerikanischen Präsidenten im November die Wiederwahl kosten wird: «Populisten wie Donald Trump, Jair Bolsonaro oder Boris Johnson sind bisher schlecht durch die Krise gekommen.

Je höher die Ungleichheit in einem Land, desto schlimmer die Auswirkungen der Pandemie.» Eine bessere Figur würden Länder mit einer sozialen Marktwirtschaft abgeben, aber auch jene, die von Frauen regiert werden – etwa die Schweiz, Finnland, Taiwan oder Neuseeland.

Hören Sie den Podcast in voller Länge.

Mittelstand zahlt die Covid-19-Zeche

Leonhard und Merino sind überzeugt, dass die sozialen Folgen der Pandemie noch nicht abschätzbar sind. Dass die massiv gestiegenen Staatsausgaben zu einer höheren fiskalischen Belastung führen, steht für beide ausser Frage – auch, dass dafür einmal mehr der Mittelstand zur Kasse gebeten wird: «Eine Covid-19-Steuer halte ich in den nächsten Jahren für unausweichlich», sagt Leonhard.

Der Zukunftsforscher ist aber keinesfalls ein Pessimist, er sieht auch Lichtblicke: So hätten Technologie und Medizin im Vergleich zu früheren Gesundheitskrisen immense Fortschritte gemacht. Zudem zwinge Corona die Europäer zu Solidarität und die Welt zu mehr Zusammenarbeit. Diesen Schwung könne man nun mitnehmen, um den Klimawandel zu bekämpfen.

Klimawandel als grösste Herausforderung

Den Klimawandel hält Leonhard unverändert für die grösste Herausforderung unserer Zeit: «Wenn wir nichts unternehmen, werden wir bis 2050 in Europa 150 Millionen Klimaflüchtlinge haben».

Die während dem Lockdown eingesparte Menge an CO2 entspricht ungefähr der Menge, die während den nächsten 30 Jahren jedes Jahr eingespart werden müsste. Für Leonhard ist die Pandemie deshalb auch ein Trainingslauf für die Bewältigung der Klimakrise.

Staatliche Eingriffe werden eher akzeptiert

Corona habe die Bereitschaft der Menschen erhöht, sich vom Staat Handlungsweisen aufzwingen zu lassen: «Ich kann mir vorstellen, dass eine CO2-Steuer von 30 Prozent auf Flugtickets heute akzeptiert würde», glaubt Leonhard.