Für Schweizerinnen und Schweizer mit Wohnsitz und Steuerdomizil im Ausland werde es immer schwieriger, eine zahlbare Bankverbindung in der Schweiz zu behalten, stellt Nicole Töpperwien von der Genossenschaft Soliswiss im Interview mit finews.ch fest. Für Auslandschweizerinnen und -schweizer sei dies nicht immer einfach nachzuvollziehen.


Frau Töpperwien, was motiviert heute Schweizer und Schweizerinnen auszuwandern?

Die Gründe auszuwandern sind vielfältig, ob Ausbildung, Beruf, Liebe und Familie, Abenteuerlust oder auch die Bewahrung oder Erhöhung des Lebensstandards im Alter. Entsprechend wenden sich jüngere und ältere Menschen mit unterschiedliche Fragen und Bedürfnissen an uns.

Es ist gerade diese Vielfalt der Situationen, die die Beratung so spannend aber auch herausfordernd macht. Im Internet sind viele Informationen vorhanden. Doch ist es teilweise fast unmöglich, Informationen genau passend zur eigenen Auswanderungssituation zu finden.

Werden Schweizer, die zum Arbeiten ins Ausland gehen, nicht von ihren Arbeitgebern unterstützt?

Geht es beruflich ins Ausland, dann informiert häufig die Arbeitgeberin, zumindest wenn sie eine HR-Abteilung und Erfahrung mit Personal im Ausland hat. Jedoch stossen Arbeitergeber mitunter schnell an ihre Grenzen, oder es wird nur die Situation des Arbeitnehmenden bedacht, nicht jedoch die, der mitreisenden Familienmitglieder.

«Fehler können über kurz oder lang teuer werden.»

Wir werden immer wieder mit Fällen konfrontiert, in denen vieles schief gelaufen ist; im Vorsorgebereich zum Beispiel bei der AHV oder auch bei den Steuern. Damit dies gar nicht erst passiert, unterstützen wir auch Unternehmen, solche Auslandsaufenthalte richtig aufzugleisen.

Wenn man mit Selbständigerwerbender oder als Rentnerin oder Rentner auswandert oder als Globetrotter oder Weltenbummlerin die Welt erkunden möchte, steht man häufig mit seinen Fragen recht alleine da. Fehler können über kurz oder lang teuer werden.

Was für Fragen werden an Sie herangetragen?

Die Anliegen betreffen viele Bereiche. Oft zur Sprache kommen Fragen zur AHV (freiwillige AHV, Entsendung, Weiterführung der AHV, Bezug im Ausland), zur zweiten und dritten Säule, zu Versicherungen vor allem Krankenversicherung aber auch zu Vorsorgefragen im Allgemeinen, zum An- und Abmelden in den Gemeinden und natürlich zu den lieben Steuern.

«Teilweise werden Bankbeziehungen, die seit mehreren Jahrzehnten bestanden, gekündigt»

Auch werden regelmässig Fragen zu den Angeboten der Banken und anderer Finanzanbieter für Schweizer und Schweizerinnen im Ausland an uns herangetragen. Vieles können wir direkt klären, anderes recherchieren wir oder vermitteln Spezialisten.

Sie erwähnten Banken und Finanzinstitute – wo liegt da das Problem?

Für Schweizerinnen und Schweizer mit Wohnsitz und Steuerdomizil im Ausland wird es immer schwieriger, eine zahlbare Bankverbindung in der Schweiz zu behalten. Gebühren für die Kontobewirtschaftung für Auslandschweizerinnen und Auslandschweizer können plötzlich ein Vielfaches sein.

Teilweise werden auch Bankbeziehungen, die seit mehreren Jahrzehnten bestanden, kurzfristig gekündigt, oder es ist plötzlich nicht mehr möglich, eine Kreditkarte zu erhalten oder Online-Banking zu machen. Auch kann es schwierig sein, eine Hypothek zu bekommen oder sie beim Wegzug ins Ausland zu behalten.

«Möchte man auswandern oder reisen, stellen sich plötzlich neue Fragen»

Je nach Wohnsitzland werden keine Investitionen in Wertschriften erlaubt. Dies liegt teilweise an den Compliance-Regeln, aber auch an den Strategien der Banken. Für viele Schweizerinnen und Schweizer im Ausland ist dies nicht immer einfach nachzuvollziehen.

Zum Glück gibt es ein paar Ausnahmen an Bankinstituten, die positiv herausstechen und auch für Schweizerinnen und Schweizer im Ausland passable Lösungen bieten. Doch in der Regel braucht es für die Kontoeröffnung einen Besuch in der Schweiz – und dies kann in Corona-Zeiten oder bei fortgeschrittenem Alter sehr schwierig sein.

Hat die Corona-Pandemie die Arbeit der Soliswiss Genossenschaft beeinflusst?

Ja. Die Auswirkungen sind vielschichtig. Möchte man auswandern oder reisen, stellen sich plötzlich neue Fragen. Plötzlich ist auch ein Visum oder eine Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr immer eine Garantie, dass man auch wirklich ins Land einreisen kann, oder es bestehen Quarantänebestimmungen oder Zertifikatspflichten.

Auch ein Besuch in der Schweiz lässt sich eventuell nicht mehr ganz so spontan organisieren. Zudem haben sich für viele Schweizer und Schweizerinnen im Ausland die finanziellen Risiken erhöht.

«Es ist sicherlich nicht überraschend, dass 2020 weniger Personen ausgewandert sind»

Einigen unserer Mitglieder – gerade im Tourismusbereich – sind die Einkünfte weggebrochen. Die Pandemie zeigt auch die Wichtigkeit, eine Krankenversicherung mit ausreichendem Schutz zu haben. Wir sind froh, dass wir mit unserem Hilfsfonds in absoluten Härtefällen Mitglieder finanziell unterstützen konnten.

Die Corona-Pandemie hat auch gezeigt, dass nicht alles planbar ist. Paradoxerweise zeigt dies aber die Wichtigkeit, sorgfältig zu planen und in die Planung den Faktor «Ungewisses» einzubeziehen.

Die Auswandererstatistik des Bundes zeigt im Vergleich zum Vorjahr sinkende Auswanderungszahlen – gerade mal 106'490 Personen sind 2020 ausgewandert, knapp 20'000 weniger als im Vorjahr 2019. Wird dieser Trend anhalten?

Es ist sicherlich nicht überraschend, dass 2020 weniger Personen ausgewandert sind. Wir verzeichnen jedoch eine Zunahme an Anfragen. Corona hin oder her – eines ist ganz sicher ungebrochen: der Wunsch vieler Schweizerinnen und Schweizer, die Welt zu entdecken. Wir begleiten sie gerne dabei.


Nicole Töpperwien ist seit Oktober 2018 Geschäftsführerin von Soliswiss. Seit 1958 setzt sich diese Genossenschaft mit 3'500 Mitgliedern dafür ein, Schweizerinnen und Schweizer in jeder Phase der Aus- und Rückwanderung zu beraten und zu unterstützen. Bevor sie zu Soliswiss stiess, arbeitete Töpperwien als Expertin für Verfassungsgebung und Fragen der Machtteilung , mehrheitlich in fragilen Kontexten.