Wie sich die Golfstaaten von Ölriesen zu Technologie-Playern wandeln


Frau Hechler-Fayd’herbe, welche Märkte analysieren Sie bei Lombard Odier in der Golfregion?

Unsere Teams erstellen makroökonomische Prognosen für alle sechs Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrats (GCC), wobei der Schwerpunkt stärker auf den VAE, Saudi-Arabien, Katar und Kuwait liegt, da diese im MSCI Emerging Market Index vertreten sind.

Was sind Ihre Prognosen für 2026 in den Öl- und Nicht-Öl-Staaten in der Region?

Die Aufhebung der Produktionskürzungen durch OPEC+ wird auch 2026 ein wesentlicher Wachstumstreiber für die Region bleiben. Saudi-Arabien, die VAE und Kuwait dürften aufgrund des anhaltenden Produktionsanstiegs ein noch höheres Wachstum in ihren Ölsektoren verzeichnen. In Katar sollte der Beginn der Produktion im North Field in den kommenden Jahren ein starker Wachstumsimpuls sein. Die VAE dürften in ihren Nicht-Öl-Sektoren weiterhin positive Impulse sehen, da sie ihre Wirtschaft erfolgreich von ölbasierter Wertschöpfung diversifiziert haben.

«Die Zinssenkungen der US-Notenbank sollten den Kapitalmärkten der GCC-Staaten zugutekommen.»

Im Fall Saudi-Arabiens wird die Erholung der Ölexportmengen (und damit des realen BIP-Wachstums) nicht ausreichen, um die Verluste bei den ölbezogenen Staatseinnahmen aufgrund der anhaltend niedrigen Ölpreise auszugleichen. Das Königreich wird daher im nächsten Jahr wieder wachsende Zwillingsdefizite verzeichnen. Diese fiskalische Beschränkung dürfte sich leicht negativ auf die Nicht-Öl-Sektoren auswirken. Katar und Kuwait hingegen sollten über ausreichende fiskalische Puffer verfügen, um die negativen Auswirkungen niedriger Ölpreise abzufedern.

Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die jüngsten Zinssenkungen der Fed?

Die Zinssenkungen der US-Notenbank sollten den Kapitalmärkten der GCC-Staaten zugutekommen, da die regionalen Währungsbehörden ihre Wechselkursbindungen entsprechend anpassen werden. Sollten unsere Prognosen zutreffen, dass die Fed ihre Geldpolitik bis Ende 2026 auf ein Terminalniveau von 3 Prozent lockert, werden die regionalen Zentralbanken ihre Leitzinsen ebenfalls auf ein ähnliches Niveau senken müssen. Dies sollte dem Kreditzyklus der Region einen bedeutenden Schub verleihen, da es sich um eine Lockerung ausserhalb einer Rezession handelt.

Befürworten Sie die Bemühungen zur Diversifizierung der Ölökonomien, oder sehen Sie diese eher stagnieren?

Wer einen Blick auf die Entwicklung der erneuerbaren Energien in China wirft, versteht, dass wirtschaftliche Diversifizierung für die GCC-Staaten eine strategische Notwendigkeit ist. Im August waren 55 Prozent der in China verkauften Personenwagen «New Energy Vehicles», also auch Elektrofahrzeuge. Im Jahr 2024 erreichte Chinas Stromproduktion aus Solar-, Wind- und Bioenergie 2 Terawattstunden – doppelt so viel wie Japans gesamte jährliche Stromproduktion. China wird zwar weiterhin Öl importieren, seine Abhängigkeit vom Öl der Golfregion wird jedoch langfristig aufgrund seiner Energiesicherheitsstrategie durch erneuerbare Quellen stetig sinken.

«Die VAE bleiben ein Vorbild für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Übergang.»

Die von den GCC-Staaten vorgestellten «National Vision»-Programme zeigen klar, dass die politischen Entscheidungsträger diese neuen Herausforderungen erkannt haben. Wir sehen bereits beachtliche Fortschritte, auch wenn es schwierig sein wird, alle ursprünglichen Ziele zu erreichen. Saudi-Arabien hat beispielsweise Fortschritte bei der Erhöhung des Anteils der Nicht-Öl-Exporte, der staatlichen Nicht-Öl-Einnahmen, der Erwerbsbeteiligung von Frauen sowie beim Ausbau des Vermögens des Public Investment Fund erzielt. Der Beitrag des Privatsektors zum BIP ist von 40 Prozent im Jahr 2016 auf heute 55 Prozent gestiegen.

Welches GCC-Mitglied führt in dieser Hinsicht?

Die VAE bleiben ein Vorbild für einen erfolgreichen wirtschaftlichen Übergang, und wir erwarten, dass das Land weiterhin mit vorausschauenden Reformen und wirtschaftspolitischen Initiativen eine führende Rolle einnimmt, um hohes, aber ausgewogenes Wachstum zu erreichen.

Der regulatorische Rahmen der VAE ist sehr marktorientiert und offen für ausländische Talente. Zudem scheint das Land nun auch seinen Platz in der globalen KI-Wertschöpfungskette zu stärken, unter anderem durch KI-Chip-Deals mit den USA.

Wir gehen davon aus, dass Katar und Kuwait sich im Laufe der Zeit an dem Ansatz der VAE orientieren werden, um ihre wirtschaftliche Diversifizierung ausserhalb des Kohlenwasserstoffsektors voranzutreiben.

Wo ordnen Sie die Region auf der globalen Risikoskala ein?

Unsere Einschätzung unterscheidet sich nicht wesentlich von jener der Ratingagenturen, die die vier grossen GCC-Staaten derzeit mit AA oder A im Staatskreditrating bewerten. Obwohl Saudi-Arabiens doppelte Defizite und die Spannungen im Zusammenhang mit Iran einer engen Beobachtung bedürfen, erwarten wir für die Region insgesamt einen stabilen Ausblick für 2026.

Wie haben sich die Zölle auf die Region ausgewirkt?

Die Auswirkungen waren überwiegend indirekt, da die Region nur wenig direkt in die USA exportiert, einem durchschnittlichen Zollsatz von lediglich 10 Prozent unterliegt und Ausnahmen für ihre Rohöllieferungen in die USA geniesst. Einige negative Effekte durch die geringere wirtschaftliche Aktivität der wichtigsten Handelspartner (z. B. China) infolge der Zölle lassen sich nicht vermeiden, dürften jedoch angesichts positiver Entwicklungen in anderen Bereichen (Angebotsverschiebungen im Energiesektor, niedrigere Zinsen) verkraftbar sein.

Ist die «Neue Seidenstrasse» ein Gewinn für die GCC-Staaten, oder belasten die Zölle auf China auch die Golfstaaten?

Die «Neue Seidenstrasse» ist eine interessante Vision Chinas zur regionalen Entwicklung, und Peking hat seit der Vorstellung der Land- und See-Seidenstrassen-Initiativen im Jahr 2013 intensiv daran gearbeitet, seine strategischen Verbindungen zu den GCC-Staaten zu stärken. Wir stellen fest, dass China mit fünf GCC-Staaten – mit Ausnahme von Bahrain – strategische Partnerschaften geschlossen hat.

Die geopolitischen Rahmenbedingungen haben sich seither jedoch deutlich verändert. Die fragile Sicherheitslage im Rotmeer-Korridor führte zu Rückschlägen für die maritime Seidenstrassen-Vision, die ursprünglich Synergien mit den Giga-Projekten Riad’s in der Region suchte. Der Fortschritt chinesischer Projekte in Pakistan und Iran verläuft aufgrund komplexer geopolitischer und finanzieller Umstände schleppend, und China selbst hat seine Auslandsinvestitionen nach den Kapitalabflüssen und der Yuan-Abwertung 2015 neu kalibriert. Zudem gibt es mit dem IMEC-Vorschlag Israels und Indiens, unterstützt von den USA, eine alternative Vision für die regionale Konnektivität.

«Eine junge Bevölkerung, die Technologie begeistert annimmt, kann eine starke Wachstumsquelle sein.»

Der stockende Fortschritt der «Neuen Seidenstrasse» zeigt sich auch in den Direktinvestitionen Chinas in der Region. Diese haben seit 2015 zwar wieder zugenommen, sind jedoch im Vergleich zu den chinesischen Direktinvestitionen in anderen Regionen wie ASEAN relativ gering. Es ist dennoch möglich, dass Saudi-Arabien angesichts des geringeren finanziellen Spielraums infolge der Ölpreisdynamik stärker motiviert ist, sich chinesische Finanzierung und technologische Unterstützung für seine Infrastrukturprojekte zu sichern.

Das Bevölkerungswachstum im Nahen Osten ist hoch, aber KI und Web3 machen viele Arbeitsplätze überflüssig – eine gefährliche Mischung?

Eine junge Bevölkerung, die Technologie begeistert annimmt, kann im Gegenteil eine starke Wachstumsquelle sein und soziale Mobilität fördern. Das Beispiel Saudi-Arabiens zeigt, dass Arbeitslosigkeit – parallel zu gesellschaftlichem Wandel und strategischer Entwicklung des Nicht-Öl-Sektors – von 12 Prozent im Jahr 2016 auf derzeit 6,3 Prozent gesunken ist, während die Erwerbsbeteiligung von Frauen im selben Zeitraum von 19,3 Prozent auf 36,3 Prozent gestiegen ist. Gleichzeitig hat die Eigenheimquote von 47 Prozent auf 63 Prozent zugenommen, und das Land konnte sich im Global Competitiveness Index bis 2025 von Platz 29 auf Platz 17 von insgesamt 140 Ländern verbessern.


Nannette Hechler-Fayd’herbe ist Leiterin für Investmentstrategie, Nachhaltigkeit und Research sowie CIO EMEA bei Lombard Odier.