Kryptoanlagen überbewertet? Der neue Zollstock ist längst digital
In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.
Der jüngste AVI-Index, der als Stimmungsindikator Einschätzungen von unabhängigen Vermögensverwaltern in der Schweiz zusammenfasst, signalisiert Zurückhaltung. Nach einem starken Jahr für digitale Vermögenswerte stuften fast 30 Prozent der unabhängigen Schweizer Vermögensverwalter Kryptoanlagen als überbewertet ein.
Monetäre Seismografen
Diese Einschätzung mag plausibel klingen, verkennt aber doch den Kern. Insbesondere langfristig misst Sie mit einem Zollstock, der längst verzogen ist.
Doch Bewertung lebt vom Massstab und wenn der schrumpft, verliert jede Zahl ihr Gewicht.
«Weder Bitcoin noch Gold lassen sich wirklich überbewerten, solange ihr Angebot limitiert bleibt.»
Was bedeutet Überbewertung in einem Geldsystem, das sich selbst fortlaufend entwertet? Weder Bitcoin noch Gold lassen sich wirklich überbewerten, solange ihr Angebot limitiert bleibt und der Nenner zunehmend ausfranst. Beide fungieren als monetäre Seismografen, die im Stande sind anzuzeigen, wie stark die Geldbasis entwertet und wo sich das Vertrauen im System auflöst. Beides sind endliche Güter, die in einer Welt monetärer Unendlichkeit bemessen werden.
An einem Scheitelpunkt
Deglobalisierung, geopolitische Fragmentierung und fiskalisches Ausufern sind real. Doch sie wirken nicht zwingend gegen, sondern für jene Vermögenswerte, die keiner politischen Willkür unterliegen. So ist der Übergang zu fiskaler Dominanz beispielsweise keine vorübergehende Anomalie, sondern ein Trend, der sich in den vergangenen Jahren zunehmend manifestiert.
«Gold gewinnt wieder Gewicht, weil es sich politischer Einflussnahme entzieht. Bitcoin folgt derselben Logik.»
Seit Jahrzehnten trägt ein System aus billigem Kredit, Defizitfinanzierung und grenzenlosem Vertrauen in US-Staatsanleihen die Weltwirtschaft. Dieses Regime steht nun am Scheitelpunkt.
Die Folge ist keine Rückkehr zum Gold-Fetisch, sondern zur Neutralität. Gold gewinnt wieder Gewicht, weil es sich politischer Einflussnahme entzieht. Bitcoin folgt derselben Logik, ist mathematisch begrenzt, global übertragbar, transparent und nicht entwertbar. Beide stehen jenseits der Schuldenillusion. Beide ziehen Kapital an, das Stabilität sucht, jedoch nicht mehr in Staatsanleihen findet.
Bitcoin: Geringer Anteil trotz medialer Omnipräsenz
Während der Zollstock ungebremst weiter vor sich hin schrumpft, zeigt ein Blick auf das Anlageuniversum, dass Bitcoin trotz medialer Omnipräsenz im globalen Kontext nach wie vor winzig ist. Mit rund 2,3 Billionen Dollar macht er weniger als 0,3 Prozent des weltweiten Vermögens aus, kleiner als Silber (2,8 Billionen Dollar) und mehr als zehnmal kleiner als Gold (28,6 Billionen Dollar).
Es ist erstaunlich, dass ein Asset, das längst zu den liquidesten und globalsten Märkten der Welt gehört, immer noch als Nische gehandelt wird. Von zu viel Kampfgewicht auf der Waage kann somit kaum die Rede sein, sondern eher von einem aufstrebenden Asset, das sich zunehmend etabliert und an makroökonomischer Relevanz gewinnt.
Höheres Aufwertungspotenzial
Während Gold seit einem Jahrzehnt in einem bemerkenswerten Aufwärtstrend steht und sein Preis sich seit 2013 vervierfacht hat, ist das Verhältnis zwischen Bitcoin und Gold an den unteren Rand seiner langfristigen Wachstumskurve gewandert. Die Gold-Hausse reflektiert berechtigtes Misstrauen gegenüber Geldwerten, aber sie trägt inzwischen auch die Spuren einer Überdehnung.
Somit signalisiert Bitcoin relativ gesehen eine moderate Bewertung und ein potenziell grösseres Aufwertungspotenzial bei gleichzeitig niedrigerem Risikoprofil als Gold. Auch in diesem Kontext scheint das Prädikat Überwertung in ausreichender Distanz.
Veränderungen im Schnellzugstempo
Trotz seiner überlegenen Marktkapitalisierung verzeichnet Gold ausserdem kaum stärkere Kapitalzuflüsse als Bitcoin. Die ETF-Ströme beider Assets sind immer wieder auf Augenhöhe, ein Indiz dafür, dass Bitcoin, obwohl jünger und volatiler, strukturell Marktanteile gewinnt.
So überschritten Krypto-ETPs erstmals eine Viertelbillion Dollar an verwaltetem Vermögen, ein institutioneller Kapitalstrom innerhalb kürzester Zeit, wie ihn digitale Anlagen bislang nicht kannten und eine Geschwindigkeit, die selbst etablierte Märkte selten erleben. Diese Entwicklung ist zentral, denn im Gegensatz zu Gold, dessen Bewertung vor allem auf historischer Akzeptanz ruht, ist Bitcoin ein junger, wachsender Markt dessen institutionelle Integration sich in der Inflektionsphase befindet.
«Die demografische Wende dürfte Bitcoins Segel mit weiterem Wind füllen.»
Eine Bank of America Umfrage belegt erst kürzlich, dass die meisten professionellen Portfolios noch immer kaum digitale Allokationen aufweisen. Mit jeder Regulierungswelle, jedem neuen ETF, jeder Integration in institutionelle Portfolios nähert sich Bitcoin somit dem Status eines anerkannten globalen Hard Assets. Das Narrativ der Überbewertung hält dieser Entwicklung unserer Einschätzung nach nicht stand.
Nationale Allokation noch in Kinderschuhen
Noch weniger erschlossen ist das Potenzial auf staatlicher Ebene. Während BRICS-Länder ihre Goldreserven massiv ausbauen und US—Treasuries reduzieren, hält bis heute kein wirtschaftlich bedeutender Staat substanzielle Bitcoin-Reserven. Die nationale Allokation steckt demnach noch tief in den Kinderschuhen.
Die demografische Wende dürfte Bitcoins Segel mit weiterem Wind füllen. Der grösste Vermögenstransfer der modernen Geschichte von der Babyboomer Generation zu jüngeren, digital sozialisierten Erben läuft bereits an. So liegt noch über die Hälfte des US-Privatvermögens in Händen jener Generation, die mit Staatsanleihen gross geworden ist.
«Gemessen an seiner Funktion, spricht vieles dafür, dass Bitcoin fundamental unterbewertet ist.»
Ihre Nachfolger aber resonieren viel stärker mit Code als Coupons, sind vertraut mit Blockchain, tokenisierten Vermögenswerten und globalen digitalen Märkten.
Bitcoin scheint heute nicht überbewertet. Gemessen an seiner Funktion, seiner Diffusion, seiner zeitgeistigen Relevanz sowie seiner Rolle im entstehenden Geldsystem spricht vieles dafür, dass Bitcoin strukturell nicht überbewertet, sondern fundamental unterbewertet ist.
Dominic Weibel ist Head of Research bei Bitcoin Suisse.



 
      









 
       
	  	  	  	   
	  	  	  	   
    
		 
    
		 
    
		 
    
		 
    
		
 
	  	   
	  	   
	  	   
	  	  
 
                     
		             
		             
		             
		             
		             
		             
		             
		             
                     
		             
		             
		             
		             
		             
		             
		             
		             
                     
		             
		             
	  	   
	  	   
	  	   
        