China müsse sich noch grossen Herausforderungen stellen, sagt Oswald J. Grübel im Interview. Sonst laufe das Ganze aus dem Ruder, so der frühere UBS- und CS-Chef im Gespräch mit finews.ch.


Herr Grübel, die Börsen in China sind denkbar schlecht ins neue Jahr gestartet. Das beeinträchtigt die weitere Entwicklung im Reich der Mitte. Ist das wirtschaftliche Erfolgsmodell Chinas nun ernsthaft gefährdet?

Kapitalismus ist im Prinzip immer ein Erfolgsmodell, solange sich der Staat heraus hält. Sonst läuft das Ganze eines Tages aus dem Ruder. In China haben Sie so etwas wie einen kapitalistischen Sozialismus.

Doch mit dem Erfolg dieses Systems stellen sich auch zunehmend Fragen und Herausforderungen für die Regierenden.

Welche denn?

Je mehr der Lebensstandard der Bevölkerung steigt, desto stärker wächst der Drang nach Freiheit. Der Übergang dahin ist die grosse Herausforderung, der sich China früher oder später stellen muss.

Kennen Sie China gut?

Ich kann zumindest behaupten, schon sehr früh dort gewesen zu sein. Das Land war damals noch bitterarm. Bei jedem Trip habe ich mehrere Kilogramm abgenommen. Seither hat sich das Land rasant entwickelt.

«Das hat mich natürlich früher bei der Credit Suisse enorm gefuchst»

Ich habe alle wichtigen Bankmanager Chinas getroffen. Im Jahr 2006 war die Credit Suisse am Börsengang der Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) führend beteiligt. Das Unternehmen hatte damals fast 20'000 Niederlassungen. Ich habe die Verantwortlichen gefragt: Wie wird man Chef einer solchen Filiale? Die Antwort war: Das bestimmt die lokale Partei. Stellen Sie sich das vor!

Das ist Klüngelwirtschaft.

Deshalb mussten damals auch alle Banken in China saniert werden. Aber auch bei uns haben die Grossbanken noch in den 1970er Jahren untereinander vereinbart, wie viel Gewinn sie publik machen.

Alle Banken haben wesentlich mehr verdient, aber weniger ausgewiesen. Der Überschuss floss in die stillen Reserven. Das war absolut legal und erwünscht, nur total intransparent, wie vieles noch heute in China.

Wie schätzen Sie das Image der Schweiz in China ein?

Die Chinesen haben ein gesundes Verhältnis zu ihrem Geld. Es kommt immer an erster Stelle. Darum lieben sie die Schweiz und ihre Banken. Wussten Sie, dass die UBS schon vor vielen Jahren die chinesischen Zeichen ergattern konnte, die wörtlich übersetzt «First Swiss Bank» bedeuten? Das hat mich natürlich früher bei der Credit Suisse enorm gefuchst.

«Viele Asiaten, die zu Geld kamen, haben auf ihre Intuition gehört»

Kurzum, viele Chinesen bewundern die Schweiz. Das erklärt denn auch zu einem Teil den grossen Erfolg der Schweizer Banken in Asien. Die UBS ist die grösste Vermögensverwalterin in der Region; die Credit Suisse die Nummer drei.

Asiatische Kunden gelten nach unserem westlichen Urteil als «Gambler», will heissen, als Leute, die sehr trading-orientiert sind. Richtig?

Das hat damit zu tun, dass viele Asiaten, die zu Geld kamen, ihren eigenen Weg gegangenen sind und auf ihre Intuition gehört haben. Unternehmer sind in der Regel offener neuen Dingen gegenüber.

«Die chinesische Kultur hat ganz fantastische Sachen geschaffen»

Man muss sich auch immer vor Augen halten, dass die chinesische Kultur Tausende von Jahren zurückreicht und fantastische Sachen geschaffen hat, selbst wenn die Revolution vieles davon wieder zerstört hat. Dieses Geschichtsbewusstsein mag viele Chinesen und Asiaten auch heute noch prägen.

Ist Hongkong mittlerweile unsicherer als etwa Singapur?

Viele Leute in Hongkong glauben immer noch, sie seien unabhängig von China, was jedoch nicht stimmt. Tatsache ist: Hongkong gehört heute zu China, profitiert aber immer noch von den Erfahrungen aus der Kolonialzeit.

«Banking ist und bleibt der beste Weg, die Welt und die Menschen kennen zu lernen»

Peking lässt Hongkong zwar sehr viel Freiheit, nimmt aber auch Geschäftsleute fest, die dem Regime nicht genehm sind. Deshalb bringen Chinesen gerne ihr Geld zu den Schweizer Banken.

Würden Sie wieder Banker werden wollen?

Ich denke schon, wobei die Herausforderungen heute ganz andere sind. In den 1960er-Jahren, als ich begonnen habe, war die Welt noch sehr gross. Es gab Orte, die fast niemand kannte, und über die man nur gemunkelt hat. Heute, mit der ganzen Technologie, ist die Welt sehr klein geworden.

Hier klingt doch eher Wehmut heraus, als dass Sie nochmals den gleichen Weg einschlagen würden.

Banking ist und bleibt der beste Weg, die Welt und die Menschen kennen zu lernen. Neu ist, dass die Technologie viele Branchen grundlegend verändert. Manche Wirtschaftszweige werden ganz verschwinden, andere profitieren. Im Banking sind sie am nächsten dran an diesen Entwicklungen.

Was war das Schwierigste am Turnaround der UBS?

Es gibt nicht etwas Schwieriges. Ich stand vielmehr da und blickte in den Abgrund. Zudem war das Marktumfeld im März 2009 von Panik geprägt.

«Man kann das Top-Management ersetzen, aber die Angestellten, die brauchen Sie»

In solchen Situationen gibt es nur eins zu tun: Man muss allen Angestellten reinen Wein einschenken und ihnen klar sagen, wo wir stehen. Das hört sich zumeist nicht sehr gut an. Aber es ist das Beste, weil dann alle wissen, woran sie sind.

Das haben Sie getan?

Ja. Die Menschen wollen Klarheit. Nur so bringt man die Angestellten hinter sich, und das ist die Hauptbedingung für jeden Turnaround – alleine schaffen Sie das nicht. Man kann das Top-Management jederzeit ersetzen, aber die Angestellten, die brauchen Sie.

Die UBS steht heute tatsächlich wieder gut da.

Mit Verlaub, sie steht an der Weltspitze, wenn man sich die Credit-Default-Spreads anschaut. Die UBS hat die tiefsten Werte, die inzwischen besser sind als jene von den grössten US-Banken.

Haben Sie Vorbilder?

Es gibt schon ein paar Leute in der Weltgeschichte, die sehr gut waren. Einer, der mir Eindruck machte, war Winston Churchill. Wobei ihn sein Land dann geholt hat, als es selber nicht mehr weiter wusste, und als es wieder gut ging, ihn wieder abgewählt hat.

«Sobald es besser läuft, will man diese Personen wieder los haben»

Das ist die Ironie der Geschichte. Fähigen Leuten vertraut man in Krisensituationen sehr viel Macht an. Doch sobald es besser läuft, will man diese Personen wieder los haben. So war das auch bei mir.

Haben Sie noch andere Vorbilder?

Dschingis Khan, den die Europäer in der Geschichte als mordenden und raubenden Teufel in Person sehen. In Asien ist diese Wahrnehmung anders. Da gilt er als Staatsgründer und Staatsmann, der Strukturen schuf, Kriegstechniken entwickelte und von Fairness geleitet war.

Ist Ihre Faszination für die Finanzwelt nach so vielen Jahren immer noch ungestillt?

Ja, absolut. Heute können Sie 24 Stunden am Tag informiert sein. Das gefällt mir. Wer sich dafür nicht interessiert, kann nicht im Bankgeschäft sein.

«Man versucht, es allen recht zu machen»

Ist der Besitz von Geld ein Gradmesser, dass man es im Leben richtig gemacht hat?

Ich glaube schon stark daran, dass es im Leben um richtig und falsch geht. Doch heute leben wir in einer Zeit, die nur zu gern richtig und falsch vermischt. Denn offenbar ist es politisch nicht mehr korrekt zu sagen, was man als richtig oder falsch empfindet. Man versucht, es allen rechtzumachen.

Macht Geld unabhängig?

Es macht unabhängiger. Vielleicht braucht es das ja auch, dass man in die Welt gesetzt wird ohne einen Cent. Dann hat man zwangsläufig einen Antrieb, etwas zu unternehmen. Zumindest bei mir war das so. Natürlich können Sie auch stehlen und betrügen. Das sind dann die Leute, die auf «die dunkle Seite der Macht» gelangen.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
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