Die mit der Euro-Untergrenze verbundene Tiefzinspolitik verursache existenzielle Probleme für unsere Altervorsorge, warnt der Ökonom Hans Kaufmann.

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Hans Kaufmann ist Ökonom, SVP-Nationalrat, Gründer von Kaufmann Research und seit kurzem auch Bankrat der Zürcher Kantonalbank.  Bis 1999 arbeitete er bei Julius Bär, zuletzt als Chefökonom. Er schreibt regelmässig für finews.ch. 

Ob der Mindestwechselkurs zum Euro 1.20 Franken oder 1.40 Franken betragen soll, ist zwar für unsere Exportindustrie wichtig, aber es ist nicht Sache der Politik in die Geldpolitik der Schweizerischen Nationalbank (SNB) einzugreifen.

Empfehlungen an die SNB könnten sich sogar als kontraproduktiv erweisen, indem sie Trotzreaktionen auslösen. Die SNB verzichtet allenfalls auf geplante Wechselkurseingriffe, um ja nicht in den Verruf zu geraten, am Gängelband der Politik zu hängen.

Existenzielle Probleme

Allerdings gibt es Extremfälle und Folgen der SNB-Geld- und Währungspolitik, mit denen sich auch die Politik auseinandersetzen muss. Während die Festsetzung eines Mindestwechselkurses für die Exportindustrie eine gewisse Erleichterung und Planbarkeit bringt, verursacht die mit der Wechselkurspolitik verbundene extreme Tiefzinspolitik existenzielle Probleme für unsere Altersvorsorge.

Damit sind nicht nur die privaten Ersparnisse gemeint, die bei steigenden Inflationraten negative Realrendite hinnehmen müssen. Betroffen werden vor allem die Pensionskassen und die Lebensversicherer, die bei Zinssätzen von nur noch 0,5 Prozent für 10-jährige Staatsanleihen kaum eine Chancen haben, die für die Rentenzahlungen notwendigen Kapitalerträge von 3 Prozent bis 5 Prozent zu erwirtschaften.

Risiken nicht abgedeckt

Auch in Fremdwährungen liegen die Renditen von 10-jährigen Staatsanleihen in 11 wichtigen Ländern unter 2 Prozent. Erschwerend kommt hinzu, dass die Zinsen weltweit im Gleichschritt sinken oder bereits auf sehr tiefem Niveau angekommen sind.

Solch tiefe Zinsen und minime Zinsdifferenzen vermögen die Währungsrisiken nicht abzudecken.

Beispiel Japan

Glaubten viele Anleger zu Beginn der Finanzkrise noch, die Tiefzinsphase sei nur ein vorübergehendes Phänomen, so muss heute mit einer 5- bis 10-jährigen Dauer gerechnet werden, wie dies in Japan bereits seit 13 Jahren der Fall ist.

Dort fiel die Rendite der 10-jährigen Staatsanleihen 1998 erstmals unter die 1-Prozent-Marke. Nicht weniger als sieben japanische Lebensversicherungen gingen wegen den tiefen Zinsen, den Aktien- und Immobilienverlusten zwischen 1997 und 2002 pleite (Nissan, Toho, Daihyaku, Taisho, Chiyoda (Nr. 12), Kyoei, Tokyo).

Kollaps der Nissan Life

Im März 2003 gaben die zehn grössten japanischen Lebensversicherungen bekannt, dass die effektiven Zinserträge (Rendite der 10-jährigen japanischen Staatsanleihe unter 1 Prozent) um rund 9 Milliarden Franken unter den laufenden Renditeversprechen (5,5 Prozent) lägen.

Der 1995 gegründete Policyholders Protection Fund (Auffangeinrichtung) wurde durch den Kollaps der Nissan Life, der damals 16. grössten Lebensversicherung, aufgezehrt. Die japanische Regierung sah sich deshalb veranlasst, Massnahmen wie mehr Transparenz der Rechnungslegung und höhere Solvenz-Margen (200 Prozent) zu treffen, um die Lebensversicherungen vor einem sicheren Ende zu bewahren.

Drohungen der Rating-Agenturen

Immerhin waren damals 90 Prozent der Japaner bei einer Lebensversicherung versichert. Die Versicherungen haben jedoch die Bewilligung, nachträglichen Kürzungen der Garantierenditen vorzunehmen, nicht genutzt, weil solche Kürzungen den Eindruck von Solvenzproblemen erweckt hätten.

Dazu kam die Drohung von Rating-Agenturen, im Falle solcher Kürzungen Bonitätsrückstufungen vorzunehmen. Und schliesslich hätten vermutete Finanzproprobleme auch zu Kurseinbussen an den Aktienbörsen geführt. Davon wären viele, gleichzeitig ums Überleben kämpfende Banken mit grossen Versicherungsengagements betroffen worden.

Aktienanteil massiv abgebaut

Stattdessen reduzierten die Lebensversicherungen das Einzellebensgeschäft massiv und der Personalbestand wurde um 20 Prozent abgebaut. Die Auffangeinrichtung wurde mit Staatshilfe neu aufgesetzt. Der Marktanteil der japanischen Lebensversicherungen unter den Top 15 sank von 93 Prozent auf 61 Prozent.

Wie in der Schweiz bauten die japanischen Versicherungen ihre Aktienanlagen von einst über 20 Prozent auf heute noch 4 Prozent ab. Damit entfallen sie als Risikoträger für die Privatwirtschaft.

Schweiz: KMUs in schwieriger Lage

Mit dem Japan-Vergleich soll nicht suggeriert werden, dass auch Schweizer Lebensversicherer in eine finanzielle Schieflage geraten könnten, die mit Insolvenzen für die Versicherten enden würden. Die von den Lebensversicherungen gehaltenen Garantiekapitalien für die Lebensversicherungen sind ja aus dem Vermögen der Lebens-versicherungen ausgegliedert und kämen bei einer Geschäftsaufgabe nicht in eine Konkurs- oder Liquidationsmasse.

Aber wenn die vier grössten Lebensversicherungen mit einem Marktanteil von 87,2 Prozent (2011: Axa 32,4 Prozent, Swiss Life 30,4 Prozent, Basler 10,6 Prozent, Helvetia 10,2 Prozent) aus Ertragsgründen keine Kollektivversicherungen (Pensionskassen) mehr anbieten, dann gerieten auch in der Schweiz Tausende von KMUs in eine schwierige Situation.

Schwierige Sanierung

Sie müssten dann nach Alternativen für ihre Pensionskassen suchen. Immerhin versichern die Schweizer Lebensversicherer rund ein Viertel aller Vorsorgegelder und fast die Hälfte der 3,7 Millionen aktiv Versicherten.

Anlagestiftungen und autonome Pensionskassen garantieren im Gegensatz zu den Lebensversicherungen aber keine Rente bei fixen Beiträgen. Im Unterdeckungsfalle müssten sich deshalb auch die Unternehmen als Arbeitgeber an einer Sanierung von Pensionskassen beteiligen.

Abstufungen und Kreditausfälle

Die Altersvorsorger sehen sich aber an den Zinsmärkten nicht nur mit dem Tiefzinsszenario konfrontiert. Ebenso gravierende Probleme bestehen in Bezug auf die Schuldnerbonitäten. Ein Blick in die Finanzpresse genügt, um festzustellen, wie die Kreditwürdigkeit vieler Schuldner laufend zurückgestuft wird.

Am Schweizer Obligationenmarkt weisen Obligationen im Nominalwert von rund 100 Milliarden Franken respektive rund 20 Prozent nicht einmal mehr eine BBB-Bewertung (durchschnittlich gute Anlage, bei Verschlechterung der Gesamtwirtschaft ist aber mit Problemen zu rechnen) auf, die als Minimum für die Aufnahme in die Obligationenindizes gilt.

Bondmarkt ein Minenfeld geworden

Man muss sich bewusst sein, dass von den weltweit ausstehenden Anleihen von rund 100'000 Milliarden Dollar nur etwa 11 Prozent auf Industrie- und Handelsunternehmen entfallen. Den Rest teilen sich die Schuldner der öffentlichen Hand und die Banken.

Gegen 90 Prozent des Obligationenmarktes sind für die Anleger zu einem Minenfeld geworden, denn es vergeht fast kein Tag ohne Bonitätsabstufungen von Staaten, und im Zuge dieser Abklassierungen wird in der Regel auch die Kreditwürdigkeit der Banken dieser Länder zurückgestutzt. Nach dem massiven Schuldenschnitt Griechenlands, der den Privatanlegern rund 100 Milliarden Euro Verluste brachte, ist der Beweis erbracht, dass auch auf Anleihen von EU-Staatsschuldnern Kreditausfälle eintreten können.

Risiko einer Zinswende

Die Folgen der Tiefzinspolitik und der Kreditausfälle werden sich nach und nach auf die Deckungsgrade unserer Pensionskassen auswirken. Derzeit wird die Performance der Pensionskassen zwar noch durch Kursgewinne auf Obligationen von AAA-Schuldnern künstlich aufgehellt.

Wenn die Zinsen aber eines Tages wieder ansteigen, dann verwandeln sich die vermeintlichen Gewinne rasch wieder in Verluste. Das Zinsrisiko besteht somit nicht nur bei anhaltend tiefen Zinsen, sondern auch bei einer Zinswende.

Gefährliche Zinsanstiege

Ausgehend von den heutigen tiefen Niveaus, würde eine 10-jährige Bundesobligation (Eidgenoss), deren Rendite am 6. Juni 2012 in London mit 0,48 Prozent ein historisches Allzeittief erreicht, bei einem Zinsanstieg um 0,5 Prozent auf 1 Prozent bereits Kursverluste von rund 4 Prozent erleiden. Bei einem Zinsanstieg auf 2 Prozent verlieren die Anleger etwa 13 Prozent (jeweils nach Abzug der laufenden Verzinsung gerechnet).

Als ob all diese Marktprobleme nicht schon existenzgefährdend wären, kommen noch Regulierungsmassnahmen im In- und Ausland dazu. Die risikobasierte Aufsicht macht zwar durchaus Sinn, aber die Schweiz setzt die Anwendung und die Kalibrierung der Solvenzvorschriften im Vergleich zur EU massiv höher an.

Aus dem Wettbewerb katapultiert

Im Nicht-Lebenbereich könnte man zwar noch von einer etwas milderen Regulierung sprechen, aber im wichtigen Lebensversicherungsbereich werden die Schweizer Lebensversicherer auf den europäischen Märkten aus dem Wettbewerb katapultiert.

Die Schere zwischen den EU-Lebensversicherern in der EU und den Schweizer Lebensversicherern öffnet sich immer mehr. Die Schweizer Lebensversicherer werden für die gleiche Police 40 Prozent bis 80 Prozent mehr Eigenmittel bereitstellen müssen als Lebensversicherer in der EU.

Rückzug aus einzelnen Märkten

Während es den Lebensversicherern aus Grossbritannien, Deutschland, Frankreich gelingt, ihre Solvenzauflagen aufzuweichen, müssen selbst die Schweizer Konzerntöchter im Ausland wegen der Gruppenaufsicht die Schweizer Standards (Swiss Solvency Test / SST) einhalten. Damit sind sie im EU-Lokalgeschäft nicht mehr konkurrenzfähig und gelegentliche Verkäufe ausländischer Geschäftseinheiten oder der Rückzug aus solchen Märkten würde nicht überraschen.

Ein Grund für die grosse Differenz der Eigenmittelanforderungen besteht in der Anwendung der Durchschnittsrendite der Bundesobligationen für die Abzinsung der künftigen Verpflichtungen. In der EU kommt die Swap-Satz-Zinskurve zur Anwendung.

Mehr Eigenmittel nötig

Wenn man zum Beispiel eine künftige Verpflichtung zu 0,5 Prozent (aktuelle Rendite Bundesobligationen) statt mit 3,25 Prozent (zum Teil Ausland, respektive Bundesobligationenrendite Juni 2008) abzinst, ergibt sich ein 37 Prozent höherer Barwert.

Wenn die Versicherungen nicht über die nötigen Eigenmittelreserven verfügen, um diese Risiken zu decken, müssen sie sich mehr Eigenmittel beschaffen oder ihr Geschäftsvolumen reduzieren. Sie benötigen somit mehr Eigenkapital, weil die SNB die Zinsen aus Währungsgründen künstlich drückt.

Antizyklischer Aufschlag

In der EU kommen immerhin die Swap-Sätze, das heisst eine Zinskurve zur Anwendung, die realitätsnäher erscheint. Deshalb sollte die Finma sich der EU-Aufsicht anpassen und ebenfalls die Swap-Sätze-Zinskurve (aktueller Swap Satz CHF 10J = 0,9 Prozent, 30 J = 1,2 Prozent) für die Abzinsung der künftigen Verpflichtungen verwenden.

Für Extremfälle, wie wir sie derzeit am Geld- und Kapitalmarkt vorfinden, sollte sogar ein Mindestzins von beispielsweise 2 Prozent oder ein antizyklischer Aufschlag (bei Zinsen unter 4 Prozent ein Aufschlag von 0,5 Prozent bis 1 Prozent) zur Anwendung kommen.

Doppelschlag gegen Schweizer Versicherer

Der Doppelschlag gegen die Schweizer Lebensversicherer durch die SNB mit ihrer Tiefzinspolitik und den Bundesrat über die Regulierung muss dringend gemildert werden, will die Schweiz den Versicherungsstandort nicht noch weiter schwächen. Erste Absatzbewegungen nach Irland (Zürich-Versicherung) und der Einbruch des Einmaleinlagen-Lebensversicherungsgeschäftes sollten eine Warnung sein.

Mit dem Swiss Sovency Test (SST) wurde ein Grossteil der bisher noch vorhandenen Flexibilität der Lebensversicherer wegreguliert und mit den bevorstehenden übrigen Regulierungen (Versicherungsvertragsrecht mit 450 Millionen Franken einmaligen und 750 Millionen Franken jährlich Kosten, Abgeltungssteuern, Fatca, Kollektivanlagegesetz etc.) werden den Versicherungen und ihren Kunden hohe zusätzliche Kosten auferlegt.

Bevormundung der Konsumenten

Dabei handelt es sich grösstenteils um volkswirtschaftlichen Leerlauf und nicht um einen Mehrnutzen für die Versicherten. Das Bestreben der Bundesbeamten, sich dank hohen Eigenmittelanforderungen Arbeit zu ersparen, dürfte dafür ein wesentlicher Grund sein.

Wenn die Eigenmittelpuffer extrem hoch ausgestaltet werden, dann können auch nachlässige und schlecht konzipierte Kontrollen übertüncht werden. Der angebliche Konsumentenschutz artet immer mehr zu einer Konsumentenbevormundung aus.

Grossschaden abwenden

Es wäre an der Zeit, dass die Politik endlich begreift, dass die SNB und der Bundesrat im Begriff sind, unsere Altersvorsorge der zweiten und dritten Säule zu demolieren. Dieser Grossschaden für die Schweiz muss dringend abgewendet werden. Dazu gehören auch Erleichterungen im Steuerbereich, insbesondere die Abschaffung von Stempelsteuern auf Einmaleinlagen-Lebensversicherungen.

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