«Industriepolitik ist letztlich Planwirtschaft»
Ergeht es der lange vor Kraft strotzenden Schweizer Pharma-, Chemie- und Life-Science-Branche ähnlich wie den Banken?
Diese Parallele drängt sich nach dem Besuch des Jahresanlasses des Branchenverbands Scienceindustries am Mittwoch im Zürcher «Marriott» auf. Der Bankenplatz Schweiz muss schon seit Jahren seine traditionelle starke Position gegen etablierte und aufstrebende Konkurrenten im Ausland verteidigen und verliert dabei – etwa in der Disziplin grenzüberschreitende Vermögensverwaltung – schleichend an Boden.
Internationale Konkurrenz holt auf
Dasselbe gilt nun auch für die chemisch-pharmazeutische Industrie. Gemäss dem von Scienceindustries bei BAK Economics in Auftrag gegebenen Global Industry Competitiveness Index (GICI) 2025 holt die internationale Konkurrenz auf. «Erstmals seit fünf Jahren muss die Schweiz ihren zweiten Platz im globalen Ranking abgeben und teilt sich nun Rang 3 mit Dänemark», lautet der ernüchternde Befund der Studie.

Immerhin: Der Schweizer Chemie- und Pharmastandort gehört gemäss dem GICI in allen vier Dimensionen der Wettbewerbsfähigkeit (Performance, Marktstellung und Leistungsfähigkeit, Innovation und Technologieführerschaft sowie Standortqualität) weiterhin zu den besten fünf Ländern.
Bei Innovationen und Digitalisierung an Boden verloren
Doch werden die Ergebnisse, die Michael Grass, Leiter Analysen und Studien bei der BAK, am Anlass präsentierte, weitherum als Warnschuss betrachtet. Annette Luther, Präsidentin von Scienceindustries: «Die Führungsrolle der Schweizer chemisch-pharmazeutischen Industrie ist nicht selbstverständlich, sondern muss immer wieder neu erkämpft werden.» Besonders schmerzt es sie, dass die Schweiz bei Innovation und Digitalisierung an Boden verloren hat.
Und Verbandsdirektor Stephan Mumenthaler diagnostiziert: «Die USA und Irland ziehen davon, während Länder wie die Niederlande und das Vereinigte Königreich mit grossen Schritten aufholen. Die Schweiz bleibt zwar ein globaler Spitzenstandort, insbesondere bei Infrastruktur, Talenten und Stabilität. Aber dort, wo die Zukunft definiert wird – bei der Digitalisierung – hinken wir hinterher.»
Standortpolitik statt Industriepolitik
Die Branche blickt nun offenbar nach Bundesbern. Luther: «Es braucht jetzt eine Politik, die unsere Stärken – Innovationsgeist, Offenheit und Verlässlichkeit – stützt und nicht durch Überregulierung ausbremst». Konkret müsse der Bundesrat eine entsprechende Gesamtstrategie aufzeigen. In diese Richtung weisen auch zwei parlamentarische Vorstösse, eine Motion der Ständerätin Eva Herzog (SP) und eine Motion der Nationalrätin Patricia von Falkenstein (LDP), beide wohl nicht zufällig aus der Pharmahochburg Basel.
Allerdings will Scienceindustries nicht, dass die Schweiz wie andere Länder eine Industriepolitik mit der Förderung bestimmter Branchen (oder gar spezifischer Unternehmen) betreibt. Mumenthaler: «Ein Aufspringen auf den Zug klassischer Industriepolitik ist für die Schweiz nicht zielführend, aber gezielte Verbesserungen bei Markt- und Standortbedingungen sind unerlässlich.»
Schwieriges internationales Geschäftsumfeld
Verdankenswerterweise bildet denn auch die Industriepolitik einen Schwerpunkt in der diesjährigen GICI-Publikation. Dabei zeigt sich, dass dabei meist alter Wein (Subventionen, Steuererleichterung etc.) in neuen Schläuchen (nationale Sicherheit, Klimatransformation, Innovationsförderung usw.) verpackt wird. Oder wie es Ökonomieprofessor Aymo Brunetti an der Podiumsdiskussion trefflich auf den Punkt brachte: «Industriepolitik ist letztlich Planwirtschaft.»
Die Pharma- und Chemiebranche ist für die Schweizer Volkswirtschaft – ähnlich wie die Finanzindustrie – von grosser Bedeutung. Die Hälfte der Exporte geht auf ihr Konto, und sie ist dank ihrer weit überdurchschnittlichen Produktivität auch ein Wachstumstreiber. Und wenig deutet darauf hin, dass ihr Geschäftsumfeld in nächster Zukunft einfacher werden könnte, angesichts der weltweiten Renaissance der Industriepolitik, der US-Zölle und weiterer protektionistischer Tendenzen (für die Banken ist das internationale Umfeld schon seit Jahren ziemlich anspruchsvoll).
Standortpolitik «strategisch schärfen»
Es ist zu hoffen, dass sich Scienceindustries auch künftig auf eine Standortpolitik konzentriert und den Sirenen einer staatlichen Unterstützung und Förderung der Branche, in welchem Kleid auch immer, widersteht.
Der Verband wünscht sich sechs Pfeiler für eine «strategisch geschärfte Standortpolitik».
- Besserer Marktzugang
- Forschungs- und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen;
- wirtschaftsfreundliches Unternehmensumfeld;
- Förderung von Fachkräften und Bildung;
- wettbewerbsfähige und sichere Versorgung und Infrastruktur;
- konsequenter Regulierungsabbau.
Dass diese Formulierungen so allgemein gehalten sind, ist Schwäche und Stärke zugleich. Schwäche, weil sie erst mit Massnahmen konkretisiert werden müssen (was Scienceindustries auch tut) und es dann rasch kontrovers wird. Stärke, weil das durchaus legitime gesamtwirtschaftliche Anliegen sind, die auch etwa die Bankenbranche teilen könnte.
















