Immer mehr Menschen legen sich in ihrem Leben einen Plan B zurecht. Dazu gehört oft auch ein zweiter Reisepass. Darum boomt dieses Geschäft. Doch was braucht es, um in den Besitz einer zweiten Staatsbürgerschaft zu kommen? finews.ch hat recherchiert.

Die Corona-Pandemie und der Krieg in der Ukraine haben unter vielen vermögenden Menschen eine grosse Verunsicherung ausgelöst. Eine Verunsicherung, die vor allem mit ihrer Mobilität zu tun hat. Denn gerade bei wohlhabenden Leuten ist die Fähigkeit zu reisen, besonders wichtig. Doch die erwähnten Entwicklungen haben diese Freiheit enorm eingeschränkt.

Darum ist die Nachfrage nach einer zweiten Staatszugehörigkeit oder Wohnsitzbewilligung in einem anderen Land explodiert. Um ihren Alltag und Lebensstil weiterhin zu garantieren, legen sich tatsächlich immer mehr Menschen einen «Plan B» zurecht.

Undifferenzierte Annahmen

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(Bild: Convert Kit, Unsplash)

Obschon es dabei primär um die Reisefreiheit geht, spielen weitere Überlegungen ebenfalls eine Rolle, beispielsweise die Möglichkeit, die Kinder in anderen Ländern studieren zu lassen, oder das Vermögen zu diversifizieren sowie sicherer und angenehmer als im Heimatland zu leben.

Das Geschäft mit Staatszugehörigkeiten und Wohnsitzbewilligungen gilt in einigen Kreisen als umstritten – oft, weil es auf undifferenzierten Annahmen beruht. Das zeigt sich allein im Umstand, dass viele Leute annehmen, Reisepässe oder Niederlassungsbewilligungen liessen sich bei privaten Firmen kaufen. Das ist falsch.

Vielmehr sind es die Staaten selbst, die solche Programme mehr oder weniger aktiv anbieten. Die erwähnten Firmen, von denen tatsächlich nicht alle seriös arbeiten, agieren dabei als Berater und Vermittler zwischen den Parteien. Solche Dienste sind denn auch nötig, da der Erwerb einer zweiten Staatsbürgerschaft oder einer Wohnsitzzulassung überaus komplex ist, wie eine Analyse von finews.ch zeigt.

Ein Viertel der Kandidaten fällt durch

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Malta (Bild: Mike Nahlii, Unsplash)

Sehr populär für eine zweite Staatsbürgerschaft ist Malta, weil es ein EU-Mitglied ist, was wiederum eine visafreie Einreise in viele andere Länder ermöglicht. Ausserdem kann diese Staatsbürgerschaft bereits ein Jahr nach Erhalt einer Niederlassungsbewilligung beantragt werden, was in anderen Ländern nicht so schnell geht.

Wer sich auf einen solchen Prozess einlässt, muss allerdings viel, um nicht zu sagen alles zu seiner Person, zu seinen Familienverhältnissen, zu seinem Werdegang, zu seinen beruflichen Tätigkeiten und sogar zu seiner Gesundheit offenlegen, wie finews.ch recherchierte. Jeder Antragssteller wird regelrecht durchleuchtet, wobei in Malta mehr als ein Viertel der Kandidaten eine Absage erhält, da sie die sehr hohen Due-Diligence-Anforderungen gar nicht erst erfüllen. Alles in allem ist es ein kostspieliger und komplizierter Prozess – ohne Erfolgsgarantie.

Geschäft mit Hunderten von Beratungsfirmen

Weltweit existieren mehrere Hundert Beratungsfirmen, die in diesem Geschäft tätig sind. Tatsächlich gibt es einige zweifelhafte Unternehmen, die Regierungsmitglieder in eher «exotischen» Ländern bestechen und umgekehrt auch finanziell intransparent gegenüber ihren Kundinnen und Kunden agieren. Unangefochtener, globaler Marktführer ist Henley & Partners. In Ländern wie Malta oder Montenegro (Bild unten) hält das Unternehmen nach Recherchen von finews.ch einen Marktanteil von rund 50 Prozent. Henley & Partners ist eine britische Firma mit weltweiter Präsenz und dabei auch in Zürich und in Genf vertreten.

Die meisten Firmen arbeiten jedoch professionell, und die führenden Unternehmen sind im internationalen Verband des Investment Migration Council (IMC) mit Sitz in Genf organisiert. Der IMC legt Branchenstandards fest und gibt einen Ethik- und Berufskodex heraus, an den sich die Mitglieder halten müssen, um ein gewisses Mass an Qualität und Selbstregulierung zu gewährleisten.

Seriöse Beratungsfirmen wie Henley & Partners, die auch von den jeweiligen Regierungen akkreditiert sind, klären in einem ersten Schritt ab, ob sich die Bewerber überhaupt für ein Programm qualifizieren. Zu rund 80 Prozent sind es Personen aus China, den USA, dem Nahen Osten, Indien, und Lateinamerika, die sich um einen Pass bemühen. Russische Staatsangehörige nimmt Malta keine mehr auf.

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Montenegro (Bild: Dragisa Braunovic, Unsplash)

Im Fall von Henley & Partners gilt in einem ersten Schritt ein achtseitiger Fragebogen als Grundlage, ob sich jemand für eine zweite Staatsbürgerschaft überhaupt bewerben kann. Er erinnert an die Formulare, die man heutzutage für die Eröffnung einer Bankbeziehung ausfüllt – unter anderem auch mit einer Abklärung, ob man eine politisch exponierte Person (PEP) ist.

Staatsbürgerschaft als «Belohnung»

Darüber hinaus verlangt der Fragebogen Auskunft über möglicherweise frühere Versuche, eine Staatsbürgerschaft oder Niederlassungsbewilligung zu erlangen; inklusive solcher Bemühungen anderer Familienmitglieder – oder über Visumsgesuche, die eventuell einmal abgewiesen wurden. Die Due-Diligence-Abklärung geht also weit über diejenige der Banken- und Finanzintermediäre hinaus, indem auch wesentliche nichtfinanzielle Fragen abgeklärt werden.

Kommt eine Beratungsfirma zum Schluss, der Kandidat erfülle die Kriterien für das Programm, beginnt der Prozess mit den Behörden erst. Genau genommen «belohnt» in diesem Fall Malta mit der Vergabe einer Staatsbürgerschaft Leute, die sich für das Land verdient gemacht haben. Das ist ein dehnbarer Begriff, läuft aber in allen Fällen auf ein klar definiertes Investment hinaus, das der Bewerber in Malta tätigen muss. Offiziell spricht man also nicht vom Kauf einer Staatsbürgerschaft, sondern von einer Investition, für die man «honoriert» wird.

Wenig kontrollierte EU-Einbürgerungen

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Brüssel (Bild: Alxandre Lallemand, Unsplash)

Malta begann 2013 mit einem ersten Programm, das von Henley & Partners entwickelt wurde. Unter diesem Programm wurden bis 2019 insgesamt 1'800 Staatsbürgerschaften vergeben, was im Vergleich zu den mehr als 700'000 jährlichen Einbürgerungen in der EU ein Bruchteil ist; EU-Einbürgerungen notabene, die im Vergleich zu Malta weitgehend ohne seriöse Due-Diligence-Abklärungen vollzogen werden.

Inzwischen spricht Malta nicht mehr von einem Programm, sondern von einem neu aufgelegten Prozess, der die Vergabe von 400 Staatsbürgerschaften pro Jahr und insgesamt noch 1'500 vorsieht. Damit hat sich das Angebot verkleinert, was die Nachfrage nach Staatsbürgerschaften und Wohnsitzniederlassungen in anderen Ländern, namentlich in Portugal, Spanien, Italien oder Griechenland massiv erhöht hat.

Allerdings winkt dort eine Staatsbürgerschaft meist erst nach einigen Jahren. Die portugiesische Regierung gab unlängst bekannt, ihr Programm zu stoppen. Doch bislang ist es lediglich bei einer Absichtserklärung geblieben. Zu hoch sind offenbar die Einnahmen und Auslandsinvestitionen, die der Staat damit generiert.

Hohe Initialkosten ohne Erfolgsgarantie

Der Erwerb einer maltesischen Staatsbürgerschaft erfolgt in vier Etappen. Die Initialkosten ohne Erfolgsgarantie belaufen sich auf umgerechnet rund 100'000 Franken. Dieses Geld fliesst so oder so zum Staat. Die Gebühren der Beratungsfirma, die man für die Einreichung und Begleitung des Antrags engagiert, variieren von Unternehmen zu Unternehmen, kommen aber noch separat hinzu. Sie belaufen sich im Schnitt auf umgerechnet mehrere zehntausend Franken pro Person.

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Polizei in Grossbritannien (Bild: Ethan Wilkinson, Unsplash)

Im ersten Schritt nimmt die Behörde einen umfassenden Background-Check des Antragsstellers vor, wie er bei Banken üblich ist. Im zweiten Teil finden polizeiliche und justizielle Abklärungen über die Datenbanken von Interpol, FIU, Europol und anderen Behörden statt. Ein Bewerber von ausserhalb der EU muss sich für den Besuch von Malta ausserdem um ein EU-Visum bewerben, was wiederum ein Kriterium ist, um die maltesische Staatsbürgerschaft zu beantragen.

Der dritte Teil im Prozess umfasst die finanziellen Verhältnisse des Kandidaten, seiner Familie und seiner beruflichen Situation. Hier muss der Antragssteller über mehrere Generationen hinweg darlegen, wie er zu seinem Vermögen gekommen ist; welche Pflichten und Verantwortlichkeiten (zum Beispiel Verwaltungsratsmandate) er aktuell hat, und wie sich sein Besitz etwa von Immobilien, Kunst oder anderen Engagements präsentiert.

Sehr genaue Prüfung

Selbstredend findet hier auch eine international standardisierte Prüfung der Richtlinien in Sachen Geldwäscherei und Terrorismus-Finanzierung statt. Die Abklärungen sind so umfangreich, dass selbst die heute recht detaillierten Abklärungen von Banken bescheiden dagegen wirken.

Als heikel oder gar fatal – selbst wenn ungewollt – können sich dabei berufliche (etwa zu Verwaltungsratskollegen) oder auch familiäre Verbindungen zu Personen (denen zum Beispiel ein Land eine Einreise verweigert hat) entpuppen, weil sie im Raster dieser internationalen Checks hängenbleiben. Das kann das abrupte Ende des gesamten Prozesses bedeuten.

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(Bild: Mana5280)

Unter anderem muss der Bewerber auch ein sechsseitiges, von Ärzten attestiertes Formular zu seinem Gesundheitszustand (frühere Krankheiten, Gebrechen) liefern. Alle diese Unterlagen werden dann im vierten Teil des Prozesses von den Behörden gesamtheitlich geprüft; jede vierte Bewerbung fällt dabei durch, wobei die Behörden keine Auskunft darüber geben, woran ein Gesuch gescheitert ist.

Umgerechnet 750'000 Franken für ein Investment

Im positiven Fall darf der Antragssteller nach einer Wartezeit von neun bis zwölf Monaten ein im Voraus festgelegtes Investment in Malta von umgerechnet rund 750’000 Franken tätigen – und nach weiteren, umfangreichen Hintergrundabklärungen durch die Behörden in Malta, inklusive nochmaliger Prüfung der Herkunft der Gelder.

Danach erhält er seinen Pass, der ihm einen visa-freien Zugang zu insgesamt mehr als 170 Ländern bietet. Die Behörden in Malta überwachen noch während fünf Jahren das Profil des neuen Staatsbürgers oder der neuen Staatsbürgerin.