Es gibt viele Bankangestellte, die mit der Absicht liebäugeln, sich selbständig zu machen. Doch nur die wenigsten wissen, worauf sie sich dabei einlassen. Darum hat der unabhängige Vermögensverwalter und frühere UBS-Banker Francesco Magistra einen persönlichen Leitfaden verfasst, den er finews.ch zur Verfügung stellt.

«Ich spreche von meinem neuen Leben, weil es ein Leben vor und ein Leben nach dem Ausscheiden aus einer Bank gibt», sagt der Tessiner Francesco Magistra (Bild unten) im Gespräch mit finews.ch, «sobald Sie die Bank verlassen haben, werden Sie nie wieder derselbe Mensch sein.»

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Francesco Magistra (Bild: zvg)

1. Warum sich überhaupt selbständig machen?

Ein unabhängiger Vermögensverwalter oder External Asset Manager (EAM) hat Zeit, sich zu 100 Prozent seinen Kundinnen und Kunden zu widmen. Es stimmt, dass die Anforderungen an die Aufsichtsbehörden heutzutage zunehmen, und es bedarf einer Struktur, um diese administrativen Aufgaben bewältigen zu können.

Doch die Kundinnen und Kunden, die Ihnen aufgrund Ihrer Fähigkeiten folgen, gehören Ihnen. Es gibt keine vorgeschriebenen Ziele mehr zu erreichen. Der Zähler geht nicht am 1. Januar eines jeden Jahres auf null zurück; er ist kumulativ.

2. Was will ich eigentlich?

In der Regel lautet die Antwort: «Ich möchte mich mehr um meine Kundinnen und Kunden kümmern und gleichzeitig mehr Freizeit und Freude haben.» Das ist möglich, aber es hängt sehr stark vom gewählten Vermögensverwalter-Modell ab. Es gibt EAM-Fabriken, die sich nicht wesentlich von Banken unterscheiden, und es gibt... andere.

3. Die Sicherheit

Als Kundenberaterin oder -berater ist der Abgang von der Bank das vermutlich grösste Risiko in einer Berufslaufbahn. Man muss sich neue Ziele setzen, wobei es zu bedenken gilt, dass die bisherigen Kundinnen und Kunden Eigentum der Bank sind; und die Bank wird alles unternehmen, sie zu behalten. Wer also kündigt, muss bereit sein, einen neuen Kundenstamm aus eigenen Kräften aufzubauen.

4. Was ist das Minimum?

Das Minimum an Kundinnen und Kunden hängt stark von der individuellen Eignung, dem gewählten Lebensstandard und den Ambitionen im Beruf ab. In der Regel braucht es aber weniger Kunden als man denkt.

Ausserdem gibt es immer auch Zwischenlösungen, wenn man sich einem existierenden, unabhängigen Vermögensverwalter anschliesst.

5. Vergütung zum Ersten

Das Gehalt, das einem eine unabhängige Vermögensverwaltungsfirma zahlt, ist lediglich ein Vorschuss auf eine noch zu erbringende Leistung. Ein Kundenberater, der bereit ist, am Anfang auf ein festes Gehalt zu verzichten, agiert selbstbewusster und kann im Gegenzug für den Verzicht auf den Vorschuss eine höhere Vergütung aushandeln.

6. Vergütung zum Zweiten

Neueinsteiger müssen schnell lernen, unternehmerisch zu denken – um ihre Ausgaben und Einnahmen zu berechnen, ihre Strategien zu entwickeln und ihre Aktivitäten zu organisieren.

Die Kosten, die sie verursachen – Mittagessen, Reisen, Miete, Büro, Computer usw. – müssen sie nun selbst bezahlen. Kurzum: Mehr Ausgaben bedeuten weniger Einnahmen.

7. Das Team – goodbye

In Ihrem früheren Leben waren Sie vielleicht von Assistenten, Kolleginnen und Kollegen umgeben. Neu ist, dass Sie nun lernen müssen, selbständig zu arbeiten. Wenn Sie Ihr Team aus Freundschaft und Bequemlichkeit mitnehmen möchten, müssen Sie sich bewusst sein, dass dies unrealistisch ist.

Denn in einem solchen Fall müssten Sie sämtliche Kosten (Gehälter, Ferien, Sozialabgaben, Büromiete, IT) mit dem, was Sie erwirtschaften, bezahlen. Das dürfte in der Anfangsphase eher illusorisch sein. Darum fällt es auch vielen Umsteigern so schwer, vom hohen Ross abzusteigen und sich plötzlich mit administrativen Belangen zu befassen.

8. Die Klientel geniesst Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit

Gute Arbeit in der Vergangenheit ist die beste Voraussetzung für Kundentreue. Für den Kunden ist die «neue» Zusammenarbeit mit Ihnen als Unternehmer oder Unternehmerin ein Upgrade. Denn der Kunde geniesst Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit und profitiert von Ihrer grösseren Unabhängigkeit bei der Auswahl von Produkten und Dienstleistungen.

Sie werden in der Lage sein, verschiedene (Depot-)Banken anzubieten, anstatt nur ein einziges Produkt, das jeden Monat wechselt. Sie «verkaufen» sich nun selbst und nicht mehr die Bank. Das ist grundlegend anders, aber interessant und äusserst spannend.

9. Wie eine neue Ehe?

Steigen Sie bei einem unabhängigen Vermögensverwalter ein, so schliessen nicht einen Vertrag auf Lebzeiten ab. Denn wenn die EAM-Firma nicht Ihren Erwartungen erfüllt, ist ein Wechsel viel einfacher als beim Weggang von einer Bank.

Für einen Wechsel von einer EAM-Firma zu einer anderen sind verwaltungstechnisch bloss ein paar Unterschriften vonnöten. Und natürlich eine glaubwürdige und nachvollziehbare Erklärung für Ihre Klientel. 

10. Jeder Tag ist der beste, um eine Bank zu verlassen

Das Timing ist immer eine komplexe Sache. Wenn Sie gut sind, wird die Bank alles daransetzen, Sie zu halten, und darum werden Sie dazu neigen, Ihren Austritt jedes Jahr wieder zu verschieben. Gute Bezahlung, viel Urlaub, wenig Verantwortung – kein Zweifel, das Angestelltenverhältnis bei einer Bank kann durchaus angenehmen sein.

Doch werden Sie bloss nicht zu phlegmatisch. Wagen Sie den Schritt, wenn Sie ernsthaft daran denken, und geniessen Sie die Jahre, die Sie als unabhängiger Vermögensverwalter noch vor sich haben. «Ich habe die Bank im Alter von 40 Jahren verlassen. Das war nicht einfach. Aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Und es hat sich gelohnt!


Francesco Magistra ist Verwaltungsratspräsident der Tessiner Nemesis Group in Lugano sowie Partner bei der Firma Osiris Asset Management in Vaduz im Fürstentum Liechtenstein. Nach Abschluss seiner Ausbildung in New York wurde er zum Repräsentanten des Schweizerischen Bankvereins (SBV, später UBS) in Lima und danach in Montevideo ernannt. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz nahm er das Vertriebsentwicklungs-Projekt «Fixed Income Emerging Markets» wieder auf, bevor er als Head of Latin America mit Verantwortung für Brasilien, Argentinien, Venezuela, Peru nach Lugano zurückkehrte. Insgesamt war er 15 Jahre für die UBS tätig. Seit 2001 ist er selbständig.