Konrad Hummler nimmt die USA wieder ins Visier
Auslöser war ein Leitartikel in der «Neuen Zürcher Zeitung» vom 12. April 2025 aus der Feder von Chefredaktor Eric Gujer, der Konrad Hummler dazu motivierte, «die Sache mit dem neuen US-Präsidenten» selbst zu ergründen.
«Es könnte, so wollte mir scheinen, nicht hinreichend sein, mit ein paar ziemlich süffisant hingeworfenen pseudohistorischen Vergleichen eine möglicherweise historische Wende in der US-Politik abzuschmettern», sagte er gegenüber finews.ch. Denn die Gefahr sei evident, dass damit die Sache zu wenig ernst genommen werde.
Am eigenen Leib erfahren
«Ich habe einmal im Leben die Entschlossenheit der Amerikaner am eigenen Leib erfahren; von daher stammt die Motivation, alles etwas besser verstehen zu wollen und damit vielleicht auch prognostizieren zu können», so Hummler weiter, dessen Wegelin Privatbank, wie erinnerlich, im Zuge des Steuerstreits zwischen den USA und der Schweiz im Jahr 2012 ihre Geschäftstätigkeit aufgeben wurde, wie auch finews.ch mehrfach berichtete,
Ivan Adamovich, Co-Autor und CEO der Private Client Bank (Bild: zvg)
Im Zuge von Hummlers immer umfangreicher werdenden Schreibarbeiten zur aktuellen Situation gesellte sich Ivan Adamovich als Mitautor hinzu, seines Zeichens Ex-Wegelin-Banker und heute CEO der Private Client Bank in Zürich, der Hummler als Verwaltungsratspräsident vorsteht.
Plan der «MAGA-Crew»
In dem von der Progress Foundation Zürich publizierten Essay, «Vom Umgang mit Amerika», geht es Hummler und Adamovich darum, die Denkvariante durchzuspielen, dass möglicherweise mehr Rationalität in der insgesamt befremdlichen Vorgehensweise der neuen US-Regierung stecken könnte, als dies in Europa allgemein vermutet wird.
Darauf basierend entwickeln die beiden Autoren drei Szenarien, wie sich die Welt weiter entwickeln könnte. Wahrscheinlichkeiten erstellen sie nicht, weil dies nach ihrer Einschätzung «noch verfrüht wäre».
Konkret schlagen Hummler und Adamovich vor, Donald Trumps zweite Amtszeit nicht als Abfolge erratischer Impulse, sondern als Versuch zu lesen, die unhaltbar gewordene US-Vormachtstellung planvoll abzubauen. Aus ihrer Sicht erkennt die «MAGA-Crew», dass Amerika die globale Allmende – Sicherheit, Weltwährung, Entwicklungshilfe – finanziell und industriell nicht mehr tragen kann.
Diplomatische Brüskierungen
Durch gezielte Verletzungen von Tabus, Zöllen, Kündigungen von Abkommen und diplomatische Brüskierungen zerstört Trump bewusst das Vertrauen der «widerwillig Wohlwollenden», um den Hegemon in einen machtpolitisch normaleren Grossstaat zurückzuführen.
Die Ausgangsdiagnose lautet: Drei Jahrzehnte asymmetrischer Globalisierung – günstige chinesische Produktion plus Dollar-Monopol – haben in den USA zur De-Industrialisierung, immenser Staatsverschuldung und exorbitanten Sicherheitslasten geführt. Freihandel ohne Währungsausgleich habe eine «Schlagseite» erzeugt, weil Peking den Renminbi künstlich billig hielt, während Washington die «Seigniorage» des Dollars genoss. Ergebnis sind Rostgürtel, soziale Spannungen und ein Staatshaushalt, dessen Zinsdienst bereits die Militärbudgets übersteigt.
Vom «Sugar-Daddy» zum «Deal-Maker»
Hegemonie erscheint im Essay als historisch instabile Ordnung, in der der Führungsstaat zur Residualgrösse aller Probleme wird. Das System funktioniert, solange die Geführten an die Überlegenheit und Zahlungsmoral des Hegemons glauben.
Bricht dieses Vertrauen, löst sich die Ordnung auf. Genau dieses «Entwöhnungsprogramm» sieht das Papier in Trumps Vorgehen: Er mutiert vom «Sugar-Daddy» zum «Deal-Maker», nimmt kurzfristige Marktverwerfungen in Kauf und zielt auf eine neue, für die USA vorteilhaftere Weltbalance.
Drei Zukunftsbilder
Um die hochgradige Unsicherheit einer solchen Zeitenwende zu erfassen, bedienen sich die Autoren militärischer Szenariotechnik. Sie entwerfen drei Zukunftsbilder – wie erwähnt, ohne Wahrscheinlichkeitsangaben:
- Aufteilung der Welt – Wunschszenario der Trump-Administration. Mächtige Zölle, ein geschwächter Dollar und ein radikaler Staatsumbau teilen den Globus in zwei rivalisierende Schwerkraftzentren USA und China. Wer sich an amerikanische Regeln hält, bleibt Handelspartner, wer nicht, wird zum Feind. Binnenmärkte werden wichtiger als multilaterale Institutionen
- Multilateralismus 2.0 – optimistische Variante. Nach einem Schock begreifen alle Akteure die Kosten der Konfrontation. Die USA mässigen ihre Zollpolitik, China gibt seine Währungsmanipulation auf, und eine neue, ausgewogenere Globalisierung startet – angetrieben von Reformen, Innovation und Schuldenabbau beider Grossmächte
- Die grosse Unordnung – Worst Case. Zollspiralen, Finanzkrisen, Staatsdefaults und Machtvakuen lassen eine weltweite Kaskade aus Protektionismus, Inflation und militärischen Konflikten entstehen. Zentralbanken verlieren Unabhängigkeit, Vermögenswerte kollabieren, Gewalt nimmt zu
Da niemand seriös quantifizieren kann, welches Bild Realität wird, empfehlen Adamovich und Hummler eine Haltung radikaler Vorsorge. Kleinstaaten wie die Schweiz sollten wirtschafts- und sicherheitspolitisch beweglich bleiben, mehrere Partnerschaften parallel pflegen, Verwaltung schlank halten und Verteidigungsfähigkeit stärken. Individuen wiederum sind gut beraten, in Bildung, Anpassungsfähigkeit und robuste Finanzstrukturen zu investieren; blinder Szenario-Optimismus sei gefährlich werden.
Konsequenzen für die Schweiz
Summa summarum präsentiert der höchst lesenswerte Text keinen moralischen Urteilsspruch über Trump, sondern einen Denkanstoss: Was, wenn «America First» tatsächlich einem strategischen Drehbuch folgt, das die USA vom kostspieligen Weltschiedsrichter zum selbstbewussten Machtpol transformieren will?
Für Europa und insbesondere die Schweiz ergibt sich daraus die Pflicht, eigene Annahmen zu überprüfen und sich auf eine Ära vorzubereiten, in der Sicherheit, Handel und Geldordnung nicht mehr selbstverständlich geliefert werden.
Der Essay ist ab Dienstag, 20. Mai 2025 unter diesem Link bestellbar.