Die Digitalisierung wird auch im Vorsorgegeschäft zum «Game Changer». Damit sind die Pensionskassen einem enormen Druck ausgesetzt, ihre Geschäftsmodelle zu ändern.

Im klassischen Sach- und Lebensversicherungsgeschäft sind die grossen Technologiefirmen bereits aktiv. Deren Geschäftsmodelle fussen in der Vernetzung digitaler Ökosysteme – als Technologie-Führer positionieren sie sich direkt an der Kundenschnittstelle.

Konkret bieten sie gemeinsam mit Netzwerkpartnern Versicherungslösungen für den Massenmarkt an. So hat beispielsweise WeChat – eine WhatsApp-Alternative aus Asien mit über einer Milliarde Nutzern – Versicherungsfunktionen bereits flächendeckend im Einsatz. Das US-Unternehmen Amazon beantragte in verschiedenen Ländern eine Versicherungslizenz und bereitet den Markteintritt vor. Auch beteiligen sich Technologiefirmen und etablierte Versicherer an Insurtechs, den Startups der Versicherungsindustrie.

Verlust der Kundenschnittstelle

Google beispielsweise investierte in das amerikanische Startup Lemonade, einem rein digitalen Sachversicherer, der sich hauptsächlich an Nichtversicherte richtet. Die Baloise errichtete ein 50 Millionen strategisches Venture-Programm und beteiligt sich laufend an Insurtechs weltweit. Dazu gehört das kalifornische Startup Trov, eine online, On-Demand Versicherungsplattform für Einzelgegenstände. Die Vorteile für Kunden sind klar: individualisierte Produkte, kostengünstige Preise, kundenfreundliche Konditionen und vor allem die perfekte User Experience. Der grösste Nachteil für etablierte Versicherer? Der Verlust der Kundenschnittstelle.

Im Gegensatz zum Direktgeschäft der Sach-, Haftpflicht oder Lebensversicherungen ist die berufliche Vorsorge in der Schweiz ein Firmenkundengeschäft. Angestellte Berufstätige können ihre Vorsorgelösung nicht frei wählen, sondern müssen sich der für den Betrieb etablierten Versicherungslösung anschliessen. Auch das BVG-Geschäft ist nicht transaktionsgetrieben, sondern sehr langfristig orientiert. Dies gilt insbesondere für firmeneigene Vorsorgestiftungen, aber auch für (teil)autonome Versicherungslösungen, die Sammelstiftungen.

Schutz einer sehr trägen Branche

Dem Entscheid für einen neuen Vorsorgepartner geht in der Regel eine langwierige Offert- und Prüfungsphase unter Beizug von Pensionskassenexperten und Beratern beziehungsweise Vermittlern voran. Ausserdem schützt die hohe Regulierungsdichte in der zweiten Säule eine eher träge Branche vor agilen Eindringlingen. Dies gilt für das Kerngeschäft, nicht jedoch für die Kundenschnittstelle.

Denn auch im BVG-Geschäft sind die Bedürfnisse klar: Makler und Arbeitgeber wünschen sich effizientere Prozesse. Der administrative Aufwand soll möglichst reduziert und die Kosten sollen gesenkt werden. Versicherte hingegen fordern jederzeit umfassende Transparenz über ihre Versicherungs- und Vermögenssituation. Sie wollen unabhängig von ihrem Versicherungsberater Szenarien rechnen können und beispielsweise wissen, ob sie sich eine frühzeitige Pensionierung auch nach einer Scheidung noch leisten können, oder ob der Traum des zweijährigen Sabbaticals ihren Ruhestand gefährdet. Immer ist dabei ein erstklassiges Anwendererlebnis Pflicht. Das Schweizer Insurtech Startup Volt, beispielsweise, will diese Bedürfnisse adressieren.

Robo-Advisors lassen grüssen

Was für die Pensionskassen gilt, trifft die ebenfalls gesetzlich abgeschirmten Spargelder der 3. Säule. Hier gibt es bereits erste digital unterstützte Angebote (digitales Front-end). So etwa bei der Aargauer Kantonalbank: Dank einem «Regelschieber» erfährt der Kunde auf einfache Art, wie sich das Risiko-Rendite-Profil bei unterschiedlicher Vermögensallokation verändert. Oder auch beim Startup VIAC, der mit der WIR Bank kooperiert. Selbst Kleinstbeträge können dort jederzeit ohne Mindestgebühr oder -laufzeit auf mehrere Vorsorgekonti eingezahlt und nach verschiedenen Strategien investiert werden. Solche Angebote werden zunehmen (müssen). Robo-Advisors lassen grüssen.

Und damit ist klar, dass die Digitalisierung auch im Vorsorgegeschäft ein «Gamechanger» wird. In digitalen Ökosystemen werden sich künftig Kunden in einem Netzwerk von Dienstleistern bewegen, die ihre spezifischen Kompetenzen miteinander verknüpfen und so gemeinsam das Kundenerlebnis revolutionieren. Endkunden wie auch Entscheidungsträger im B2B-Geschäft orientieren sich zudem mehr und mehr an unabhängigen Stimmen anderer Kunden in der Community.

Persönliches Finanzcockpit

Aber aufgepasst: Vielleicht versteckt sich hinter dem einen oder anderen Kundenprofil ein gewiefter Digital-Marketing-Manager eines grossen Versicherers. Nichtsdestotrotz, erfolgreich wird sein, wer sich in diesen Netzwerken positionieren und integrieren kann – und damit einen Mehrwert schafft.

Firmeneigene Stiftungen stehen nicht im Wettbewerb, (teil)autonome Sammelstiftungen schon. Letztere sind Teil des Ökosystems rund um die Vorsorge für ein finanziell abgesichertes Alter. Digitalisierte Pensionskassen werden Daten und Schnittstellen entwickeln, die sich beispielsweise in Plattformen integrieren lassen, die jederzeit Zugang zur persönlichen Vermögens- und Vorsorgesituation über eine Art «persönliches Finanzcockpit» bieten.

Change-Agents einbinden

Digitalisierungsprojekte sind ressourcenintensiv. Sie verschlingen Kosten für externe Beratung und verursachen interne Aufwände. Nur grosse Pensionskassen können sich solche umfassenden Vorhaben leisten, um später vom Effizienzgewinn und von tieferen Ausgaben zu profitieren. Kleinere Kassen werden auf standardisierte Plattformlösungen ausweichen müssen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Digitalisierungsprojekte verändern die internen Prozesse eines Unternehmens und die Zusammenarbeit mit den Stakeholdern allgemein grundlegend. Führungskräfte müssen die Gefühle und Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden kennen und erkennen, wen sie aktiv als «Change-Agent» einbinden können. Es reicht nicht, Mitarbeitende regelmässig über den Projektstatus zu informieren. Sie über alle Stufen in das Projekt einzubinden, ist eine Voraussetzung für nachhaltigen Projekterfolg.


Mirjam Staub-Bisang ist Präsidentin der Profond Sammelstiftung. Bei Profond steht in den nächsten drei Jahren die digitale Transformation ganz oben auf der Agenda. Die Sammelstiftung will bis Ende 2020 rund 80 Prozent der Prozesse digitalisieren und zwar mit dem Ziel, die Kundenbedürfnisse zu steigern und die Verwaltungskosten nachhaltig zu senken. Staub-Bisang ist Mitgründerin und war CEO der Independent Capital Group, einem Asset-Management-Unternehmen mit Fokus auf nachhaltige Wertschriften- und Immobilienanlagen, bevor sie die operative Führung im Rahmen eines Management Buyout im Sommer 2018 abgab. Sie ist Verwaltungsrätin der Bellevue Group, der Bata Gruppe und der INSEAD in Fontainebleau/Singapur. Staub-Bisang ist promovierte Juristin der Universität Zürich und Rechtsanwältin und hält einen MBA-Abschluss der INSEAD in Fontainebleau.

 

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