Sommergrüsse aus der Stadt der Götter
In der Sommer-Serie von finews.ch berichten ausgewählte Fondsmanager aus ihrer Heimatstadt. Heute geht die Reise nach Athen.
Von Michael Barakos, Portfoliomanager bei J.P. Morgan Asset Management
Obwohl ich in Norwegen geboren wurde, in der englischen Landschaft aufgewachsen bin und die letzten drei Jahrzehnte in London gelebt habe, ist Griechenland seit meiner Kindheit mein zweites Zuhause. Jeden Sommer zieht es mich dorthin – besonders auf die Kykladen, deren karge Landschaft und kulturelle Tiefe mich seit jeher faszinieren. Wir haben ein Haus auf Tinos, einer der ruhigeren Inseln, und ich habe auf Amorgos geheiratet – beide Orte sind für mich mit vielen persönlichen Erinnerungen verbunden.
Wenn ich in Athen bin, führt mich mein erster Weg fast immer ins Museum für Kykladische Kunst. Die Marmorstatuetten aus der Bronzezeit, die dort ausgestellt sind, beeindrucken mich jedes Mal aufs Neue. Ihre reduzierte Formensprache wirkt erstaunlich modern: schlicht, klar und dennoch voller Ausdruck. Ganz in der Nähe liegt das Benaki-Museum mit einer vielseitigen Sammlung griechischer Kunst und Geschichte. Besonders gern mache ich dort eine Pause im Café – mit Blick über den Nationalgarten lässt sich dort das Athener Stadtleben in aller Ruhe beobachten.
Doch auch fernab der Museen pulsiert in Athen eine bemerkenswerte Energie. Die Stadt ist in Bewegung: kulturell, kulinarisch, wirtschaftlich. Es ist diese Mischung aus Alt und Neu, aus Geschichte und Gegenwart, die Athen (und Europa insgesamt) gerade so spannend macht. Und genau dieser Eindruck setzt sich auch auf der strategischen Ebene fort.
Michael Barakos von J.P. Morgan Asset Management (Bild: zVg)
Europas Stunde schlägt
Aus Anlegersicht waren europäische Aktien lange das Sorgenkind im globalen Vergleich. Doch aktuell sehen wir eine Situation, wie sie sich seit mehr als einem Jahrzehnt nicht mehr ergeben hat: Die Sterne stehen gut für ein Comeback.
Zum einen bewegt sich die Geldpolitik in der Eurozone schneller als anderswo. Die Europäische Zentralbank hat als erste grosse Zentralbank mit Zinssenkungen begonnen – ein bemerkenswerter Schritt. Die Leitzinsen wurden in Europa innerhalb eines Jahres von 4 Prozent auf 2 Prozent gesenkt und liegen damit mittlerweile sogar unter dem US-Niveau. Die vollen positiven Effekte dieser geldpolitischen Lockerung werden erst mit zeitlicher Verzögerung spürbar werden. Das lässt Raum für Optimismus.
Zum anderen gewinnt die fiskalpolitische Debatte an Dynamik – vor allem in Deutschland. Noch zu Beginn des Jahres wäre es undenkbar gewesen, dass Berlin plant, über die nächsten zehn Jahre jährlich jeweils rund 1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Verteidigung und zusätzlich rund 1 Prozent in Infrastruktur zu investieren. Das ist für eine Volkswirtschaft, die in den vergangenen Jahren kaum gewachsen ist, ein regelrechter Paradigmenwechsel – und möglich, weil Deutschland im Gegensatz zu vielen anderen Industriestaaten seine Staatsschulden in den vergangenen Jahren deutlich reduziert hat.
Auch andere Länder der Eurozone könnten folgen: Wir rechnen mit einer breiteren europäischen Investitionswelle, insbesondere im Verteidigungssektor. Offizielle Ankündigungen dazu könnten noch vor Jahresende kommen.
Neue Chancen durch flexiblere Strategien
In einem solchen Umfeld bieten sich interessante Anlagechancen – besonders für Strategien, die nicht nur auf das klassische «Long-Only»-Prinzip setzen, sondern flexibler aufgestellt sind. In unserem Team setzen wir seit vielen Jahren auf einen erweiterten Ansatz, der sowohl auf steigende als auch auf fallende Kurse reagieren kann. Diese aktiven «Extension»-Strategien bieten den Vorteil, dass für jeden investierten Euro eine deutlich höhere Marktexponierung entsteht – also mehr Kapital am Markt arbeitet, ohne dass das Risiko proportional steigt.
Ein zusätzlicher Hebel liegt im gezielten Einsatz von Short-Positionen: In Europa gibt es nicht nur unterbewertete Unternehmen mit grossem Potenzial – es gibt auch Titel, die auf den ersten Blick glänzen, sich aber bei genauerem Hinsehen als trügerisch erweisen. Diese sogenannten «Fool’s Gold»-Aktien zu identifizieren und zu meiden – oder gar davon zu profitieren –, ist ein wesentlicher Bestandteil unseres aktiven Managementansatzes.
Was diesen flexiblen Strategien ihren besonderen Reiz verleiht, ist die Möglichkeit, gleichzeitig höhere Renditen zu erzielen und das Risiko zu kontrollieren. Gerade in einem Marktumfeld, das sich im Umbruch befindet, kann dies ein entscheidender Vorteil sein.
Zeit für einen neuen Blick auf Europa
So wie die Figurinen der Kykladen durch ihre Schlichtheit und Zeitlosigkeit faszinieren, so offenbaren auch europäische Aktien bei genauer Betrachtung eine Tiefe, die oft übersehen wird. Wer bereit ist, genauer hinzusehen und flexibel zu denken, kann in diesem Markt neue Chancen entdecken – nicht trotz, sondern gerade wegen der Herausforderungen, die Europa derzeit meistert.
Und manchmal ist es wie beim Blick aus dem Benaki-Café: Der Horizont ist weiter, als man denkt. Man muss nur die richtige Perspektive einnehmen.