Das Bündnerland soll zum riesigen Homeoffice umfunktioniert werden. Hinter dem kühnen Vorstoss stehen prominente Investoren, wie Recherchen von finews.ch ergaben.

Der Kanton Graubünden lockte schon immer Schweizerinnen und Schweizer an. Doch jetzt buhlen mehrere Bergregionen auch um Banker und andere Berufstätige aus dem Dienstleistungssektor, damit diese mehr Zeit in den Bergen verbringen – im Homeoffice. Seit die Corona-Pandemie und der damit verbundene Lockdown der ganzen Welt offenbart hat, wie Arbeiten von zu Hause selbst für Bankmitarbeitende geht und erst noch funktioniert, sind neue Arbeitsplatz-Konzepte kein Tabu mehr.

Genau das ist Musik in den Ohren einer Gruppe hochkarätiger Schweizer Finanz-Schwergewichte, die ein von Lord Norman Foster entworfenes Innovationszentrum in La Punt im Engadin aus der Taufe heben wollen. Die Rede ist vom «InnHub La Punt», das der Verband Mia Engiadina initiiert hat. Dabei handelt es sich um ein Zentrum mit Arbeits-, Seminar- und Sportmöglichkeiten, Detailhandel, einem Restaurant und einer Tiefgarage. Es ist privatwirtschaftlich finanziert und wird von Kanton, Region und Gemeinde unterstützt.

An Bord sind unter anderem der frühere Verwaltungsratspräsident der sich inzwischen in Auflösung befindlichen Falcon Private Bank, Christian Wenger, oder der millionenschwere Medien- und Detailhandels-Unternehmer Beat Curti sowie Steve Koltes, Mitgründer und Managing Partner der Private-Equity-Firma CVC Capital Partners. Als wichtigste Investoren haben sie bereits Millionen in dieses Projekt gesteckt, das 2022 eröffnet werden soll. Mit von der Partie ist auch Caspar Coppetti, Mitgründer der Schweizer Sportschuh-Firma On Running, die dereinst auch vom «InnHub La Punt» aus arbeiten will.

Ende Juli 2020 nahm das Projekt eine weitere, grosse Hürde: Die Stimmberechtigten der Gemeinde La Punt Chamues-ch nahmen eine Teilrevision der Ortsplanung mit 84 Prozent sehr deutlich an. Ein Antrag auf Verschiebung der Vorlage blieb chancenlos.

Ein Drittel will nicht mehr an den alten Arbeitsplatz

Um Berufstätige aus dem Unterland in die 700-Seelen-Gemeinde La Punt Chamues-ch, wie sie mit vollem Namen heisst, zu locken, steht ein Massnahmenkatalog bereit, der unter anderem eine verbesserte Infrastruktur, inklusive Glasfaser-Netz, verschiedene Digitalisierungsprojekte sowie entsprechende Infrastruktur umfasst. Die Pläne sind  nicht abwegig, hat doch unlängst ein Drittel der berufstätigen Bevölkerung in der Schweiz in einer Umfrage des Beratungsunternehmens Deloitte erklärt, nach Möglichkeit nicht mehr an den Arbeitsplatz im Büro zurückkehren zu wollen.

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(Visualisierung des Projekts von Lord Norman Foster; Bild: Foster + Partners)

Insofern sind die Aussichten der Region um La Punt, urbane Aussteiger in den Berge zu hocken, absolut realistisch. «Wir haben festgestellt, dass die Nachfrage nach Homeoffice-Einrichtungen beträchtlich gestiegen ist», erklärte Jon Erni, Chef des Verbands Mia Engiadina, gegenüber finews.ch. Vor allem seit auch stark regulierte Branchen wie der Finanzsektor solchen Arbeitskonzepten nicht länger abgeneigt seien. 

Ausschau nach zweitem Wohnsitz

Im Kanton Graubünden tummelt sich ohnehin seit je das «Who's who» der Schweizer Finanzwelt, wie finews.ch schon früher berichtete: Finanzunternehmer und -investor Tobias Reichmuth lebt abwechselnd im Crypto Valley und in St. Moritz; der Kadermann der Fintech-Schmiede Additiv, Bert-Jan van Essen, liess sich unlängst nach zehnjährigem Asienaufenthalt in Davos nieder. Und UBS-Chef Sergio Ermotti wiederum besitzt eine Zweitwohnung in Silvaplana.

Die Neupositionierung des Engadins vollzieht sich auch vor dem Hintergrund, dass Schweizerinnen und Schweizer seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie wieder vermehrt nach einem zweiten Wohnsitz Ausschau halten. «Wir verzeichnen deutlich mehr Anfragen für Zweitwohnungen. In den bekannten Dörfern hat sich die Aktivität sogar markant beschleunigt», bestätigt Robert Weinert, Zürcher Experte der Immobilienfirma Wüest Partner.

Langfristiger Trend

Heimarbeit ist durchaus auch auf Banker zugeschnitten, die in den vergangenen Jahren aus Kostenüberlegungen aus den teuren Büros in der Zürcher Innenstadt vertrieben wurden und nun ihr berufliches Dasein in der Agglomeration fristen müssen. Insofern hat die Coronakrise in Sachen Arbeitsplatz ein Umdenken ausgelöst, über das sich die Berufstätigen in der Finanzbranche nur freuen können. Kommt hinzu, dass der Kanton Graubünden bei vielen Schweizerinnen und Schweizern schon immer ganz hoch im Kurs stand – besonders bei jenen, die ihre 2. und 3. Säule frühzeitig beziehen, um damit Wohneigentum zu erwerben.

«Ich bin überzeugt, dass wir es mit einem langfristigen Trend zu tun haben, und dass die Menschen, sofern die Arbeitgeber an ihren Homeoffice-Konzepten festhalten, zunehmend davon Gebrauch machen werden», sagt Jon Erni, der früher für Microsoft gearbeitet hat. Der Bündner lebt zwar etwas ausserhalb von Zürich, hat aber auch eine Zweitwohnung in den Bergen.

Möglichst unabhängig

Die Option, in den Bergen zu arbeiten, verwischt auch die starren Grenzen zwischen Beruf und Freizeit – und spiegelt einen neuen Trend in Sachen Work-/Life-Balance. «Es macht Sinn, darüber nachzudenken», sagt Erni, zumal die Arbeit einen sehr grossen Teil unseres Lebens ausmacht. «Wir müssen lernen, möglichst unabhängig davon zu sein, wo wir ansässig sind», so Erni.

Bereits unterhält Mia Engiadina mehrere Office-Räumlichkeiten in drei der fünf Gemeinden von Scuol, darunter ein Büro für ein bis zwei Personen in Ardez sowie auf Motta Naluns, dem Tor zum Skigebiet der Region. Der Verband nennt zwar nicht die Belegungsquote, aber Erni betont, dass das Interesse seit dem Ende des Lockdowns enorm sei.