Josef Schuster: «Börsengang von Emirates wäre ein Meilenstein»
Von Gérard Al-Fil, Dubai
Herr Schuster, Präsident Trump stattete der Golfregion im Mai einen mehrtägigen Besuch ab. Wie aufmerksam wurde sein Aufenthalt in den USA verfolgt?
Das Ereignis wurde hier in den USA sehr aufmerksam verfolgt. Präsident Trumps Reise wurde weithin als diplomatischer und wirtschaftlicher Erfolg angesehen. Und obwohl hochrangige Staatsbesuche häufig grosse mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, liegt die für langfristige Investoren wichtigere Geschichte woanders. Aus Anlegersicht ist die strukturelle wirtschaftliche Transformation der Region entscheidend – die fortlaufende Diversifizierung, Privatisierung und Vertiefung der Kapitalmärkte. Diese Entwicklungen sind es, die nachhaltige Chancen schaffen und weit über die Schlagzeilen eines einzelnen Besuchs hinaus wirken.
Sie entwickeln seit über 20 Jahren Indizes für Börsengänge. Welche Rolle spielen die Finanzmärkte der GCC-Staaten, also also Saudi-Arabien, VAE, Kuwait, Bahrain, Katar, und Oman, in ihrem Produkteportfolio?
Bei Ipox haben wir uns auf IPO-orientierte Anlagestrategien über Investmentfonds und ETFs spezialisiert. In diesem Zusammenhang hat sich das Engagement in den GCC-Länder in unseren globalen Portfolios von einer Nischenposition zu einem zentralen strategischen Baustein entwickelt. Die Region hat einen tiefgreifenden wirtschaftlichen Wandel durchlaufen: weg vom historisch staatlich geprägten, ölzentrierten Modell hin zu einer breiteren Sektorendiversifizierung. Dieser Wandel spiegelt sich auch in der Dynamik des IPO-Marktes wider.
«Die Region ist längst keine reine Öl-Geschichte mehr.»
Anfangs waren wir hauptsächlich in traditionellen Sektoren wie Infrastruktur und Energie engagiert, darunter der wegweisende Börsengang von Aramco. Heute sehen wir eine neue Welle dynamischer, wachstumsstarker Unternehmen an den Markt kommen. Sie kommen aus den Bereichen Technologie, Gesundheitswesen, Fintech, Konsumgüter und Logistik.
Beispielsweise haben wir früh in das Krankenhaus-Netzwerk Sulaiman Al Habib und den IT-Dienstleister Elm investiert. Zudem gab es herausragende Going-Publics von Unternehmen wie Nadi Medical (Apothekenhandel), ADNOC Gas (ein regionaler Gasversorger) und Alamar Foods (Betreiber von Domino’s in der MENA-Region).
Ja, der GCC ist zunehmend ein fester Bestandteil unserer Strategien sowohl hinsichtlich der Chancen als auch der Performance-Beiträge. Die Region ist längst keine reine Öl-Geschichte mehr, sondern eine diversifizierte Wachstumsstory, die die Schulden- und Aktienmärkte im Rahmen ihrer umfassenden wirtschaftlichen Vision stärker einbezieht.
Emirates sei grundsätzlich bereit für einen Börsengang, sagte Vorstandschef Sheikh Ahmed Bin Saeed Al-Maktoum. Konkrete Termine gebe es aber nicht. Wie würden Sie einen Börsengang beurteilen?
In den vergangene Jahren haben wir mehrere erfolgreiche Airline-IPOs aus Schwellenländern gesehen, darunter Tigerair Taiwan und Latam Airlines Group, die beide nach der Börsennotierung starke Kursentwicklungen zeigten. Das zeigt das Investoreninteresse an regional dominanten Fluggesellschaften mit Wachstumspotenzial.
«Emirates ist ein «Trophäen-Asset»: eine etablierte, globale Premium-Marke mit einem starken operativen Geschäftsmodell.»
Ein Börsengang von Emirates wäre ein Meilenstein für die globale Luftfahrt und die Kapitalmärkte des GCC. Emirates ist ein «Trophäen-Asset»: eine etablierte, globale Premium-Marke mit einem starken operativen Geschäftsmodell. Je nach Bewertung und Struktur wäre ein solcher Börsengang wohl eine äusserst attraktive Gelegenheit, die sowohl institutionelle als auch private Investoren anziehen würde – insbesondere jene mit Fokus auf Wachstum in Schwellenländern.
Zwar nehmen Airline-IPOs weltweit zu, doch nur wenige Unternehmen bringen eine derartige strategische Bedeutung und Markenstärke mit wie Emirates.
Auch Etihad Airways aus Abu Dhabi hat kürzlich einen Börsengang angekündigt. Der CEO sagte gegenüber Bloomberg, man werde trotz fehlendem Kapitalbedarf voranschreiten. Warum sollte die Airline dann überhaupt an die Börse gehen?
Ein erfolgreicher Börsengang kann erhebliche Marketing- und Reputationsvorteile bringen, insbesondere für einen global agierenden Carrier wie Etihad. Darüber hinaus erhöht eine Börsennotierung die finanzielle Flexibilität, da gelistetes Eigenkapital als strategische Währung für Partnerschaften, Übernahmen oder Expansionspläne eingesetzt werden kann.
Auch wenn kein kurzfristiger Kapitalbedarf besteht, kann eine Börsennotierung das Unternehmen langfristig wettbewerbsfähiger aufstellen. Angesichts der wirtschaftlichen Dynamik in der Golfregion und des übergeordneten Ziels, die Kapitalmärkte zu vertiefen, ist Etihads Entscheidung, mit dem IPO voranzugehen, strategisch sinnvoll.
Was können beide Airlines aus der Privatisierung der Lufthansa und ihrer Börsennotierung im Jahr 1997 lernen?
Erstens zeigt der Fall Lufthansa, dass der Übergang von staatlichem zu privatem Eigentum komplex ist und eine sorgfältige Abfolge erfordert in Bezug auf Corporate Governance, den Umgang mit wichtigen Stakeholdern (z. B. Gewerkschaften) sowie vollständige finanzielle Transparenz und eine klare Wachstumsstrategie. Lufthansa hat es meines Erachtens gut geschafft, sich sowohl als nationale Leitfluggesellschaft als auch als global wettbewerbsfähiges Unternehmen zu positionieren – eine Balance, die auch die Golf-Carrier finden müssen.
Zweitens trat Lufthansa mit einer überzeugenden Vision an den Markt: die Organisation kundennäher, effizienter und flexibler zu gestalten: mit weniger Bürokratie und stärkerem Teamgeist, um schneller auf sich wandelnde Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Diese Themen sollten auch bei den Golf-Airlines Anklang finden.
Letztlich eröffnete die vollständige Börsennotierung Lufthansa einen besseren Zugang zu den Kapitalmärkten, ermöglichte M-&-A-Aktivitäten und setzte Anreize für Mitarbeitende und Stakeholder. Für Emirates und Etihad geht es bei einem IPO vor allem um die globale Positionierung und die Einbettung in den umfassenderen wirtschaftlichen Wandel der GCC-Staaten.
Wie beurteilen Sie das IPO-Klima im vergangenen Jahr 2024 im GCC und die momentane Pipeline für 2025?
Betrachtet man ausschliesslich die ersten fünf Monate (1. Januar bis 1. Juni), so war der IPO-Markt der GCC-Staaten 2025 bislang deutlich aktiver mit nahezu doppelt so vielen Börsengängen und etwa doppelt so hohen Emissionserlösen. Dies umfasst Listings in Bahrain, Kuwait, Oman, Katar, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Allerdings war die Entwicklung am Sekundärmarkt bislang verhalten. Unsere Ipox Mena-Strategie, die in 30 der aussichtsreichsten IPOs mit Sitz in der MENA-Region investiert, liegt seit Jahresbeginn rund 8 Prozent im Minus. Viele Börsengänge konnten ihre Ausgabepreise nicht halten – wegen hoher Anfangsbewertungen und vorsichtiger Investoren, die mögliche Zweitplatzierungen befürchten.
Dennoch bleibt die IPO-Pipeline aktiv, und wir sind optimistisch, dass es im zweiten Halbjahr – wie schon 2024 – zu einer Erholung an den Sekundärmärkten kommen kann. Eine Erholung bei einigen unserer Kernpositionen, darunter der Glasfaserkabelhersteller Riyadh Cables und der Parkraumbetreiber Parkin in Dubai, wird auch anderen IPOs helfen, sich zu stabilisieren.
Mehrere Unternehmen wurden durch staatliche Stellen privatisiert, wie etwa einige Versicherungsunternehmen, die an der Tadawul-Börse in Saudi-Arabien gelistet wurden. Wie schneiden solche, vom Staat gelistete Firmen ab, im Vergleich zu rein privaten Unternehmen?
Staatlich geführte Privatisierungen bringen häufig erhebliche Grössen- und Marktanteilsvorteile sowie eine implizite staatliche Unterstützung mit sich, was Stabilität verleiht. Das Hauptrisiko besteht für Investoren darin, ob Entscheidungen eher durch wirtschaftliche Logik oder durch staatliche Interessen gesteuert werden.
«Die Länder des Golf-Kooperationsrats und ihre jeweiligen Investoren sind äusserst enthusiastisch.»
Demgegenüber gelten rein private Unternehmen, die an die Börse gehen, oft als agiler und wachstumsorientierter, mit Governance-Strukturen, die stärker auf die Interessen der Aktionäre ausgerichtet sind.
Bei Ipox bewerten wir die Performance und Wachstumsaussichten stets individuell – unabhängig davon, ob das Unternehmen ursprünglich staatlich oder privat war. Beide Typen haben ihre Berechtigung in einem gut diversifizierten Portfolio.
Sie reisen regelmässig geschäftlich durch die GCC-Staaten. Wie schätzen Sie die Investitionsbereitschaft von vermögenden und privaten Anlegern in ihre eigenen Unternehmen ein?
Die Länder des Golf-Kooperationsrats (GCC) und ihre jeweiligen Investoren sind äusserst enthusiastisch und unternehmerisch orientiert – sehr vergleichbar mit vielen asiatischen Ländern und den Vereinigten Staaten. Wir beobachten eine starke Unterstützung für inländische Unternehmen, was sich in den hohen Überzeichnungsquoten fast jeder grösseren Börseneinführung zeigt.
«Unternehmen wie Aramco und die Qatar National Bank sind tragende Säulen der GCC-Wirtschaft.»
Diese Begeisterung sowohl von vermögenden als auch von privaten Investoren wird eine stabile Liquidität für neue Börsengänge sichern und ist ein entscheidender Faktor für die erfolgreiche Entwicklung der Aktienkultur in der Region. Dies unterstützt den erfolgreichen Übergang von einer öl- und rohstoffbasierten Wirtschaft hin zu einer dienstleistungsorientierten Gesellschaft.
Die meisten GCC-Währungen sind an den US-Dollar gekoppelt, mit Ausnahme des kuwaitischen Dinars, der gegenüber einem Währungskorb schwankt. Hat diese Dollar-Kopplung Einfluss auf IPOs in der Region?
Eine stabile Währung stärkt das Vertrauen internationalen Kapitals in die Region erheblich. Sie eliminiert effektiv das Währungsrisiko – eines der grössten Hindernisse für ausländische Investitionen in Schwellenländern. Dies zeigt sich bereits in der zunehmenden Präsenz von Finanzdienstleistern in der Region, darunter Privatbanken, Hedgefonds und deren jeweilige Dienstleister.
Welche Rolle spielen GCC-Schwergewichte wie Aramco oder die Qatar National Bank in Ihrer Indexfamilie?
Unternehmen wie Aramco und die Qatar National Bank sind tragende Säulen der GCC-Wirtschaft und ihrer Benchmarks. In unseren spezifischen Strategien sind sie jedoch nicht mehr enthalten, da sie als «etablierte» Unternehmen gelten. Unsere einzigartige Methodik konzentriert sich auf globale Börsengänge, Ausgliederungen und ähnliche Unternehmen in den ersten Jahren nach dem Listing – die dynamischste Phase eines börsennotierten Unterneh
Sobald ein Unternehmen den sogenannten «Ipox-Inklusionszeitraum» überschreitet, wird es aus unseren Portfolios entfernt. Auch wenn wir ihre Bedeutung anerkennen, liegt unser Fokus darauf, die Performance der nächsten Generation von Aktien abzubilden.
Josef Schuster ist Gründer und CEO von Ipox Schuster LLC, einem Indexentwickler, den er 2003 in Chicago, Illinois. Das Unternehmen hat sich auf die Entwicklung von Finanzprodukten im Zusammenhang mit globalen Börsengängen und Spin-offs spezialisiert hat.