Europas Aufrüstung stürzt Asset Manager ins Dilemma

Aufrüstung wird zur politischen Pflicht und zur moralischen Zerreissprobe für ESG-konforme Investoren. Doch vielleicht gibt es eine ganz pragmatische Lösung, findet finews-Chefredaktor Dominik Buholzer. 


In dieser Rubrik nehmen Autorinnen und Autoren Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen.


Lustig wird das nicht. Frankreichs Premier François Bayrou spricht vom «Moment der Wahrheit». Um die hohe Staatsverschuldung in den Griff zu bekommen, kündigte er in diesen Tagen einschneidende Sparmassnahmen an: weniger Staatsangestellte, Zusammenlegung von Behörden, Sozial- und Pensionsausgaben sollen auf dem Niveau von 2025 eingefroren sowie zwei Feiertage gestrichen werden. 

Ziel der Rosskur: den Verteidigungsetat massiv erhöhen, ohne die EU-Defizitregeln zu verletzen.

 «Es gibt keinen Grund mehr, sich zu beschweren»

Im Nachbarland Deutschland verliert Verteidigungsminister Boris Pistorius derweil die Geduld: Die europäische Rüstungsindustrie liefere zu langsam, trotz voller Auftragsbücher. «Es gibt keinen Grund mehr, sich zu beschweren. Die Industrie weiss ganz genau, dass sie jetzt in der Verantwortung steht, zu liefern», sagte er in diesen Tagen in einem Interview mit der «Financial Times».

Europa rüstet auf und dies in einem Ausmass, das seit dem Kalten Krieg beispiellos ist. Der Ukraine-Krieg und die schwindende Bereitschaft der USA, als Weltpolizist zu agieren, zwingen die europäischen Staaten zum sicherheitspolitischen Umdenken.

«Für institutionelle Investoren gleicht die neue Rüstungswelle einem moralischen und strategischen Minenfeld.»

Das Problem: Die meisten Länder sind hochverschuldet. Um den Ausbau der Kapazitäten der Rüstungsindustrie zu finanzieren, braucht es alternative Geldquellen – und hier rückt der Kapitalmarkt in den Fokus.

Die Investoren könnten von der Entwicklung profitieren: Die Rheinmetall-Aktie hat sich beispielsweise in den vergangenen fünf Jahren mehr als verzwanzigfacht – und damit viele Privatanleger glücklich gemacht.

Der politische Druck nimmt zu

Doch für institutionelle Investoren ist die Lage komplexer. Für sie gleicht die neue Rüstungswelle einem moralischen und strategischen Minenfeld. Zahlreiche Fonds und Anlagevehikel unterliegen ESG-Leitlinien, die Investitionen in Waffenhersteller – insbesondere Produzenten kontroverser Waffen wie Streumunition oder Nukleartechnik – kategorisch ausschliessen. Auch normative Kriterien wie der UN Global Compact führen dazu, dass ganze Branchen ausgeklammert werden.

Gleichzeitig nimmt der politische Druck auf der Gegenseite zu. Verteidigung gilt zunehmend als öffentliches Gut. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron forderte jüngst, die Rüstungsindustrie nicht länger unter Generalverdacht zu stellen – auch im Kontext nachhaltiger Geldanlage.

«Kann nachhaltiges Investieren Verteidigung ausklammern, wenn es um den Schutz demokratischer Gesellschaften geht?»

NGOs wie Exitarms sind besorgt: «Nur weil Rüstungsproduktion notwendig ist, sollten Nachhaltigkeitsfonds nicht in Waffen investieren», sagt Analyst Luca Schiewe. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine habe die Industrie versucht, sich als ESG-kompatibel zu positionieren – mit überschaubarem Erfolg.

Verzicht nur bei krassen Fällen

Gleichwohl gibt es Argumente: ohne äussere Sicherheit keine Stabilität, keine funktionierenden Märkte, keine ESG-Prinzipien.

Einige Asset Manager reagieren bereits: Sie definieren Ausschlusskriterien differenzierter und verzichten nur bei krassen Fällen, etwa auf Produzenten kontroverser Waffensysteme – und verzichten damit auf das ESG-Siegel. Andere halten strikt an den bisherigen Leitlinien fest.

Die entscheidende Frage bleibt: Kann nachhaltiges Investieren Verteidigung ausklammern, wenn es um den Schutz demokratischer Gesellschaften geht?

 Ein «S» mehr für Sicherheit bzw. Safety

Diese Frage ist auch für die Schweiz relevant. So hat die Bankiervereinigung im vergangenen Herbst ihre Mitglieder dazu angehalten, mit Rüstungsunternehmen «differenzierter und individualisierter» umzugehen – sprich im nationalen Interesse für Geschäftsbeziehungen offener zu sein als bisher.

Eine mögliche Antwort für die Anlagewelt: die Erweiterung des ESG-Konzepts um ein «S» für Sicherheit bzw. Safety. Aus ESG würde ESSG, wobei für das zweite S wie für die bisherigen drei Buchstaben Regeln definiert würden. Damit könnte man all jenen Akteuren gerecht werden, die zwar keine Freunde der Rüstungsindustrie sind, Investments in die Entwicklung und Produktion von Abwehrsystemen zum Schutz der Bevölkerung aber für vertretbar oder derzeit gar für geboten halten.


Dominik Buholzer ist CEO und Chefredkator von finews.ch/finews.com