Für die Credit Suisse spürt Lucia Waldner den Zukunftstrends nach. Dabei kann die Chefin des bankeigenen Think Tanks auf das offene Ohr von Präsident Urs Rohner zählen.

Die 35-jährige Lucia Waldner hat es im Banking schon weit gebracht. Genauer: Auf die Chefetage am Paradeplatz 8, dem Hauptsitz der Credit Suisse (CS) in Zürich. Dort berät sie als Mitglied des «Chairman Office» Urs Rohner, den Präsidenten des Verwaltungsrats.

Interessant ist in diesem Zusammenhang Waldners Hinweis, dass sie der Zahlenwelt, welche die Geschicke der zweitgrössten Schweizer Bank bis ins Detail bestimmt, nur bedingt vertraut. «Zahlen alleine reichen nicht», sagte die gebürtige Slowakin gegenüber finews.ch. Sie interessiere sich vielmehr  für das «so what», also für die Auswirkungen.

Und wenn Waldner dem «so what» auf den Grund geht, stehen ihr beträchtliche Ressourcen zur Verfügung. Sie ist nämlich die Leiterin des hauseigenen Think Tanks, des Credit Suisse Research Institute (CSRI).

Walter Kielholz' Antwort auf die Krise

Damit hat Waldner nicht nur einen direkten Draht zum Verwaltungsrat der zweitgrössten Schweizer Bank. Sie darf auch das Know-how von rund 450 Experten in den weltweiten Research-Abteilungen des Finanzkonzerns aufbieten.

Hinzu kommen «Senior Advisors» mit klingenden Namen: Die Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Nouriel Roubini etwa. Oder Walter Kielholz, der ehemalige Präsident der CS.

Wie ein Radar

Kielholz war es, der das CSRI im Jahr 2008 auf der Höhe der Finanzkrise aus der Taufe hob. Jene Krise hatten auch im Swiss Banking nur die wenigsten kommen sehen.

Entsprechend erging der Auftrag an den neuen Think Tank, wie ein Radar langfristige wirtschaftliche Entwicklungen zu antizipieren. Den Vorsitz des Instituts hat heute CS-Präsident Rohner inne. Waldner übernahm die Leitung im Jahr 2015.

Mit Verve im Doppeljob

Davor war sie schon Journalistin, Unternehmerin und Lobbyistin in Brüssel. Sie hält einen Master in Geschichte und Politologie und einen MBA aus Oxford. Als Spezialistin für EU-Politik stiess sie 2010 zur CS in der Schweiz. Seit 2011 ist sie Mitglied des Teams des Verwaltungsratspräsidenten.

Sie arbeitete an Themen wie disruptive Innovation und Fintech – und tut dies als Director International Projects & Innovation an der Seite von Präsident Rohner auch nach ihrer Ernennung zur CSRI-Chefin.

Eine Schnelldenkerin

Den Doppeljob erledigt sie mit Verve. Waldner denkt und spricht rasend schnell, springt dabei vom Deutschen ins Englische und zurück, verfügt über klare Meinungen. Und vor allem: über grosse Begeisterung für «ihre» Themen.

An denen mangelt es ihr, respektive dem Think Tank, nicht. In den letzten Monaten forschte und publizierte das CSRI etwa zur Globalisierung, zur Zukunft der Geldpolitik und zur Gender-Diversität bei Firmen. Auch in den nächsten Monaten wird es Waldner nicht langweilig.

Donald Trump und Cybersecurity

Für dieses Jahr vorgesehen sind ihr zufolge eine Studie zur Zukunft der Politik vor dem Hintergrund des Brexit-Votums und der US-Präsidentschaftswahlen. Weiter geplant ist eine Studie über die Konsumenten in Schwellenländern mit einem speziellem Fokus auf China.

Zudem eine Untersuchung zur Staatsverschuldung und ein Report zum Thema Cybersecurity sowie eine historische Aufarbeitung der Investmenttrends in der Schweiz – und der jährliche Global Wealth Report. «Ursprünglich habe ich für 2017 vier Studien geplant. Jetzt sind es bereits neun», lacht Waldner.

Nun liesse sich einwenden, dass das CSRI sich mit diesen Themen teils weit vom Bankgeschäft entfernt. Zumal die CS selber mitten im Turnaround steckt und ihren Chefs nach zwei tiefroten Jahren in Folge eigentlich genug Stoff zum Nachdenken liefert.

Ein Privileg für CS-Banker

Waldner sieht die Rolle der CS-Denkfabrik so: «Das Institut unterstützt die Arbeit des Verwaltungsrates der Credit Suisse mit seinen Forschungsergebnissen und stellt der interessierten Öffentlichkeit relevante Informationen aus dem Bereich Wirtschaft, Politik und Gesellschaft als Forschungspublikationen zur Verfügung.» Das Budget bleibt geheim.

Bei der Bank kommt die Stossrichtung laut Waldner gut an. «CS-intern gilt es als Privileg, für das CSRI zu arbeiten.» Den Experten, die sich täglich mit «Buy» und «Sell» herumschlagen, bietet das Institut eine Plattform für ihre wissenschaftlichen Interessen. Und für sich selber. «Wir stellen sicher, dass unsere Autoren ihre Ergebnisse intern und extern vorstellen können», erklärt die Think-Tank-Chefin.

New York und Davos

Die Plattform öffnet sich heuer auch wieder für hoffnungsvolle Jungtalente. Mit der diesen Februar lancierten Academy Challenge 2017 lädt das CSRI Studierende aus aller Welt ein, ihre Sichtweisen zur Zukunft der Politik in den nächsten zehn Jahren in einem Essay zu präsentieren.

Der Gewinner des Wettbewerbs darf seine Arbeit mit Unterstützung des Think Tanks publizieren und erhält eine Einladung zum nächsten CSRI-Meeting in New York zum Thema «The Future of Politics», wie Waldner berichtet.

Die letztjährige Gewinnerin, Stefani Kostadinova (siehe Video oben), eine 22-jährige Wirtschaftsstudentin aus Bulgarien, durfte ihre Perspektive am WEF in Davos vorstellen und ein Praktikum in verschiedenen Abteilungen der Credit Suisse absolvieren.

Dass ausgerechnet eine junge Studentin aus Osteuropa siegte – das ist für Waldner nicht mehr «so what», sondern «so cool».

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