Vor über vier Jahren sagte finews.ch der Banken-App Twint ein Scheitern voraus. Twint ist inzwischen eine Super-App – für Schweizer Verhältnisse. Als Nutzer lernt man eben dazu. Aber auch Twint muss noch lernen.

«Ich werde Twint nicht mehr benutzen», schrieb ich im Sommer 2017 kurz nach dem Neustart der Schweizer Bezahl-App auf finews.ch. Ein gescheiterter Bezahlversuch beim Coop hatte meinen ganzen Goodwill von Beginn weg zerstört.

Meine Prognose lautete damals, dass Twint den Wettstreit mit Apple Pay als digitale und kontaktlose Bezahlfunktion verlieren werde. Bis auf wenige Funktionen wie die Peer-to-Peer-Bezahlung biete Twint keine Vorteile, Twint sei nicht sonderlich nutzerfreundlich, werde es nicht schaffen, einen Netzwerkeffekt herzustellen, und der grösste Nachteil von Twint im Vergleich zu internationalen Bezahl-Apps sei die Beschränkung auf den Schweizer Markt.

Durchbruch im Corona-Jahr

Viereinhalb Jahre später ergeben Berechnungen der Hochschule Luzern: Twint hat sich als die Schweizer digitale Bezahllösung durchgesetzt. Der Marktanteil belaufe sich auf 75 Prozent, zitierte die «Sonntagszeitung» (Artikel bezahlpflichtig) aus den Berechnungen der Hochschule. 40 Prozent der Schweizer Bevölkerung über 15 Jahren haben die Twint-App auf ihrem Smartphone. Drei Millionen Nutzer vollziehen monatlich im Schnitt rund drei Transaktionen. Damit ist die Nutzung von Twint im vergangenen Jahr förmlich explodiert.

Klar: Die Corona-Pandemie hat in der Schweiz Bargeld zugunsten von kontaktlosen Bezahl-Funktionen verdrängt. Die Schweizer sind 2020 fast Europameister in dieser Disziplin geworden. Nur die Dänen zahlen noch lieber ohne Bargeld und kontaktlos.

Marketing-Millionen der Banken

Den Boden für den Twint-Erfolg haben die Schweizer Banken bereitet: Mit Marketing-Millionen haben sie während Jahren die Werbetrommel für das Tech-Joint-Venture gerührt. Viele Schweizer Institute haben zudem ihr mobile Banking mit Twint verknüpft. Kein Wunder also, dass Twint auf jedem zweiten Smartphone in der Schweiz ist.

Doch ich möchte den Erfolg von Twint nicht klein reden. Im Gegenteil: Ich bin selber überzeugter Twint-Nutzer geworden, betätige mich bei den Nicht-Nutzern gar als Twint-Evangelist. Die App ist – mir fällt kein besseres Wort ein – einfach praktisch.

Mein liebstes Feature: Der QR-Sticker

Neben dem Peer-to-Peer-Bezahlen, mit dem Twint von Beginn weg ein Bedürfnis abdeckte, ist es ein Feature, welches das Leben wirklich einfacher macht: Der QR-Sticker. Der Twint-Kleber ist inzwischen allgegenwärtig: An Marktständen, Hofläden, in SAC-Hütten, Comestible-Läden und – äusserst willkommen – an Parkuhren.

Das Abfotografieren des Codes, eintippen und senden des zu bezahlenden Betrages übers Smartphone mag zwar etwas umständlicher sein, als einen Fünf-Fränkler oder eine Zwanziger-Note zu zücken. Doch auch der «Digital Immigrant» – für einen «Digital Native» bin ich zu alt – hat heutzutage viel eher ein Smartphone in der Tasche als ein bisschen Kleingeld.

Umdenken auf dem Sessellift

Mein Umdenken bezüglich Twint und den Chancen gegenüber Apple Pay und Konsorten in der Schweiz fand irgendwann im Winter 2019 statt. Per Zufall landete ich beim Skifahren mit zwei Teenagern auf dem Sessellift – und die zwei führten eine Unterhaltung darüber, wie cool Twint denn sei. «Twinten» als Schweizer Verb für unkompliziertes Überweisen von ein paar Franken begann sich da bereits einzubürgern.

Damit hat Twint ein wichtiges Attribut erlangt, um sich als sogenannte Super-App zu qualifizieren: Die Marke der App hat die Namen der Finanzdienstleister, also Banken, dahinter verdrängt. Gleichzeitig hat sich Twint zwischen Bank und Kunde geschoben. Als Twint-Nutzer vor einer Parkuhr hat man jedenfalls nicht mehr das Gefühl, eine Bankdienstleistung zu nutzen.

Ein paar Schritte fehlen bis zu Wechat

Die dritte Super-App-Charakteristik, eine ausgereifte Datenauswertung für personalisierte Angebote, ist mir persönlich noch entgangen. Doch dürften die nächsten Ausbauschritte in diese Richtung gehen, nachdem die kritische Masse der Nutzer vorhanden ist.

Die Messaging-Möglichkeiten müssten ausgebaut, Social-Media-Funktionen, weitere Bezahlmöglichkeiten mit einem Loyalitätspunktesystem und Personal-Finance-Features müssten noch angehängt werden. Dann wäre Twint schon fast als Schweizer Pendant zu den asiatischen Super-Apps Ant oder Wechat zu zählen.

Und jetzt das «Aber»

Womit ich mit meiner Lobeshymne am Ende bin und die «Aber» folgen: Ich habe in den viereinhalb Jahren seit meinem ersten gescheiterten Bezahlversuch an einer Coop-Kasse mein Smartphone nie wieder mit offener Twint-App an einen dieser Beacon gehalten. Apple Pay, eine Kredit- oder Maestro-Karte sind an den Kassen mit der NFC-Funktion schlicht viel praktischer.

In diesem Zusammenhang ist auch fraglich, ob Twint jemals über sein Schweizer Inseldasein hinauskommt; die enge Anbindung an Schweizer Banken dürfte weiteres Wachstum von Twint in die (internationale) Breite verhindern.

Schweizer Markt zu klein?

Womit auch das letzte Fragezeichen hinter Twint gesetzt ist: das Geschäftsmodell. Im Durchschnitt beläuft sich eine Twint-Transaktion auf etwas über 50 Franken. Daran verdient Twint jeweils nur ein paar Rappen, denn knapp die Hälfte aller Twint-Transaktionen sind gratis.

Zahlen zu den Einnahmen hält Twint strikte unter Verschluss. Aufgrund der Transaktionszahlen und -volumina lässt sich aber herleiten, dass die Einnahmen von Twint auch im sehr guten Corona-Jahr 2020 im niedrigen zweistelligen Millionen Bereich lagen. Wie hoch die Entwicklungs- und Betriebskosten von Twint sind und wieviel von den Einnahmen an die Banken gehen, ist ebenfalls nicht bekannt.

Gelingt es Twint nicht, seine Nutzerzahlen besser zu monetarisieren, bleibt die beliebteste Schweizer Bezahl-App das, als was sie gestartet ist: ein von den Banken quer subventioniertes Schweizer Startup.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.41%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.87%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.15%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    8.98%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.6%
pixel