Warum blieb das Schweizer Wirtschaftsestablishment dieses Jahr abseits, als es darum ging, die Credit Suisse zu retten? Ein Erklärungsversuch von Claude Baumann auf finews.first.

Kein anderes Schweizer Finanzinstitut hat das Wirtschaftsgeschehen in diesem Jahr mehr geprägt als die Credit Suisse (CS). In der Flut aller Informationen zu diesem Thema verwundert vor allem, warum sich hierzulande niemand für diese systemrelevante Institution eingesetzt hat, als es ihr ganz offensichtlich am schlechtesten ging. Die unter dem Begriff «Schweiz AG» vereinigte hiesige Wirtschaftselite, der Bund und die Behörden beschränkten sich zu jedem Zeitpunkt lediglich aufs Zuschauen.

Dies wiederum hatte zur Folge, dass die dringend benötigte Kapitalspritze nicht etwa aus Zürich, Bern oder Genf kam, sondern in Form von Petrodollars aus dem arabischen Raum. Damit werden eben diese Investoren aus Saudi-Arabien und Katar die weitere Entwicklung der Bank mit einem zweifellos unschweizerischen Selbstverständnis massgeblich mitbestimmen.

«Die grosse Entfremdung begann schon vor drei Jahrzehnten»

Das Abseitsstehen der Schweizer Wirtschaft und Politik verwundert umso mehr, wenn man sich der stolzen Historie dieser Bank bewusst ist, die mit dem industriellen Aufbruch unseres Landes vor mehr als 150 Jahren untrennbar verbunden ist. Mit ihrem Anspruch, ganz im Sinne ihres Gründers, Alfred Escher, noch heute «die Unternehmerbank» und gleichzeitig die einzige Grossbanken-Alternative zur UBS zu sein, hätte es weitere gute Gründe gegeben, diese Institution in schweizerischer Ausprägung zu bewahren.

Dass die Realität nun eine andere (geworden) ist, hat nicht allein mit den Turbulenzen der vergangenen zwei oder drei Jahre zu tun. Das Malaise greift tiefer und reicht viel weiter zurück. Die grosse Entfremdung der Schweizerinnen und Schweizer zu dieser Bank, die früher umgangssprachlich SKA hiess und heute CS heisst, begann vermutlich schon vor drei Jahrzehnten. Mit ihren höchst ambitionierten Engagements in den USA war das Unternehmen im Vergleich zu ihren schweizerischen Mitbewerbern immer etwas internationaler, amerikanischer – zumindest im Anspruch.

«Dieser Cocktail erwies sich als Gift für die Beziehung der Bank zu ihren Stakeholdern»

In den 1990er-Jahren offenbarte sich dies besonders gut im Investmentbanking-Geschäft, bei dem es um grosse Kapitalmarkttransaktionen, Börsengänge sowie um Fusionen und Übernahmen geht – und um viel Geld, das zu einem nicht unwesentlichen Teil in Form von Boni den beteiligten Bankern zufliesst. So kam es nicht von ungefähr, dass es vor allem US-Manager waren, die mit ihren Wertvorstellungen – um nicht zu sagen Grössenwahn – bei der CS zunehmend das Sagen hatten und letztlich auch einen neuen, frivolen Umgang mit Risiken schürten.

Exorbitante Gehälter und Boni, Eigenmittel immer nur knapp über der Schmerzgrenze, Reorganisationen ad absurdum, personelle Fehlbesetzungen, fahrlässige Verfehlungen in den USA und bis zuletzt ein Geschäftsgebaren, das bloss auf super-kurzfristige Profitmaximierung ausgerichtet ist – genau dieser Cocktail erwies sich als Gift für die Beziehung der Bank zu ihren Stakeholdern, wie sie Neudeutsch heissen, nämlich die Interessens- und Anspruchsgruppen hierzulande.

«Ob die Stimmen aus Riad und Doha dabei dienlich sein werden, wird sich noch weisen»

Widersinnigkeiten wie die Bespitzelung von Mitarbeitenden oder die Umgehung von Covid-Richtlinien bis hin zum sträflichen Nicht-Hinschauen bei gewissen Geschäftsprozessen leisteten ihr Übriges zum grossen Unverständnis einer Vielzahl von Schweizerinnen und Schweizer für diese Bank.

Und gerade weil das hiesige Unternehmertum noch immer sehr stark mit dem Selbstverständnis der hiesigen Bevölkerung verbunden ist, erklärt sich auch, weshalb diese «Schweiz AG» am Ende des Tages nicht bereit war, ihren Teil zur Lösung oder Rettung der CS beizutragen. So banal es klingen oder auch sein mag, eine über drei Jahrzehnte mit blindem Wahn vorangetriebene Demontage der einstigen Werte und Tugenden dieser Bank gab den Ausschlag dafür.

Selbst mehrere Wochen seit der grossen Reorganisationsankündigung von CS-Präsident Axel Lehmann und CEO Ulrich Körner verharrt der Kurs der CS-Aktie unter drei Franken und wird wohl als schlechtester SMI-Titel dieses Jahr beenden. Alle Appelle, der CS nun mehr Zeit zu geben, greifen zu kurz. Denn in diesem Fall geht es nicht um Wochen, Monate oder Jahre, sondern um die Frage, ob die CS im Stande ist, eine neue, glaubwürdige Unternehmenskultur vorzuleben.

Ob die Stimmen aus Riad und Doha dabei dienlich sein werden, wird sich noch weisen. Ob sie mit einer von der Schweiz losgelösten Geschäftsmoral zur Stärkung des einstmals bewährten Swiss Banking beitragen, sei dahingestellt.


Claude Baumann ist Gründer und CEO von finews.ch sowie von finews.asia in Singapur und finewsticino.ch im Tessin. Er arbeitete zuvor als Wirtschaftsredaktor für «Die Weltwoche» und «Finanz und Wirtschaft». Er war ebenfalls Mitgründer des Literaturverlags Nagel & Kimche und lancierte das Geschäftsreisemagazin «Arrivals». Darüber hinaus hat er mehrere Bücher über die Finanzbranche publiziert, zuletzt eine Biographie über Robert Holzach.

 

 

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