Julius Bär und Pictet: Zwei Wege durch den technologischen Sturm
Vergangene Woche versammelte das Beratungsunternehmen Xebia führende Praktiker aus der Welt der Digitalisierung zur Lead26-Konferenz. Dabei traten auch leitende Köpfe aus der Bankenwelt in Erscheinung. Am Executive Circle, der bereits am Vorabend «off the record» stattfand, sprach Pieter Brower, Group Operations & Technology Officer bei der UBS.
Im öffentlichen Teil des Anlasses kam der erste Impuls von David Schlumpf, Head of Leadership Development bei Julius Bär. Seine Botschaft lautet: «Technologie alleine reicht nicht, um Banken zukunftsfähig zu machen. Wer den Wandel meistern will, braucht ein neues Führungsverständnis.»
Er beschreibt die Gegenwart als «Flux-Welt», ein Zustand permanenter Bewegung. In diesem Umfeld versagen starre Antworten und Best Practices. Gefragt sei eine Art von Führung, die weniger auf Kontrolle und Lösungsorientierung setzt, sondern sich mehr auf das bewusste Navigieren durch Unsicherheit ausrichtet.
Adaptive Leadership
Das Konzept, das Julius Bär hierfür nutzt, heisst Adaptive Leadership. Es geht dabei nicht darum, als Führungskraft stets die richtige Antwort parat zu haben. Vielmehr soll der Raum geschaffen werden, in dem die richtigen Fragen gestellt werden können. Führung bedeutet nach dieser Logik, Realitäten offen anzusprechen, statt sie zu beschönigen; Lernräume zu öffnen, statt alte Muster zu reproduzieren; und Verantwortung dorthin zurückzugeben, wo sie hingehört – zu den Mitarbeitenden, die den Wandel letztlich tragen.
Eine zentrale Erkenntnis dabei: Jeder technologische Fortschritt ist im selben Atemzug ein menschlicher Einschnitt. Identität, Rollen und Gewohnheiten geraten unter Druck. Erst wenn dieser Verlust benannt wird, könne echte Bewegung entstehen.

David Schlumpf von Julius Bär (Bild: zVg)
Schlumpf beschreibt die Entwicklung als einen Baumbau: Die Werte, Leitprinzipien und das Führungsverständnis bilden das Wurzelwerk. Der Stamm steht für die gemeinsame Sprache, welche die Organisation weltweit verbindet. Die Äste symbolisieren Programme, die unterschiedliche Perspektiven zusammenbringen. Die Blätter stehen für Lernen durch Praxis – denn bei Julius Bär gilt: Wissen entfaltet Wirkung erst im Tun. Die Früchte schliesslich sind die konkreten Veränderungen im Alltag.
Für Schlumpf ist klar: Ohne kulturelle Reife bleibt Technologie ein stumpfes Werkzeug.

Laurent Gaye verweist bei seinem Vortrag auf Ada Lovelace, die visionäre Pionierin der Computerwissenschaft (Bild: zVg)
Pictets KI-Offensive: Von Pilotprojekten hält man wenig
Einen anderen Zugang wählte Laurent Gaye, Chief Technology and Operations Officer bei Pictet Asset Management. Sein Vortrag war analytischer, technischer und zugleich deutlich provokanter. Seine Leitfrage lautete: Wie schaffen es Banken, KI nicht nur zu testen, sondern produktiv und wirksam einzusetzen?
Ada Lovelace als Leitfigur – Visionen brauchen Mut und Geduld
Zum Einstieg erinnerte Gaye an Ada Lovelace, die visionäre Pionierin der Computerwissenschaft. Ihre Geschichte dient ihm als Metapher für zwei Dinge, die heute im Umgang mit KI entscheidend sind: Erstens der Mut, über den naheliegenden Use Case hinauszudenken. Und zweitens die Geduld, zu akzeptieren, dass es Zeit braucht, bis eine radikale Idee Wirkung entfaltet.
Zudem legte Gaye offen, wie generative KI technisch aufgebaut ist: Foundation Models, angereichert mit unternehmensspezifischen Kontextschichten, kombiniert mit Fähigkeiten wie Code-Interpretation und API-Anbindung. Der nächste Schritt, so seine Prognose, sei die agentische KI – autonome Systeme, die nicht länger nur auf Befehle warten, sondern ganze Prozessketten selbstständig abarbeiten.
Kein Zögern, kein PoC, Pictet setzt auf Vollausrollung
Doch das eigentlich Überraschende war nicht die Technik, sondern Pictets Umgang damit. Während viele Banken KI über kleine Pilotprojekte einführen, geht Pictet den entgegengesetzten Weg: Kein Proof-of-Concept – sondern Vollausrollung. 2023 hat die Bank ihr eigenes GenAI-Tool für die gesamte Belegschaft aktiviert. Gleiches gilt für Microsoft Copilot.
Die Überzeugung dahinter ist, dass lediglich eine breite Einführung die nötige Dynamik auslösen kann, Lernkurven schafft sowie Insellösungen verhindert. Es braucht, wie Gaye sagt, «einen Akt des Glaubens».

Laurent Gaye von Pictet (Bild: zVg)
Die wahre Hürde sei der Mensch
Trotz aller technologischen Konsequenz ist für ihn eindeutig, dass die grösste Hürde nicht die Technik darstellt, sondern der Mensch. Unsicherheit, fehlende Anreize, mangelndes Vertrauen – all das kann selbst die beste KI ausbremsen. Gaye illustriert dies mit Beispielen aus der Industrie: dem gescheiterten Amazon-Go-Modell oder den konträren Ergebnissen derselben GM-Fabrik, die einmal unter General Motors scheiterte und später unter Toyota zum produktivsten Werk der USA wurde.
Die Lehre, die sich also daraus ziehen lässt, ist, dass Transformation nur gelingt, wenn Mitarbeitende eingebunden sind, Kontrolle behalten und spüren, welchen Mehrwert der Wandel für sie persönlich bringt.
Möchte man die Perspektiven von David Schlumpf und Laurent Gaye zusammenführen, so lässt sich sagen: Technologie ist nur der Auftakt – die eigentliche Arbeit beginnt beim Menschen.
Adaptive Führung bei Julius Bär, radikale Transparenz bei Pictet
Allerdings bleibt ohne die passende Kultur all das nur Theorie. Julius Bär setzt deshalb auf Lernräume, Reflexion und adaptive Führung. Pictet setzt auf radikale Transparenz, Vertrauen und mutige Umsetzung. Laurent Gaye bringt es ganz gut auf den Punkt: «Es geht nicht darum, recht zu haben. Es geht darum, ein System zu bauen, das jede Zukunft übersteht.»















