Trotz Digitalisierung sind in der Compliance Lösungen gefragt, die den Mensch wieder ins Zentrum rücken, schreibt der Compliance-Experte Ralph Ebert in seinem Essay für finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Kein anderer Bereich im Finanzwesen hat sich in den vergangenen 15 Jahren so stark verändert wie die Compliance. Die Bekämpfung der Geldwäscherei blieb dabei das Kernthema, doch gesellten sich neue Aufgaben hinzu, wie die Einführung der MiFID-Richtlinien, das US-Regelwerk Fatca, grenzüberschreitende Vorschriften sowie die Themen Weissgeld-Strategie und Tax-Compliance.

Dieser inhaltliche Wandel führte zwangsläufig auch zu einem neuen Anforderungsprofil des Compliance-Mitarbeiters. War früher der Einzelexperte mit einer hohen Fachkompetenz bei der Rekrutierung gefragt, so zeigen die heutigen Stellenanzeigen ein anderes Bild: Der Compliance-Mitarbeiter muss über seine Fachkompetenz hinaus auch ein analytisches, vernetztes und strategisches Denken mitbringen. Zudem sind umfassende Projekt- und Managementerfahrung, vertiefte Kenntnisse des operativen Geschäfts und des Produktangebots Voraussetzung.

«Typischerweise wurden deshalb überwiegend Juristen damit betraut»

Dieser neue Prototyp des Compliance-Mitarbeiters ist derzeit nur beschränkt vorhanden. Die Gründe dafür finden sich in der Entwicklung der Compliance sowie in den traditionellen Compliance-Modellen, die bei der Mehrheit der Finanzinstitute bestehen. Denn bislang wurde die Compliance-Tätigkeit als operative Umsetzung des internen Rechtsdiensts verstanden, also um regulatorische Anforderungen umzusetzen und geeignete Kontrollen zu entwickeln. Typischerweise wurden deshalb auch überwiegend Juristen mit diesen Aufgaben betraut – namentlich, um den hohen Regulierungsbedarf abzudecken.

Dieses Modell wurde dann aber aufgrund der Einführung eines risikobasierten Ansatzes für die Identifikation und Behandlung von Compliance-Risiken ab 2005 sukzessive abgelöst. Heute liegt die Hauptaufgabe der Compliance darin, die regulatorischen Anforderungen in die eigene Unternehmens- und Prozessumgebung zu übersetzen und die notwendigen Anpassungen und Lösungskonzepte insbesondere bei der Kooperation mit den operativen Einheiten umzusetzen.

«Dieser Transformationsprozess befindet sich inzwischen in vollem Gang»

Treiber dieser Veränderungen waren in erster Linie Bestrebungen, die Compliance-Funktion wie auch jede andere operative Einheit zu optimieren, Prozesse und Abläufe zu harmonisieren und effizienter zu gestalten. Dieser Transformationsprozess befindet sich inzwischen in vollem Gang – sowohl bei den Grossbanken wie auch zunehmend bei den Privatbanken und kleineren nationalen Finanzinstituten.

Im Rahmen intensiver Restrukturierungs- und Sparmassnahmen in der gesamten Finanzbranche rücken dabei die Kosten immer mehr in den Mittelpunkt. Sie beschränken sich nicht mehr nur auf den Abbau von Compliance-Ressourcen aufgrund abgeschlossener Projekte, sondern nehmen über die Automatisierung und den Rückgriff auf Technologielösungen eine ganz neue Geschwindigkeit auf.

«Wird die Künstliche Intelligenz zur eigentlichen Wunderwaffe auf diesem Gebiet»

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass globale Banken das Einsparungspotenzial von sogenannten Regtech-Lösungen für die Compliance in den nächsten fünf bis zehn Jahren auf 25 bis 40 Prozent beziffern. Die Schweiz allein verfügt derzeit über etwa 200 solcher Fin- und Regtech-Unternehmen, so dass hier prinzipiell ein Innovationsschub sowie ein positiver Impuls für den Finanzplatz Schweiz zu erwarten ist.

Das Zeitalter der Regtech-Lösungen verbunden mit der generellen Zunahme der Automatisierung und Digitalisierung stellen die Rolle des Compliance-Mitarbeiters und sein künftiges Anforderungsprofil jedoch auf den Prüfstand. Glaubt man den Prognosen von Beratungsfirmen, so soll sich die Rolle des Compliance-Mitarbeiters in den nächsten Jahren von einer internen Beraterfunktion hin zu einer Validierungsstelle entwickeln, mit vorgeschalteten Automatisierungsprozessen und mittelfristig unterstützt durch Robotertechnologie, namentlich Künstlicher Intelligenz (KI) als eigentliche «Wunderwaffe» auf diesem Gebiet.

Noch ist es zu früh, um schon heute eine verbindliche Prognose und einen Zeitplan für die Implementierung von Regtech-Lösungen im Bankwesen und die Konsequenzen für die Compliance-Funktion zu formulieren. Es steht allerdings schon jetzt fest, dass der Kostendruck in Zeiten anhaltend niedriger Renditen diese Entwicklung beschleunigen wird; vorausgesetzt, dass die lokalen Regulatoren den rechtlichen Spielraum und den Erwartungshorizont klar definieren.

«Der Begriff ‹Kultur› setzt Tradition und Wertemodelle als Grundlage voraus»

Gleichzeitig ist die Compliance nach wie vor damit beschäftigt, Teil einer wirkungsvollen Unternehmenskultur zu sein. Doch der Begriff «Kultur» setzt Tradition und Wertemodelle als Grundlage voraus. Gerade diese Basis besteht seit einiger Zeit im Compliance-Bereich aber nicht mehr. Vielmehr ist die Realität geprägt von ständiger Veränderung, Anpassungszwang und der Suche nach der richtigen Strategie.

Vor diesem Hintergrund sind in der Compliance von morgen Lösungen und Konzepte gefragt, die den Faktor Mensch wieder in den Mittelpunkt rücken. Denn die Erkenntnisse aus der Ursachenforschung im Nachgang zu grossen Korruptionsfällen und Bankskandalen haben gezeigt: Die grösste Schwachstelle in der Risikoabwehr ist bei allen Funktionen das menschliche Versagen, das auch nicht durch ausgeklügelte Technologie, digitalisierte Prozesse und verfeinerte Kontrollen komplett vermieden werden kann.

«Es bleibt abzuwarten, bis wann die Branche solche Programme integrieren kann»

Deshalb wird eine erfolgreiche Risikobekämpfung nur über eine gezielte Unterstützung des Compliance-Mitarbeiters im Einzelnen sowie im Team durch bessere Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten mit Schwerpunkt auf Digitalisierung und Technologie zu erreichen sein.

Es bleibt abzuwarten, in welchem Zeitraum sowohl die Finanzbranche als auch die Aus- und Weiterbildungsstätten in der Lage sind, diese Programme zu entwickeln und zu integrieren.


Der deutsche Jurist Ralph Ebert ist seit 15 Jahren für Gross- und Privatbanken im Bereich Recht und Compliance tätig. Seine bisherigen Stationen führten ihn über Paris, Südkorea und Kanada im Jahr 2008 in die Schweiz, zunächst nach Genf und bis heute nach Zürich. Darüber hinaus beschäftigt er sich in globalen Projekten mit der Führung internationaler Teams bei der Integration von Regtech-Lösungen sowie den damit verbundenen Auswirkungen.


Bisherige Texte von: Rudi BogniOliver BergerRolf BanzSamuel GerberWerner VogtWalter WittmannAlfred Mettler, Robert HolzachCraig MurrayDavid ZollingerArthur BolligerBeat KappelerChris RoweStefan GerlachMarc Lussy, Nuno FernandesRichard EggerDieter RuloffMarco BargelSteve HankeUrs Schoettli, Maurice PedergnanaStefan Kreuzkamp, Oliver BussmannMichael BenzAlbert Steck, Andreas BrittMartin DahindenThomas FedierAlfred MettlerBrigitte Strebel, Mirjam Staub-BisangNicolas RothThorsten PolleitKim IskyanStephen DoverDenise Kenyon-RouvinezChristian DreyerKinan Khadam-Al-JameRobert HemmiAnton AffentrangerYves Mirabaud, Hans-Martin KrausGérard GuerdatDidier Saint-GeorgesMario BassiStephen ThariyanDan SteinbockRino BoriniBert FlossbachMichael HasenstabGuido SchillingWerner E. RutschDorte Bech VizardAdriano B. LucatelliKatharina BartMaya BhandariJean TiroleHans Jakob RothMarco MartinelliBeat WittmannThomas SutterTom KingWerner PeyerThomas KupferPeter Kurer, Arturo Bris, Michel Longhini, Frédéric Papp, Claudia Kraaz, James Syme, Peter Hody, Claude Baumann, Dennis Larsen und Bernd Kramer.

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