Die Nationalbank ist mit einem doppelten Zinsschritt weit vorgeprescht. Das hat viele Finanzexperten überrascht, wie die Kommentare vom Donnerstag zeigen – doch die plötzliche Initiative nach langen Jahren der Lethargie begrüssen sie fast einhellig.

«Wie andere Zentralbanken scheint auch die Schweizerische Nationalbank (SNB) bereit zu sein, ihren Leitzins so bald wie möglich auf ein Zinsniveau anzuheben, das als neutral gilt, respektive bei dem die Geldpolitik weder expansiv noch kontraktiv ist», erklärt Maxime Botteron, Ökonom der Credit Suisse. «Über die Höhe dieses neutralen Zinsniveaus besteht zwar eine gewisse Unsicherheit, wir glauben aber, dass es irgendwo zwischen 0,5 und 1 Prozent liegt.»

«Warum wollte die SNB die Märkte überraschen? Wir glauben, dass die heutige Ankündigung eine Wende in ihrer Währungspolitik signalisiert», sagt Alan Mudie, ein besonders am Genfer Finanzplatz bekannter Börsenexperte. Derzeit ist er als Investmentchef für den Vermögensverwalter Woodman tätig. Indem sie der Europäischen Zentralbank (EZB) zuvorgekommen sei, habe die SNB signalisiert, dass sie ihre Bemühungen um eine Begrenzung der Frankenstärke gegenüber dem Euro und dem Dollar aufgebe. «Ein stärkerer Franken wird dazu beitragen, den importierten Inflationsdruck zu dämpfen», erwartet Mudie.

Bei der Raiffeisenbank spricht man gar davon, dass der bisher «heilige» Zinsabstand zur EZB nicht nur verringert, sondern umgekehrt wurde. Doch habe die grosse SNB-Zinserhöhung aufgrund des weiterhin entspannteren Inflationsausblicks für die Schweiz einen eindeutig präventiveren Charakter als in den anderen Währungsräumen. Im Gegensatz zu den USA und der Eurozone ist nach Ansicht von Raiffeisen-Ökonom Alexander Koch ein wirklich breites Übergreifen der Inflation hierzulande noch nicht festzustellen. Vor allem die Risiken für eine Lohn-Preis-Spirale erscheinen in der Schweiz mit absehbaren «gesunden» Lohnerhöhungen vergleichsweise sehr gering.

Daniel Kalt, UBS Chefökonom und Chief Investment Officer Schweiz, hält fest: «Die SNB überrascht und markiert ihre geldpolitische Unabhängigkeit mit einem  Zinsschritt von 0,5 Prozentpunkte. Die Zinswende ist eingeleitet.»

«Mit der Zinserhöhung um 0,5 Prozentpunkte hat die SNB im Markt ein starkes Zeichen gesetzt», sagt Armin Brun, CEO der Berner Kantonalbank (BEKB). «Gleichzeitig werden noch weitere Zinserhöhungen in Aussicht gestellt. Ein Ende der Negativzinsen scheint nun in greifbarer Nähe. Damit steht der Schweiz ein wirksames Instrument gegen die Inflationsgefahr zur Verfügung.» Die BEKB geht weiterhin davon aus, dass die geldpolitische Straffung im Hinblick auf Realwirtschaft und Finanzmärkte in geordneten Bahnen verlaufen wird.

«Wenn die SNB die Zinsen jetzt anhebt, bedeutet dies, dass sie sich später nicht zu grösseren Zinserhöhungen hinreissen lassen muss und die Initiative behält», konstatiert Chris Turner, Leiter Research für Grossbritannien und Zentral- und Osteuropa bei der niederländischen Grossbank ING. «Dies gibt der SNB einen gewissen Spielraum, um je nach der Entwicklung der Daten sowie der globalen wirtschaftlichen und geopolitischen Lage zu entscheiden, was sie im September tun wird. Nach der heutigen Zinserhöhung ist die September-Sitzung also offener.»

Laut Victor Cianni, dem Investmentchef der Schweizer Digital-Privatbank Alpian, hat die Nationalbank möglicherweise gerade ihren Last-Mover-Vorteil geopfert – als letzte Zentralbank der Welt, die eine ultraexpansive Geldpolitik verfolgt. «Während viele Ökonomen erwarteten, dass die SNB ihren Fokus vom Franken abwenden und einen Zinserhöhungs-Zyklus einleiten würde, um die Inflation in den Griff zu bekommen, haben sie wahrscheinlich nicht mit dem gerechnet, was folgte – nämlich eine Erhöhung um einen halben Prozentpunkt.

Für Sandra Holdsworth, Zinsstrategin bei Aegon Asset Management, weist die Schweiz im internationalen Vergleich mit 2,9 Prozent ein relativ niedriges Inflationsniveau auf. Die überproportionale Anhebung der Leitzinsen durch die SNB weit vor der Europäischen Zentralbank habe deshalb die Märkte überrascht.

Für Philipp Burckhardt, Anleihen-Stratege und Fondsmanager bei der Genfer Privatbank Lombard Odier, ist offensichtlich, dass die SNB zügig aus den Negativzinsen aussteigen und sich Richtung neutralem Gleichgewichts-Zinssatz bewegen möchte. Allerdings bleibe das geldpolitische Umfeld auch nach der SNB-Zinserhöhung noch immer expansiv. Die Bank erwartet, dass die SNB in einem zweiten Schritt die Bilanz schrittweise verkürzen wird. Dies würde den Druck auf den Franken weiter erhöhen und gleichzeitig der Wirtschaft ein wenig Wind aus den Segeln nehmen.

Martin Hess, Leiter Wirtschaftspolitik der Schweizerischen Bankiervereinigung, meint zum heutigen Entscheid: «Die geldpolitische Normalisierung ist nun auch in der Schweiz eingeleitet. Die SNB setzt mit der Zinserhöhung ein wichtiges und richtiges Zeichen für die Wirtschaft.»

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