Warum diesmal auch wichtig ist, was die Nationalbank nicht sagte
Die Nationalbank lockert ihre Geldpolitik weiter. Aber sie macht zugleich auch unmissverständlich klar, dass der Negativzins ein spezielles Instrument ist, auf das sie nicht leichtfertig zurückgreifen wird. Und sie setzt den Begriff «Unsicherheiten» gezielter ein als bisher. Eine Einschätzung.
Die Spannung vor dem geldpolitischen Entscheid vom Donnerstagvormittag war gross. Würde die Schweizerische Nationalbank (SNB) ihren Leitzins, wie von den meisten Ökonomen und Analysten erwartet, um 0,25 Prozentpunkte senken und damit auf die Nulllinie setzen? Oder würde das Direktorium unter der Leitung von Präsident Martin Schlegel die Schweiz mit einem grossen Schritt von 0,50 Prozentpunkten gleich direkt ins Reich des Negativzinses zurückkatapultieren?
Eine dritte Variante hatte am Dienstag der unabhängige Ökonom (und ehemalige SNB-Mitarbeiter) Adriel Jost ins Spiel gebracht. Die SNB könnte den Leitzins auf 0,25 Prozent belassen – und damit dem Vorbild der US-Notenbank folgen, die am Mittwoch beschloss, ihren Referenzsatz auf einem (ungleich höheren) Niveau innerhalb der Spanne von 4,25 bis 4,50 Prozent zu belassen.
«Experimentelle Extremmassnahme»
Jost veranschlagte die Wahrscheinlichkeit, dass die SNB am Donnerstag gar nichts tut, «höher, als viele Beobachter es vermuten». Zur Begründung führte er an, dass zum einen die aktuelle wirtschaftliche Lage solide sei und zum anderen die SNB, die bisher noch nie einen Leitzins von 0 Prozent durchsetzen musste, keine solche «experimentelle Extremmassnahme» ergreifen sollte.
Extrem deshalb, weil für Sichtguthaben der Banken bei der SNB, welche die Limite übersteigen, dann ein Zins von –0,25 Prozent und damit bereits ein Negativzins eingeführt werden müsste. Die Abstufung der Verzinsung trägt dazu bei, dass der Geldmarkt weiterhin gut funktioniert und dadurch eine verlässliche Grundlage für die Ermittlung des Saron bietet. Das ist auch geldpolitisch relevant, weil die SNB jeweils den Saron als wichtigsten besicherten kurzfristigen Geldmarktsatz möglichst nahe beim Leitzins halten will.
Negativzins als ultima ratio
Die SNB hat sich am Donnerstag prompt genau für diese vom Gros der Bankökonomen präferierte Option entschieden und den Leitzins auf die Nulllinie gesetzt. Die neue Inflationsprognose liegt nur leicht unter der alten vom März 2025, im Wirtschaftsausblick werden erwartungsgemäss die handelspolitischen Spannungen als betrüblicher Faktor genannt.
Eine unmissverständliche Botschaft hatte Präsident Schlegel in Bezug auf eine allfällige Rückkehr zu einem negativen Leitzins bereit. Es sei der SNB bewusst, «dass der Negativzins unerwünschte Nebenwirkungen haben kann und für viele Akteure in der Wirtschaft eine Herausforderung darstellt», hielt er bei der Präsentation des Zinsentscheids vor den Medien fest. Zu diesen unbeabsichtigten Nebenfolgen gehöre etwa der negative Einfluss auf die Bankgewinne.
Für einmal fast das gleiche Wording wie die UBS
Apropos Profitabilität der Banken: Vizepräsident Antoine Martin wich zwar anlässlich der Vorstellung des neuen Finanzstabilitätsberichts kein Jota von der Linie des Bundesrats zur künftigen Bankenregulierung ab. Doch machte er dabei eine bemerkenswerte Aussage, die stupend an die Argumentation von UBS-Vertretern erinnerte: «Gewinne stellen bei einem Stressereignis die erste Verteidigungslinie zur Absorption von Verlusten dar» – daraus lässt sich schliessen, dass nur profitable Banken stabile Banken sind.
In einem Interview mit finews.ch im Februar 2025 sagte es UBS-Urgestein Markus Ronner mit diesen Worten: «Die Aktionäre bilden die erste Verteidigungslinie in einer Krise.» Und der Group Chief Compliance and Governance Officer warnte deshalb davor, seine Bank würde mit den verschärften Eigenmittelanforderungen «massiv an Attraktivität verlieren, mit Folgen auch für die Finanzstabilität».
«Hohe Hürde»
Doch zurück zur Geldpolitik. «Die Hürde für die Einführung eines Negativzinses liegt deutlich höher als für eine Zinssenkung im positiven Bereich», antwortete Schlegel auf eine entsprechende Frage.
Das lässt den Schluss zu, dass die SNB nur dann auf den Holzhammer des Negativzinses zurückgreifen wird, wenn es nicht mehr anders geht; wenn also ein gravierender Schock eintritt, der das SNB-Basisszenario eines sich über die nächsten Quartale abschwächenden Wachstums der Weltwirtschaft (aber keine Rezession) über den Haufen wirft.
Keine permanente Wohlfühlpolitik für jedermann
Diese in solcher Prägnanz bisher nicht vorhandene Klarheit zum für das Banken- und Geldsystem problematischen Instrument des Negativzinses ist erfreulich. Schlegel signalisiert damit, dass auch die Macht der SNB an Grenzen stossen und sie nicht permanent eine Wohlfühlpolitik für jedermann mit geringer (aber nicht negativer) Inflation, einem gezähmten Franken für die Exporteure und sehr günstigem Geld für Kreditnehmer garantieren kann. Und er dämpft damit ausserdem die Erwartungen, dass die SNB Turbulenzen jederzeit vollumfänglich abfedern kann.
Ein zweiter bemerkenswerter Punkt: Zwar betonte die SNB erwartungsgemäss auch diesmal die Unsicherheiten. Doch erstens wurden sie weniger häufig als auch schon erwähnt. Zweitens wurden sie als «weiterhin hoch» und nicht (was ja angesichts der aktuellen Ereignisse durchaus vertretbar gewesen wäre) als «höher» bezeichnet. Drittens verzichtete das Direktorium darauf, wie bei früheren Gelegenheit in diesem Zusammenhang auch die geopolitischen Konflikte anzuführen (die in der Regel die Fluchtwährung Franken stärken), sondern beschränkte sich auf die Handelspolitik, das Basisszenario und damit die Wirtschaftsaussichten sowie die Inflationsentwicklung.
Akt der Selbstbescheidung
Auch dieser kluge Akt der Selbstbescheidung ist zu begrüssen. Zum einen haben nämlich die meisten kriegerischen Auseinandersetzungen, so schrecklich sie auch für die Betroffenen sein mögen, erfahrungsgemäss kaum nachhaltige gravierende Auswirkungen auf die Weltwirtschaft und die globalen Finanzmärkte. Zum anderen ist die Geopolitik nicht das Metier der Notenbanker. Sie haben auf diesem Gebiet wissensmässig keinerlei komparativen Vorteile.
Allerdings ist auch eine etwas düstere Interpretation dieser Auslassung der Geopolitik und bewaffneter Konflikte denkbar. Diese wurden früher wohl auch deshalb gerne herangezogen, um zu motivieren, weshalb die SNB die Unsicherheit jeweils als hoch einschätzte – in einem Umfeld erheblicher Unsicherheit muss sich eine Notenbank weniger festlegen, weil ja alles möglich ist, was auch bequem sein kann.
Beruhigungspillen statt Warnungen?
Das ist aktuell gar nicht mehr nötig, weil jedermann weiss, dass die Unsicherheiten in der Tat beträchtlich sind – egal ob sie aus der Handels- oder der Geopolitik (die Unterscheidung ist ohnehin nicht trennscharf) erwachsen. Ist die Lage heute so ernst, dass die SNB heute nicht mehr wie üblich warnen und auf potenzielle Risiken aufmerksam macht, sondern der Wirtschaft und den Märkten eher Beruhigungspillen verabreicht?
Dass eine Antwort darauf nicht eindeutig negativ ausfällt, ist schon fast etwas beunruhigend.