Pravina Ladva: «Was es braucht, um mit KI erfolgreich zu sein»

Das Strategie-Beratungsunternehmen McKinsey nennt dies das «Gen-AI-Paradox»: Etwa 80 Prozent der Firmen geben an, dass sie Gen AI (generative KI) einführen, doch ebenso viele warten noch darauf, dass sich dies auch im Ergebnis niederschlägt. Und Forscher im Umfeld des MIT haben dokumentiert, dass 95 Prozent der KI-Pilotprojekte in Unternehmen scheitern und dem Unternehmen keinerlei Nutzen bringen. 

Allzu überraschend ist das nicht. Produktivitätssteigerungen, selbst durch bahnbrechende Innovationen, kommen nicht über Nacht. Bei KI mag das Paradox besonders deutlich zu spüren sein, weil sie so rasant Einzug hält, dass unsere Erwartungen besonders hoch sind.

Auf Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI setzen

Für mich zeigen diese Studien jedoch vor allem, dass fragmentierte, isolierte KI-Pilotprojekte nicht zielführend sind. Stattdessen sollten Unternehmen diese Technologie in ihre Kernprozesse integrieren und sich neu überlegen, wie diese in einer Zusammenarbeit zwischen Mensch und KI funktionieren können. Zudem sollten sie auf KI-Initiativen setzen, die sich schnell skalieren lassen, und ihre Tools an unternehmerischen und gesellschaftlichen Erwartungen ausrichten.

Die Swiss {ai} Weeks mit ihren Hackathons, Workshops und zwanglosen Meetups als Katalysator für neue Ideen, die vom 1. September bis zum 5. Oktober 2025 stattfinden, sind die perfekte Gelegenheit, über die bisherigen Fortschritte nachzudenken und darüber zu sprechen, wie sich dieses Paradox auflösen lässt – in der Rück-/Versicherung und darüber hinaus.

Bausteine einer effektiven KI

Bei Swiss Re halten wir bestimmte Bausteine für wichtig, um das Potenzial der KI zu erschliessen. Der erste ist der Einsatz der Technologie für echte geschäftliche Herausforderungen, mit Initiativen, die auf greifbaren Nutzen für uns und unsere Kunden abzielen – und nicht auf Innovation als Selbstzweck.

Ebenso wichtig ist die solide Datenbasis von Swiss Re, die auf jahrzehntelangen Investitionen in gemeinsame Plattformen beruht, angereichert durch Risikowissen aus mehr als 160 Jahren. Seit einem Jahrzehnt investieren wir in den Abbau der Fragmentierung, die Vereinheitlichung der Systeme, die Optimierung der Datenflüsse und die Beseitigung der Hürden, die die Skalierung von KI-Initiativen behindern könnten.

Unsere Daten- und Analyseplattform, die von mehr als der Hälfte der Mitarbeitenden von Swiss Re genutzt wird, unterstützt zwei Dutzend Geschäftsbereiche, Gruppenfunktionen und Fachabteilungen und verarbeitet Tausende von eingehenden Feeds mit Petabytes an Informationen.

Solider Governance-Rahmen

Darüber hinaus fördern auch wiederverwendbare Designmuster die Skalierbarkeit über Geschäftsbereiche, Regionen und Kundensegmente hinweg. Wir alle haben von beeindruckenden Gen-AI-Demos gehört, die im Pilotmodus feststecken. Bei Swiss Re legen wir Wert auf Anwendungsfälle, die sich in einem Team, einer Region oder einem Datensatz bewährt haben, sich aber über Geschäftsbereiche, Regionen oder Kundensegmente hinweg skalieren lassen.

Hinzu kommt ein solider Governance-Rahmen, der sicherstellt, dass die Datenbestände verlässlich sind und die regulatorischen Anforderungen erfüllen. Letzten Endes ist die Governance sowohl eine Voraussetzung als auch eine Absicherung, die uns hilft, Daten sicher in KI-Anwendungen zu integrieren und dabei die Compliance zu gewährleisten. Dazu gehört auch die Einbindung von Menschen in die Entscheidungsschleifen – für mich der Schlüssel, um Vertrauen zu schaffen und zu erhalten.

KI-Einsatz in Schadenbearbeitung und Underwriting

Bei Rück-/Versicherern finden sich wichtige Informationen in E-Mails, Antragsformularen, Verträgen und Schadensakten. Diese fragmentierten, unstrukturierten Informationen wandelt die KI in maschinenlesbare Daten um. Dadurch bereinigt sie Probleme, etwa mit widersprüchlichen Anträgen, und beschleunigt Entscheidungen. Dabei fokussieren wir uns auf Prozesse, bei denen KI unsere Arbeitsweise grundlegend verändern kann.

Swiss Re sammelt immer mehr Erfahrung mit KI, und um uns nicht von Nischenprojekten ablenken zu lassen, fokussieren wir uns dabei auf Kernprozesse wie Underwriting und Schadenbearbeitung. Hier ergeben sich also konkrete Beispiele für unsere Strategie.

Bessere Entscheidungen treffen

Bei Swiss Re Corporate Solutions beispielsweise automatisiert und optimiert unsere Plattform ClaimsGenAI die Bearbeitung von über 40’000 Schadenfällen jährlich. Anhand von Daten aus mehreren Jahrzehnten identifiziert ClaimsGenAI Muster, die auf Betrug oder Regressmöglichkeiten hinweisen und bei manueller Prüfung möglicherweise übersehen werden. Die Kunden profitieren von einer genaueren Schadenzuordnung, vermiedenen Selbstbeteiligungen und geringerem Prämiendruck.

Unsere KI-gestützten Tools Underwriting Ease und Life Guide Scout helfen den Lebensversicherern unter unseren Kunden, Risikoprüfungen schneller und genauer zu erledigen. Beide Tools nutzen die umfassenden Datenressourcen von Swiss Re, sind skalierbar und entsprechen unserem Governance-Ansatz. Als Erweiterung der menschlichen Expertise helfen sie den Branchenspezialisten, sich auf den jeweiligen Fall zu konzentrieren, Sachverhalte zu analysieren und bessere Entscheidungen zu treffen. Das Ergebnis sind schnellere Lösungen, weniger Reibung und bessere Ergebnisse für die Kunden.

Agentic AI: die nächste Welle

Ein ganzheitlicher KI-Ansatz bettet KI in Kernprozesse ein und ist mit einer grundlegenden Veränderung der Interaktionen verbunden. Dies geht über die Bereitstellung von Einzelanwendungen hinaus, denn KI-Techniken wie Gen AI, maschinelles Lernen, regelbasierte Automatisierung und Optimierungsmodelle werden zu koordinierten Systemen zusammengeführt.

Die Steuerung dieser Interaktionen erfordert ausgereifte KI-Plattformen mit Orchestrierungsfähigkeiten, verlässlichen Datengrundlagen und starker Governance. Sind diese vorhanden, können wir die KI über das heutige Schema von Prompt und Antwort hinaus zu einem Paradigma entwickeln, bei dem agentische KI-Systeme planen, handeln und mit anderen Systemen oder mit Menschen zusammenarbeiten, um geschäftliche Ziele zu erreichen.

Reifer Dialog

Für die komplexen Arbeitsabläufe und Altsysteme unserer Branche verspricht die «agentische KI» zum Game-Changer zu werden, weil sie hilft, Abläufe zu optimieren, aber keine Generalüberholung erfordert. Bei Swiss Re experimentieren wir mit diesen Ansätzen, und in manuellen, datenlastigen Bereichen wie Vertragsverwaltung und Antragsbearbeitung sehen wir ermutigende Ergebnisse.

Während wir auf dieser nächsten Welle reiten, freut es mich, dass McKinsey und das MIT uns dazu gebracht haben, über die Herausforderungen der KI zu sprechen. Dies zeigt, dass sich jetzt ein reifer Dialog über die Frage entwickelt, wie der Übergang von KI-Experimenten zu skalierbaren, wirkmächtigen, datengesteuerten Systemen mit verantwortungsvoller Governance gelingt. Im Rahmen der Swiss {ai} Weeks wollen wir wissen, wie sich das Paradox von heute in die Produktivität von morgen verwandeln lässt. Ich bin gespannt auf Ihre Meinung.