Vor der Coronakrise waren ESG-Anlagen der grösste Trend im Finanzsektor. Wird dieser Trend nun beschleunigt oder abgewürgt? Michael Baldinger, Nachhaltigkeitschef im UBS Asset Management, geht dieser Frage in einem exklusiven Gastbeitrag auf finews.ch nach.

In weniger als drei Monaten hat eine Pandemie unsere Welt verändert. Das Ausmass und die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung, die politischen Reaktionen darauf und die resultierenden wirtschaftlichen Folgen sind beispiellos.

Der US-Börsenindex S&P 500 tauchte mehr als 34 Prozent innerhalb eines Monats, was der schnellste Absturz in einen Bärenmarkt in der Geschichte der Wall Street war – nur um sich in den darauf folgenden drei Wochen um 20 Prozent zu erholen.

Es ist klar: Die Corona-Pandemie markiert einen Wendepunkt für Staaten, Unternehmen, Familien und für die Finanzmärkte.

Wendepunkt beim Sustainable Investing?

Was aber geschieht nun im Bereich der nachhaltigen Anlagen (Sustainable Investing)? Stehen wir auch hier an einem Wendepunkt? Nachhaltigkeit beim Investieren hat das Ziel, die grössten Herausforderungen unserer Gesellschaft zu definieren und anzugehen, wie den Klimawandel, die anhaltende Verletzung von Menschenrechten, die sozialen Ungleichgewichte und die Corporate Governance.

Die Frage lautet: Anerkennen wir, dass diese gesellschaftlichen Herausforderungen den massiven Einsatz von öffentlichem und privatem Kapital und Anlagelösungen benötigen? Und: Wird Sustainable Investing ein integraler Bestandteil der Anlagebausteine?

Fällt Nachhaltigkeit dem Überlebensmodus zum Opfer?

Oder werden nachhaltige Anlagen angesichts der weltweiten Pandemie und der hohen Wahrscheinlichkeit einer schweren globalen Rezession als unnötige Ablenkung abgetan? Fällt die Nachhaltigkeit dem Überlebensmodus in den Unternehmen und den Anstrengungen zum Opfer, um wieder das Status-Quo-Wachstum zu erreichen?

Wer dies beurteilen möchte, muss die Relevanz der ESG-Faktoren (Environmental, Social, Governance) in der aktuellen Situation betrachten.

1. Environmental/Umwelt

Es gibt zahlreiche Belege dafür, dass Umweltbedrohungen am Ursprung dieser schlimmen Pandemie liegen. Die Zerstörung natürlicher Lebensräume trägt dazu bei, dass Krankheiten und Seuchen, wie das neue Coronavirus, sich schneller von Tieren auf den Menschen übertragen. Die globalisierte Welt ist der Transmissionsriemen für die Übertragung solcher Krankheiten, die so ihr zerstörerisches Potenzial erreichen.

Die Reaktionen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie können sich als Vorteil für die Umwelt erweisen. Homeoffice und Videokonferenzen haben den Pendler- und Geschäftsreiseverkehr massiv reduziert, und die CO2-Emissionen sind praktisch über Nacht gefallen. Innert weniger Wochen zeigte sich, wie stark die Umwelt davon profitiert, wenn einige der grössten Verschmutzer eine Pause einlegen müssen.

Wir bekamen eine Ahnung davon, was mit einem Ausstieg aus den fossilen Energien und einem Fokus auf aufregende, neue und saubere Technologien erreicht werden könnte. Es hat sich gezeigt: Ist ein Imperativ da, können wir eine Krise gezielt angehen. Und wenn eine Gesundheitskrise in den Griff gebracht werden kann, warum nicht auch die Klimakrise? ESG-Research kann uns darin unterstützen zu verstehen, wie Unternehmen sich am besten positionieren sollten, um von diesen Anstrengungen zu profitieren.

2. Social/Gesellschaft

Bislang erlangten die Themen, die unter dem «S» in ESG summiert sind, weniger Aufmerksamkeit als andere Nachhaltigkeits-Themen. Mit dem Coronavirus ändert sich das. Es hat sich kristallklar gezeigt, wie wichtig der Einsatz von Humankapital in den kritischen Unternehmenssektoren derzeit ist, wie Gesundheit, Nahrung und Handel. Investments in den Bereichen Gesundheit und Sicherheit werden mit grosser Wahrscheinlichkeit eine hohe Priorität erlangen.

Dasselbe gilt für robuste Lieferketten, deren Wichtigkeit erkannt worden ist. Denn die Pandemie hat die Fragilität im globalen Handel und in den Lieferketten aufgezeigt.

3. Governance/Führung

Die Wirksamkeit der Führungsstrukturen in Unternehmen und Regierungen steht derzeit auf dem Prüfstand. Wie hoch ist die Widerstandskraft von Unternehmen, wenn sie gesellschaftlich und wirtschaftlich unter Druck geraten? Funktionieren die Krisenpläne, wenn unerwartete Probleme auftauchen? Erhalten die Angestellten Unterstützung und sind sie motiviert, ihrem Unternehmen in harten Zeiten beizustehen? Können sich Unternehmen in ihren Märkten behaupten, und können sie neue Prioritäten entwickeln und Chancen packen?

Nachhaltigkeits-Investoren werden neben der Prüfung von Finanzdaten genau solche Fragen stellen und damit hervorheben, was wir schon lange für wichtig halten: Stewardship – also Aktionärsengagement – muss beim Sustainable Investing Bestandteil des Anlageprozesses werden, um die Widerstandskraft und das langfristige Leistungsvermögen eines Unternehmens zu beurteilen. Das ist ein zentraler Punkt, um die Interessen von Kunden und Investoren zu wahren.

ESG-Investoren selektionieren die «guten» Unternehmen

Und dann geht es um die Performance. In den vergangenen Wochen zeichnete sich ab, dass Unternehmen, die von ESG-Investoren bevorzugt werden, in der laufenden Pandemie eine bessere Performance erzielen. Nachhaltigkeitsindizes wie der MSCI SRI global und ACWI-Indizes haben die traditionellen Indizes in den vergangenen drei und fünf Jahren geschlagen.

Es gibt eine Vielzahl von Belegen, dass gut geführte Firmen auch bei den ESG-Kriterien besser abschneiden, und dass sie den Markt langfristig outperformen.

Der Anlageprozess im Sustainable Investing reduziert Verlustrisiken im Portfolio, indem er Unternehmen vermeidet, die sich riskant verhalten und indem er Unternehmen identifziert, die auf langfristige Nachhaltigkeitstrends setzen. Viele von diesen haben in der Coronakrise an Relevanz gewonnen.

Corona beschleunigt den Nachhaltigkeitstrend

Die gegenwärtige Situation wird Veränderungen mit sich bringen, zum Beispiel auch, wie wir ESG-Daten in die Nachhaltigkeitsstrategien integrieren. Kurzfristig wird der Fokus eher auf gesellschaftlichen als auf ökologischen Faktoren liegen. Möglicherweise wird dies zu einer Angleichung der Gewichtung von E, S und G führen.

Ich bin davon überzeugt, dass sich der Nachhaltigkeitstrend nach der Coronakrise erneut beschleunigen wird. In den vergangenen 18 bis 36 Monaten haben wir bemerkenswerte Veränderungen festgestellt, wie die grössten Vermögensinhaber der Welt ihr Kapital alloziieren und immer stärker auf Nachhaltigkeit setzen.

Die Märkte werden realisieren, dass ESG ein bedeutendes Element des Investment Researchs darstellt, das nicht mehr ignoriert werden kann. Investoren werden ihre Toleranzschwelle für schlechte Governance senken. Die Finanzierung solcher Unternehmen wird teurer und die Kapitalaufnahme wird für sie schwieriger.

Ich bin der festen Überzeugung, dass freie Kapitalmärkte den stärksten Transmissions-Mechanismus liefern, um nachhaltiges Unternehmertum global zu etablieren, damit die heutigen Probleme für eine bessere Zukunft gelöst werden.


Michael Baldinger ist Leiter Sustainable and Impact Investing bei UBS Asset Management in New York. Den Job trat er 2016 an, nachdem er zuvor den Nachhaltigkeits-Pionier SAM Group (heute Robecosam) mit aufgebaut hatte. Seine Karriere startete er als Händler in der Investmentbank der Credit Suisse.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.32%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
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  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
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  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.43%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.63%
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