Kaum ein anderer Wirtschaftszweig ist so ineffizient wie das Baugewerbe. Die Branche müsse aus dem Steinzeitalter herausfinden, schreibt Anton Affentranger auf finews.first.


Dieser Beitrag erscheint in der Rubrik finews.first. Darin nehmen Autorinnen und Autoren wöchentlich Stellung zu Wirtschafts- und Finanzthemen. Die Texte erscheinen auf Deutsch und Englisch. Die Auswahl der Texte liegt bei finews.ch.


Noch vor drei oder vier Jahren hätte ich nicht im Traum daran gedacht, eines Tages ein Budget für den Kauf von Drohnen zu bewilligen – vor kurzem habe ich jedoch genau das getan. Weshalb «mein» Unternehmen Hilfsmittel einsetzt, die auf den ersten Blick nicht viel mit dem Baugewerbe zu tun haben, lässt sich am Beispiel einer Baustelle in Dagmarsellen LU illustrieren.

Dort gelang es der Firma Implenia kürzlich, mit Hilfe von Drohnen ihre Effizienz um mehr als 30 Prozent zu steigern. Die tagsüber gemachten Aufnahmen wurden noch in der darauffolgenden Nacht von einer Software ausgewertet. Am nächsten Tag konnte das Team dann auf der Grundlage eines Plans weiterarbeiten, der um die am Vortag gewonnenen Erkenntnisse ergänzt worden war. Am wichtigsten war es, den Arbeitern die Vorteile dieser Vorgehensweise aufzuzeigen.

«Wo zweidimensional gedacht wurde, sind heute fünf Dimensionen zu berücksichtigen»

Die Baubranche steht zurzeit am Scheideweg – das ist keine abgedroschene Phrase. Dagmarsellen ist nur ein konkretes Beispiel für die Veränderungen, die sich im Bausektor vollziehen: Wo lange Zeit zweidimensional gedacht wurde, sind heutzutage fünf Dimensionen zu berücksichtigen. Mit dem Einstellen von Digitalisierungsexperten ist es aber noch nicht getan. Es gilt ebenso, die Belegschaft davon zu überzeugen, ihre Arbeitsprozesse grundlegend zu verändern.

Kaum eine andere Branche ist so ineffizient wie der Bausektor. Das lässt sich anhand einiger Bilder veranschaulichen: Eines zeigt eine Gruppe Arbeiter, die mit dem Besen in der Hand eine Baustelle kehren, das andere die vollautomatisierte Fertigungskette eines Automobilherstellers.

«Auf der Suche nach einem Leiter für das Technical Center wurde ich bei Porsche fündig»

Meiner Ansicht nach führt in der Baubranche kein Weg am Lean Management vorbei, das sich im Automobilsektor bereits bewährt hat. Es überrascht daher nicht, dass ich auf der Suche nach einem Leiter für unser Technical Center, das die Betriebsabläufe bei Implenia optimieren soll, bei Porsche fündig wurde.

Nicht das Bauen an sich muss sich im Bausektor ändern, sondern die Abläufe müssen sich wandeln. Durch die Möglichkeiten, die sich durch künstliche Intelligenz und 3D-Drucker ergeben, eröffnen sich neue Geschäftsmodelle.

Noch immer werden 95 Prozent der Schweizer Baustellen auf Papier geplant. Dabei können mit 3D-, 4D- oder 5D-Modellen (drei Dimensionen plus Zeit und Geld) Änderungen in Echtzeit oder beinahe in Echtzeit angezeigt werden. Zudem ist es möglich, Abweichungen zwischen Modell und Realität sichtbar zu machen und so Budget- oder Fristüberschreitungen zu minimieren.

«Um jedoch die Dinge in Bewegung zu setzen, braucht es Leidenschaft»

Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang an ein Baustellenbüro in Kalifornien, das eher einem Tradingfloor oder einem Cockpit glich und in dem die verschiedenen Fachleute am und mit dem Modell arbeiteten. Wie gross der Anpassungsbedarf ist, zeigt sich auch am Beispiel Norwegens, wo ohne 5D-Ausrüstung nicht einmal die Formulare für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungen ausgefüllt werden können.

Dass sich die Abläufe und die Technologie wandeln müssen, liegt auf der Hand, doch es muss auch ein Umdenken stattfinden. Es ist demnach notwendig, «Schwarze Schwäne» als solche zu erkennen und die nötige Flexibilität aufzubringen, um die erforderlichen Veränderungen vorzunehmen.

Dies reicht jedoch nicht aus. Mit dem Verstand kann man alles analysieren und es sich vorstellen. Um die Dinge jedoch in Bewegung zu setzen, braucht es Leidenschaft. Erst sie bringt den nötigen Elan, um den Wandel in der Realität zu vollziehen. Mit anderen Worten, die Mitarbeitenden müssen zu den tragenden Säulen des Umbruchs werden, anstatt diesen zu bremsen. Es gibt inzwischen unternehmensinterne Seminare und Wettbewerbe, damit die Angestellten diese neuen Ansätze verinnerlichen.

«In der Schweiz ist die Hälfte aller Brücken und Tunnel erneuerungsbedürftig»

Der Umbruch findet in einem Umfeld statt, das dank Urbanisierung und Infrastrukturprojekten unzählige Gelegenheiten bietet: Da sind zum einen die immer komplexeren Bauvorhaben, wie der geplante 123 Kilometer lange Tunnel in China, der den Bau des Gotthardtunnels beinahe wie ein Kinderspiel aussehen lässt, und zum anderen dringend erforderliche Renovierungsarbeiten, wie in Deutschland, wo ein Drittel der Eisenbahnbrücken über 100 Jahre alt ist, oder in der Schweiz, wo die Hälfte aller Brücken und Tunnel erneuerungsbedürftig ist.

Allein der Schweizer Markt für Infrastrukturprojekte wird für 2017 auf 14,7 Milliarden Franken, für 2018 auf 15,6 Milliarden Franken und für 2019 gar auf 16,3 Milliarden Franken geschätzt. Für mich steht fest: Damit der öffentliche Sektor all seine Projekte realisieren kann, muss die Branche ihre Vorgehensweise und ihre Geschäftsmodelle überdenken.

  • Der vorliegende Text beruht auf einem Referat, das Anton Affentranger am 5. April 2017 beim Finanzapéro «5 à 7 de la finance» der Banque Cantonale Vaudoise (BCV) hielt.

Der Schweizer Anton Affentranger wurde in Südamerika geboren, wo er auch aufwuchs. Er studierte Wirtschaftswissenschaften und Politologie an der Universität Genf und schloss mit einem Mastertitel ab. Im Jahr 1981 startete er seine Berufskarriere bei der damaligen Schweizerischen Bankgesellschaft (heute UBS), wo er zunächst Projektfinanzierungen in New York verantwortete, bevor er Niederlassungsleiter in Hongkong und später in Genf wurde. Im Jahr 1996 stieg er in die Konzernleitung der Grossbank auf. 

Von 1998 bis 2000 leitete als Managing Director und CEO die Genfer Privatbank Lombard Odier & Cie, danach wechselte er als Finanzchef zum Basler Pharmakonzern Roche. Seit Oktober 2011 steht er vor allem in seiner Funktion als CEO von Implenia, dem grössten Bau- und Baudienstleistungsunternehmen der Schweiz, in der Öffentlichkeit; daneben leitet er seine eigene Firma Affentranger Associates und ist Verwaltungsratspräsident der Unternehmen Dartfish, Selfrag und Forteq.


Bisherige Texte von: Rudi Bogni, Oliver Berger, Rolf Banz, Samuel Gerber, Werner Vogt, Walter Wittmann, Alfred Mettler, Robert Holzach, Craig Murray, David Zollinger, Arthur Bolliger, Beat Kappeler, Chris Rowe, Stefan Gerlach, Marc Lussy, Samuel Gerber, Nuno Fernandes, Beat Wittmann, Richard Egger, Didier Saint-Georges, Dieter Ruloff, Marco Bargel, Steve Hanke, Urs Schoettli, Maurice Pedergnana, Stefan Kreuzkamp, Katharina Bart, Oliver Bussmann, Michael Benz, Albert Steck, Andreas Britt, Martin Dahinden, Thomas Fedier, Alfred Mettler, Frédéric Papp, Brigitte Strebel, Peter Hody, Mirjam Staub-Bisang, Guido Schilling, Adriano B. Lucatelli, Nicolas Roth, Thorsten Polleit, Kim Iskyan, Dan Steinbock, Stephen Dover, Denise Kenyon-Rouvinez, Christian Dreyer, Peter Kurer, Kinan Khadam-Al-Jame, Werner E. Rutsch, Robert Hemmi und Claude Baumann.

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