«Dem Finanzplatz fehlt eine Vision – und der Mut, sie zu entwickeln»
Herr Biermann, Sie haben mir im Vorgespräch gesagt, Headhunting habe auch was mit Haltung zu tun. Inwiefern?
Vertreter der Finanzbranche kommen zu uns, weil sie entweder neue, gute Mitarbeiter suchen oder weil sie auf der Suche nach einem neuen Job sind. Die Strukturen sind relativ klar, und von aussen scheint der Job recht klar. Aber es gibt eine weitere Komponente, die oft vergessen geht: Wir wollen und können mit unserer Firma Kandidaten nicht einfach verschieben, sondern sie beraten und begleiten. Nachhaltig, ehrlich – daher findet ein Grossteil unserer Gespräche auch ohne ein direktes Mandat im Hintergrund statt. Die Ethik und Moral gilt genauso für die Finanzdienstleister, mit denen wir eng zusammenarbeiten: Wir sind ihr Sparringspartner, und es geht uns um Werte.
Ist das der Grund, weshalb Sie mir vor dem Gespräch von Oswald Grübel geschwärmt haben, der in einem Podcast jüngst Tacheles gesprochen hat?
Grübel sagt, was viele denken, aber kaum einer ausspricht. Er ist für seine bodenständige Art bekannt und redet genauso: klar, direkt, ohne PR-Filter. Er hat eine Haltung – etwas, was heutzutage in allen Bereichen des Lebens fehlt.
«Ohne den Finanzplatz gäbe es die Schweiz in dieser Form gar nicht.»
Grübel hat in dem Podcast den Untergang der Credit Suisse als Tragödie bezeichnet. Teilen Sie diese Einschätzung?
Ja, absolut. Für die Innovationskraft des Finanzplatzes war das ein schwerer Schlag. Aber die eigentliche Tragödie hat viel früher begonnen: Man hat viel zu lange weggeschaut. Die Aktionäre, die Politik, die Aufsicht. Die Aktionäre, aber auch die Finma hätten längst eingreifen müssen. Im Nachhinein zu regulieren, trifft nur diejenigen, die noch anständig arbeiten. Wenn der Staat eingreift, ist es immer zu spät.
All jene, die sich jetzt für strengere Regeln stark machen, haben ein zu einfaches Spiel. Banken werden zum Sündenbock für so vieles gemacht.
Das ist zu kurzsichtig gedacht. Ohne den Finanzplatz gäbe es die Schweiz in dieser Form gar nicht. Und wenn jetzt auch noch die UBS ihre Zelte hier abbräche, dann würde dies die Schweiz in eine schwere Krise stürzen. Wir dürfen nicht vergessen, wie viele Zulieferer, Handwerker und weitere Dienstleister vom Finanzplatz leben. Die UBS ist keine Bedrohung, sie ist das Rückgrat unseres Erfolgs. Und ehrlich: Wir können sehr froh sein, dass wir sie haben. Und ich betone: Wir haben in den 16 Jahren unserer Tätigkeit noch nie mit der UBS kooperiert.
Was unterscheidet die Schweiz von anderen Ländern?
Ihre Flexibilität. Ihr liberaler Arbeitsmarkt. In Deutschland lähmt die Bürokratie jedes Vorhaben. In der Schweiz kann man etwas aufbauen, umbauen, anpassen. Das zieht Investoren an.
«Den Fachkräftemangel gibt’s, aber anders als oft behauptet.»
Aber auch hier bei uns nimmt die Regulierung immer grössere Ausmasse an.
Wenn man den Standort weiter fesselt, verliert er das, was ihn ausmacht. Wir sind ohnehin teurer als alle umliegenden Staaten. Wenn wir auch noch starr werden, ist das Gift; man muss nur nach Deutschland schauen. Aber scheinbar muss man wie ein kleines Kind selbst noch testen, ob die Herdplatte wirklich heiss ist.
Wie nehmen Sie die Stimmung auf dem Finanzplatz Zürich wahr?
Eher gedämpft. Neue Player wie Apollo, HarbourVest, KKR etc. schaffen spannende Jobs, aber gleichzeitig fallen bei der UBS und mittelfristig auch durch Digitalisierung viele weg. Gerade Middle-Office-Rollen werden verschwinden.
Die jüngsten Zahlen von Banken zeigen, dass viele Institute händeringend nach Fachkräften suchen.
Den Fachkräftemangel gibt’s, aber anders als oft behauptet. Es fehlen nicht Menschen, sondern Kompetenzen: Spezialisten, die richtige Attitude, Netzwerke, Sonderkenntnisse bzgl. Regulatorik, IT und ein hohes Kundenverständnis. Ich bin überzeugt, dass wir ältere Fachleute länger im Markt behalten sollten und müssen ihnen durch flexible Modelle eine Chance geben. Die Demografie arbeitet gegen uns.
«Private Assets sind in aller Munde. Aber der grosse Trend bezüglich Flows geht in Richtung passive Produkte.»
Wie verändert sich die Produktlandschaft?
Private Assets sind in aller Munde. Aber der grosse Trend bezüglich Flows geht in Richtung passive Produkte. ETFs, Smart Beta, aktive Indexstrategien – sie verdrängen viele klassische Fonds. Gut für den Kunden, schlecht für viele Anbieter und Banker. Oftmals aber auch gerechtfertigt: wenn 90 Prozent ihrer Fonds die Benchmark nicht schlagen, wird es zurecht eng.
Gleichzeitig drängen Neobanken wie Revolut vor. Sind sie eine Gefahr für die traditionellen Institute?
Noch nicht direkt für die hiesigen Privatbanken. Die Schweiz ist kein Massenmarkt, sondern ein Hochwertmarkt. Die Depots sind grösser, die Kunden anspruchsvoller. Die Beratung muss sich aber verbessern, und hier wird KI hoffentlich helfen, um wieder mehr Zeit für den Kunden zu haben. Das hinter der Beratung liegende Produkt ist jederzeit austauschbar. Der Berater macht den Unterschied. Das klassische Private Banking bleibt – wenn es echten Mehrwert bietet: Beziehungen, Knowhow, Service.
Private Markets sind ein Boomthema. Überhitzung in Sicht?
Teilweise. Das Segment wächst stark, aber viele unterschätzen die Komplexität. Diese Produkte sind in meinen Augen nichts für Retail-Kunden. Und ja, es gibt in diesem Industriezweig der Finanzindustrie Übertreibungen – auch bei den Gehältern. Wenn Mitarbeiter aus dem Supportbereich plötzlich Leitungsfunktionen übernehmen oder die Gehälter zu schnell wachsen, ist das ein Blasensignal. Wir sehen aber, dass eine gewisse Beruhigung eingekehrt ist.
«Wir könnten ein Labor sein für modernes Portfolio-Management mit KI und Tokenisierung – sind es aber nicht.»
Wie schätzen Sie die Innovationskraft der Schweiz ein?
Zu gering. Die Potentiale werden nicht genutzt. Wir haben beispielsweise trotz der Unsummen an Vermögen privater und institutioneller Investoren kaum neue Asset-Manager, selten neuen Ideen. Wir könnten ein Labor sein für modernes Portfolio-Management mit KI und Tokenisierung – sind es aber nicht. Es fehlt der Mut, Dinge auszuprobieren und auch die Komfortzone zu verlassen. Der Unternehmergeist hat nachgelassen.
Die Musik spielt vor allem im Blockchain-Bereich. Hat die Schweiz beim Thema Krypto den Anschluss verloren?
Teilweise. Mit dem Crypto Valley in Zug haben wir Standards gesetzt. Leider kam danach nicht mehr viel. Die Krypto-Industrie bleibt eine Nische, ein Parallel-Ökosystem. Es gibt Potenzial, sie ist aber kein Massenphänomen. Das Potential der Blockchain ist riesig – ich hoffe, dass es nicht wegreguliert wird.
Was braucht der Finanzplatz, um wieder international Taktgeber zu werden?
Eine Vision. Politik, Wirtschaft, Bildung und die Medien müssen gemeinsam definieren, wofür die Schweiz steht. Wir brauchen Stolz statt Defensive. Der Finanzplatz ist kein Feindbild, sondern eine Lebensader.
Wer soll diese Vision entwickeln?
Nicht PR-Leute und schon gar keine Beamten, sondern Unternehmer, Banker, Professoren – Menschen mit Herzblut. Köpfe, die gestalten wollen, nicht verwalten.
Klaus Biermann ist Mitinhaber von BiermannNeff; die Firma ist im Bereich Rekrutierung und Headhunting tätig. Biermann hat nach einer Banklehre an der Frankfurt School of Finance in Frankfurt studiert. Er sammelte in der Kundenbetreuung, im Firmenkundengeschäft und im Derivatbereich Berufspraxis und absolvierte mehrere Praktika im Ausland. Anschliessend wechselte er zu Baring Asset Management in den Salesbereich und durchlief zunächst verschiedene Abteilungen in Frankfurt, London und Paris. Seit 2003 arbeitet er im Bereich Rekrutierung und Headhunting.















