Chefwechsel, Verzögerungen – die Schweizer Digitalbörse steht nach einer wechselvollen Geschichte kurz vor dem Start. Recherchen zeigen, welche Hindernisse das Prestigeprojekt der SIX zu überwinden hatte.

Die SIX Digital Exchange (SDX) wird ohne Tim Grant (Bild unten) abheben. Dieser Tage wurde bekannt, dass es den Chef der Schweizer Digitalbörse weiterzieht, zum Krypto-Guru Michael Novogratz und dessen Firma Galaxy Digital. Dies, während die ersehnte Lizenz der Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) immer noch aussteht. Die erfolge aber «in Kürze», wie die Börsenbetreiberin SIX beteuerte.

Doch auch das ist eigentlich zu spät, wenn es nach Kennern der Projekts geht. Jetzt, sagen diese Beobachter, werde die Digitalbörse notgedrungen kleinere Brötchen backen müssen.

Buhlen um internationale Aufmerksamkeit

Rückblende: Als die SDX im Jahr 2018 auf den Weg gebracht wurde, hatte die SIX einen dezidierten Wachstumskurs eingeschlagen. Dies vor dem Hintergrund, dass die Konsolidierung der klassischen Börsenlandschaft bereits vorangeschritten war. Das sorgt auch heute noch für Druck.

Wer ausländische Akteure auf seine Plattform holen will, muss über die nötige Grösse und ein internationales Netz an Diensten verfügen. Die Übernahme der spanischen Börsen BME, die 2020 vollzogen wurde und für welche die SIX rund 2,74 Milliarden Euro locker machte, folgte dieser Räson.

Die SDX wiederum, berichten Beobachter, sei ein weiteres Instrument, um die internationale Strahlkraft zu erhöhen. Das Ziel hier: noch vor der Konkurrenz wollte die SIX einen Marktplatz schaffen, den es so weltweit nicht gibt. Das hätte auch dem gesamten Schweizer Finanzplatz zusätzliche Relevanz für die Zukunft verschafft.

Grant 500

Auch eine Abwehr

Gleichzeitig kann die SDX als Abwehr-Dispositiv verstanden werden. Weil aufstrebenden Blockchain-Anwendungen ohne Intermediäre und zentrale Plattformen auskommen, können sie dem etablierten Finanzwesen brandgefährlich werden. Zumindest in der Theorie ist ihr «disruptives» Potenzial gewaltig. Wer da als Bank, Börse oder Versicherer ohne eine entsprechende Antwort dasteht, lebt gefährlich.

2018 schien das Fenster für beide Zielvorgaben weit offen. Mit Thomas Zeeb (Bild unten), der beim SIX-Konzern die Börse leitet und als Präsident der SDX wirkt, hat die Digitalbörse einen energischen Fürsprecher im Unternehmen. Die Ausgangslage schien sehr verheissungsvoll, zumal in der Schweiz mit dem Zuger «Crypto Valley» schon ein Hub für Blockchain-Geschäftsmodelle bestand und die Politik das Thema nach Kräften fördert.

Banken mischen mit

Doch es kam anders. Als «high profile»-Projekt weckte die SDX unmittelbar das Interesse der Banken, die als Eigentümer die SIX kontrollieren. Dieses Interesse erwies sich als sehr divers: Nicht nur, was die Ansprüche einer Regionalbank und einer Grossbank an eine Digitalbörse angeht, sondern auch die Bedeutung einer solchen Innovation an sich.

Gestritten wurde offenbar auch übers Budget und die technologische Umsetzung. Dies liess Präsident Zeeb 2019 gegenüber finews.ch durchblicken. «Wir müssen einfach sicherstellen, dass wir nicht zehn Schritte voraus sind, sondern vielleicht nur zwei», sagte er. So könne man die Banken mit auf die Reise nehmen.

Doch diese Reise, so wird berichtet, erforderte immer wieder Kompromisse. Die brauchten wiederum Zeit. Und Zeit ist in Digitalisierung-Projekten knapp bemessen. Zur Rolle der Banken hiess es bei der SIX auf Anfrage: «Der Verwaltungsrat von SIX hat sich seit Beginn des Projekts hinter die SDX gestellt und diese unterstützt.»

Thomas Zeeb 506

Drei Chefs in drei Jahren

Für Unruhe im Projekt sorgten zudem die häufigen Führungswechsel. Auf begrenzte Frist hatte zuerst Martin Halblaub die SDX vorangetrieben. Auf ihn folgte im Sommer 2019 der interne Manager Tomas Kindler. Im März 2020 wurde Grant zum neuen neuen Head of Business ernannt. Er stiess damals als Koryphäe vom globalen Blockchain-Konsortium R3 zur SIX.

Die Meinungen über ihn sind seither geteilt. Kritiker sehen in ihm einen Karrieristen, der als Angelsachse der Schweiz und ihrem Finanzplatz ferngeblieben ist. «Grant war eine Fehlbesetzung», sagt ein Kenner des Projekts. SDX-Präsident Zeeb hingegen kommentierte zu Grants Abgang: «Ich habe sehr gerne mit Tim und seinem Team bei SDX zusammengearbeitet.» Naheliegend ist, dass die für einen neuen CEO durchaus legitimen Änderungen an der Strategie und die Neubesetzung von Posten weitere, wertvolle Zeit kosteten.

Auch ein SIX-Sprecher verteidigt den Einsatz von Grant. «Herr Grant war diverse Male in der Schweiz, als dies Covid wieder zuliess. Er war zu jedem Zeitpunkt mit dem Team digital verbunden.» Bei SIX hätten seit März 2020 alle Mitarbeitenden von zuhause aus gearbeitet. Bezüglich Strategie habe es seit Beginn des Projekts immer wieder mal kleinere Anpassungen gegeben.

Aber das Ziel sei das gleiche wie seit Beginn des Projekts: Das Erschaffen der ersten vollständig integrierten Infrastruktur für den Handel, die Abwicklung und die Verwahrung von digitalen Vermögenswerten. «Konkurrenzbörsen decken bisher nur Teile, aber nicht die gesamte Wertschöpfungskette ab», so der Sprecher.

Noch keine Nestlé-Token

Die für Ende 2020 angekündigte Lancierung musste vertagt werden. Zuletzt hatte die Coronakrise die Suche nach externen Geldgebern erschwert, wie die SIX im vergangenen März berichtete. Obwohl die SIX auch dieses Jahr wieder rund 200 Millionen Franken in die Infrastruktur investieren wollte, suchte sie zusätzliche Aktionäre, die später zu Kunden der Digitalbörse werden könnten.

Damit es zum Start auch etwas zu handeln gibt auf der Plattform, setzt die SDX dabei auf ein Ökosystem von Partnern und SIX-Beteiligungen. Stiller geworden ist hingegen um die Idee, an der SIX kotierte Aktien wie Novartis, Nestlé oder UBS zu tokenisieren.

Von einer Kantonalbank überrundet?

Inzwischen sind in der Schweiz mehrere Digitalbörsen amStart. Die Kryptobank Sygnum erhielt schon letzten September grünes Licht von der Aufsicht für den Handel mit Token. Ebenfalls eine Börsenfunktion im Handel mit Digitaldevisen und Token testete die Online-Bank Swissquote, dies im Rahmen des Schweizer Konsortiums CMTA. Und dieses Tage hat die Berner Kantonalbank (BEKB) angekündigt, dass ihre digitale Nebenwerte-Börse SME|X in den nächsten Wochen an den Start geht.

Die BEKB konnte dabei auf eine Finma-Lizenz verzichten, während die SDX zusammen mit der Aufsicht eine Lizenz erarbeitete, die fast sämtlichen Aufgaben einer herkömmlichen Börse abbildet und entsprechend komplex ist. Das soll das Vertrauen der Nutzer ins Angebot stärken, hofft man. Ab Oktober übernimmt der Ex-State-Street-Mann David Newns die Zügel.

Noch das Risiko mindern

Kritiker finden, dass die SDX auch bei einem baldigen Start ihren Vorsprung und damit einen Teil der Anziehungskraft eingebüsst hat. Immerhin können die SIX damit noch das Risiko einer Disruption mindern. Aber, geben sie zu bedenken: «Latecomer zu sein, hilft nicht viel.»

Die SIX dazu: «Nach der Erteilung der Finma-Lizenz kommt SDX in die Kommerzialisierungs-Phase. Ein Marktplatz ist nur attraktiv, wenn auch viele Anbieter und Nachfrage da sind.» Die SDX wird mit einigen Banken starten, das Angebot aber ausbauen müssen. Das, so heisst es, «wird Zeit benötigen.»

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.24%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.76%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.89%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.44%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.67%
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