Die Modern Monetary Theory (MMT) ist «talk of the town». In der Tat ist MMT ein populistisches Narrativ zur Erklärung wirtschaftlicher Phänomene, welche die traditionelle Ökonomie nicht erklären kann, schreibt Erwin Heri auf finews.ch.

Es sind vor allem linke Kreise der amerikanischen Demokraten, welche aus der Modern Monetary Theory (MMT) eine (pseudo-)wissenschaftliche Heilslehre für eine bessere Welt gemacht haben.

Diese macht sich mehr und mehr auch in Europa breit. Dies zeugt von nichts anderem, als dass im heutigen politischen Prozess populistische Erzählungen mehr wert sind als wirklich wissenschaftliche Analysen.

Die traditionelle Geldtheorie ist nicht unschuldig

Darum sollten sich auch liberal gesinnte Parteivertreter in der Schweiz im Hinblick auf die Wahlen im Herbst dazu Gedanken machen. Denn die Geschichte, die MMT erzählt, tönt für viele Ohren ausgesprochen attraktiv.

Die traditionelle Wirtschafts- und Geldtheorie ist nicht ganz unschuldig daran, dass alternative Ansätze das Erklärungsvakuum einiger Phänomene des wirtschaftlichen Alltags übernommen haben. Es ist hier wie andernorts auch: Wer die Deutungshoheit verliert, verliert die Führungskompetenz.

Erklärungsbedarf für die orthodoxen Ansätze

Viele orthodoxe Ansätze der Wirtschaftstheorie haben beispielsweise keine gute Erklärung für das Phänomen «Geld» und die Rolle von Giralgeld in einer arbeitsteiligen Wirtschaft. In vielen traditionellen Denkansätzen der Ökonomie können die Entstehung und die Rolle von «Plastikgeld» und damit der Rückgang der traditionellen Bargeldhaltung nicht vernünftig in das Theoriegebäude eingebaut werden.

Vielerorts hängt man auch immer noch dem Gedanken nach, Kredite würden dann entstehen, wenn Bankeinlagen des Publikums durch das Bankensystem als Intermediär aus Fristentransformationsüberlegungen gesprochen werden.

Die Rolle der Zentralbank besteht in solchen Modellen unter anderem darin, das Niveau der Zinsen so festzulegen, dass der beschriebene Prozess zu einem inflationsneutralen Wachstum führt.

Dabei sollte die Zentralbank selbst in diesem Prozess möglichst kein Störfaktor sein, sondern nur dort aktiv werden, wo die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes (sprich, die Geldhaltung von Banken und Publikum) sich auf unerklärliche Weise verändert.

Die Fakten sprechen eine andere Sprache

Diesen wunderbaren Ansätzen stehen allerdings die Fakten der letzten 20 Jahre gegenüber: Die Bilanzen der Zentralbanken der westlichen Welt sind seit der Finanzkrise explodiert; Budgetdefizite und staatliche Verschuldungen sind in den meisten Ländern dramatisch angestiegen; global befinden sich die Zinssätze auf noch nie gesehenen Tiefstständen; die Zinssätze haben ihre Rolle als Risikoindikatoren und damit Steuerinstrument für vernünftige Mittelallokationen verloren; trotz dieser vermeintlich exorbitanten monetären und fiskalischen Turbo-Politiken sind nirgendwo Anzeichen entstehender Inflationsraten und damit ansteigender Zinsen auszumachen.

In solchen Erklärungsnotständen machen sich Heilslehren immer gut.

MMT: Schulden gleich Volksvermögen

Ohne alle Details von MMT ausleuchten zu wollen, wird beispielsweise betont, dass staatliche Verschuldung nichts Schlechtes ist, sondern gleichzeitig auch Volksvermögen darstellt. Eine weitere Erkenntnis ist, dass der moderne Staat, bestehend aus Regierung und Zentralbank, unbegrenzt Ausgaben tätigen und durch Schuldpapiere finanzieren kann, welche durch die Zentralbank gekauft werden.

Dies kann in beliebigem Ausmass geschehen, solange die Regierung dies in eigener Währung tut. Der Staat kann definitionsgemäss nicht bankrott gehen. Allerdings wird empfohlen, dies ausschliesslich zur Erreichung von Vollbeschäftigung zu tun.

Zentralstaat und Zentralbank werden konsolidiert

Mit anderen Worten: Man konsolidiert die Bilanz von Zentralbank und Zentralstaat, die Politik definiert die notwendigen fiskalischen Massnahmen zur Erreichung von Vollbeschäftigung und zur Optimierung des Gemeinwohls und finanziert diese in beliebigem Ausmass über die Notenpresse.

Sollte dieser Prozess – so die Argumentation – zu ausufernder Wirtschaftsaktivität und anschliessender Inflation führen, würden Steuern erhoben, welche dem privaten Sektor Kaufkraft entzieht, womit die Inflationsdynamik wieder reduziert würde.

Die zentrale Planungsstelle, die alles weiss und kann

Je nachdem, welcher Denkschule man gerade angehört, stehen einem bei solchen Szenarien natürlich die Haare zu Berge: Die zentrale Planungsstelle, die weiss, welche Projekte gerade zu fördern sind, um Vollbeschäftigung zu erreichen und die auch weiss, welche Steuern im Fall von Inflation zu erheben sind, um die Inflationsdynamik zu bremsen.

Immerhin, tönen tut das gut. Aber alles wird vernachlässigt, was wir in den letzten Jahrzehnten aus dem Bereich der Politischen Ökonomie oder aus Behavioral Economics gelernt haben wird, weil es nicht in das Narrativ passt.

Einige Phänomene sind Realität

Fakt ist allerdings, dass der Denkansatz einige der Phänomene, die wir gerade erleben, abbilden kann: Zentralbanken, welche Staatsdefizite finanzieren und Staatsschulden aufkaufen; eine Konjunktur, die – insbesondere in den USA – brummt; Arbeitslosenzahlen, die auf relativ tiefen Niveaus verharren oder weiter im Sinken begriffen sind; tiefe Konsumentenpreisinflation und historische Tiefstzinsen.

Kommt dazu, dass in Europa, wo immer noch eine Austeritätsmentalität herrscht, die Wirtschaft nicht so recht in Gang kommen will.

Denkfehler hüben wie drüben

Abschliessend werden einige Denkfehler sowohl des traditionellen Ansatzes als auch der MMT beleuchtet. Viele Traditionalisten, die meinen wegen des exorbitanten Wachstums der Zentralbilanzen müsse über kurz oder lang die Inflationsrate anziehen, sollten sich vergegenwärtigen, dass nicht die Zentralbankenbilanz der preistreibende Faktor ist, sondern die breiteren Geldmengenaggregate.

Diese sind aber in den letzten Jahren bei weitem nicht in ähnlichem Ausmass angestiegen wie die Bilanzen der Zentralbanken. Der Terminus, welcher die Umlaufsgeschwindigkeit des Geldes betrachtet muss überdacht werden.

Er beinhaltet nicht mehr nur Elemente der Geldnachfrage des Publikums, sondern insbesondere auch Elemente des Kreditangebotes des Bankensystems. Es sind dies Aspekte, die im Kontext der Vollgelddiskussionen im letzten Sommer schon aufgetaucht sind. Es lohnt sich, über diese nachzudenken.

Es braucht keine neue Wirtschaftstheorie

Der Verlust der Deutungshoheit hat also mehr mit Scheuklappen bei der Interpretation zu tun, als mit der Enge des Gebäudes. Zum Fernbleiben von Inflation gibt es aber noch weitere Aspekte zu bemerken. Allein die Tatsache, dass wir durch die Globalisierung der Produktions- sowie Transportprozesse völlig neue Kostenstrukturen geschaffen haben, wie auch die Verbreitung des Internets, führen dazu, dass in einem vernünftigen Konkurrenzumfeld Preisstrukturen unter Druck kommen.

Dass das Wirtschaftswachstum in einem solchen Umfeld weniger preistreibend wirkt, als in früheren Zyklen liegt auf der Hand. Dafür brauchen wir keine neue Wirtschaftstheorie. Noch dazu wenn sie Konsequenzen hat, von denen wir wissen, dass sie im Verderben enden müssen. 


Erwin Heri ist Professor und Dozent für Finanztheorie an der Universität Basel und Gründungspartner der Finanzausbildungsplattform www.fintool.ch.

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