Robinhood, Reddit oder Bitcoin seien Vorboten einer neuen Kundengeneration, die radikal anders ticke, schreibt Finanzprofessor Teodoro Cocca für finews.ch. Die Implikationen für Banken seien fundamental. Doch am Paradeplatz nehme man dies bloss belustigt zur Kenntnis. 

Bestenfalls erscheinen «am Paradeplatz» die aktuellen Phänomene rund um Robinhood oder Bitcoin als Beweis dafür, dass im aktuellen allgemeinen Börsenhype die Seriosität der neuen digitalen Finanzwelt anzuzweifeln ist. Vielleicht ersehnt man sogar eine Börsenkorrektur, um dem Spuk ein Ende zu bereiten.

Diese Entwicklungen alleine dem aktuellen Börsenhype zuzuschreiben verkennt jedoch die wichtigen strategischen Botschaften, welche sich bei genauer dem Blick hinter diesen Beispielen verbergen. Banker sollten durchaus in Alarmbereitschaft sein, ein Ende wird «diesem Spuk» selbst eine Börsenkorrektur nicht bereiten. Um die strategischen Implikationen für Geschäftsleitungen und Verwaltungsräte abzuleiten, gilt es den Hype von den strategierelevanten Entwicklungen zu unterscheiden.

Nicht ganz trivial

Das ist nicht trivial, da die Grenzen schwimmend sind. Dennoch müssen die Ereignisse der letzten Wochen jeden Banker zum Nachdenken anregen – und zwar tiefgehend. Es könnte die Spitze eines viel grösseren Eisberges sichtbar geworden sein. Was sich dabei unter der Oberfläche abspielt, ist weitaus weniger belustigend als einem als Banker lieb sein kann.

Nachdenklich stimmen sollte jeden Banker vor allem, wenn sich beim Verfolgen der Ereignisse der Eindruck einer fremden, einer selber völlig unbekannten Welt eröffnet hat. Abtun liesse sich das Ganze am einfachsten mit der Ansicht, dass seien für die eigenen Kundenmärkte irrelevante Phänomene. Gefährlich blauäugig, wer sich das so zurechtlegt.

Alarmglocken in den Strategieabteilungen

In diesem Falle müssten die Alarmglocken in den Strategieabteilungen der Banken eigentlich erst recht schrill läuten, denn offensichtlich ist man so sehr mit sich selber beschäftigt, dass man von der Kundenwelt „da draussen“ nicht mehr viel mitbekommt, von den eigenen langjährigen Kunden mal abgesehen.

Die bisherige digitale Revolution verlief für Banken bisher noch wenig disruptiv. Trotz aller Innovationen hat sich bisher eines kaum geändert: zentrale vertrauensvolle Anlaufstelle für Finanzthemen ist die Bank geblieben. Dieses grundlegende Verhaltensmuster scheint aber in einer grösser werdenden Kundengruppe in Bewegung geraten zu sein. Ganz vorne in der Wertschöpfungskette – sprich in der Informationsphase – entscheidet sich der Kampf um den Kunden.

Bankfiliale noch nie von innen gesehen

Der Verlust dieser Schnittstelle war bisher mehr eine theoretische Hypothese. Nun mehren sich aber die Anzeichen, dass Banken ihre Kunden an dieser neuralgischen Stelle verlieren könnten. Das bezeichnende der Generation der Robinhood-Kunden ist weniger ihre technologische Affinität (das findet man bei anderen Kundengruppen auch) als vielmehr ihre Denkhaltung und Einstellung zum Thema Banken und Finanzen. Das macht sie viel gefährlicher für traditionelle Banken als im ersten Moment erscheinen mag.

Es ist genau die Kundengeneration, die möglicherweise noch nie eine Bankfiliale von innen gesehen hat und Finanzen als ziemlich gewöhnliche Dienstleistung betrachtet, ihr also die Aura des Besonderen genommen hat. Deshalb ist die erste Anlaufstelle für Finanzfragen nicht eine Bank – warum auch? – sondern völlig andere Plattformen oder Netzwerke. Selbstbewusst eignet man sich dabei das Finanz-Know-how selber an oder nutzt das Wissen der „Crowd“. Der Schwarm-Intelligenz wird dabei mindestens so sehr vertraut wie einer Bank.

Statements einer neuen Kundengeneration

Dies kann man selbstverständlich alles kritisch hinterfragen, doch scheint dies die Wahrnehmung dieser Kundengeneration zu sein – und alleine dies zählt. Wer über solche alternative Eintrittstore in die Finanzwelt gelangt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in weiterer Folge andere Wege beschreiten und so tendenziell etablierten Playern gar nicht erst die Möglichkeit zur Kundenbindung eröffnen.

Zum Wesen dieser neuen Kundengeneration gehört auch eine verbreitete Skepsis gegenüber traditionellen Banken, welche bisweilen auch rebellische Züge annimmt. Ein Käufer von Bitcoin ist viel mehr als ein Besitzer einer digitalen Währung. Es ist ein Statement, eine Art subversive Geldphilosophie die dadurch zum Ausdruck gebracht wird und einen nicht unbedeutenden Teil der Kaufentscheidung ausmacht.

Mathematische Rationalität

Neobanken wie auch Social-Trading-Plattformen wie eToro oder Wikifolio sprechen den Kunden auf einer ganz anderen emotionalen Bedürfnisebene an und positionieren sich an der Schnittstelle zwischen Gamification und Edutainment. Das ist so ganz und gar nicht das Kundenerlebnis einer klassischen Beratung im Swiss Banking, welche trotz einer persönlichen Beratung eher eine distanzierte, mathematische Rationalität gegenüber der Welt der Finanzen kreiert und damit schlussendlich Emotionen unterdrückt.

Dabei wird von den Fintechs und Neobanken dieser Welt nebst der technologischen Ebene vor allem die traditionelle Bank auf der Imageebene und ihren typischen Markenattributen angegriffen. Dies ist vielleicht sogar die stärkere Waffe als die pure technologische Angebotsgestaltung. So ist es eben bemerkenswert, dass eine Grosszahl der Fintechs ihren Markenauftritt genau auf einer Image-Differenzierung gegenüber klassischen Banken aufbauen.

Angriff auf die Preismodelle

Dies muss nicht zwingend heissen, dass traditionelle Banken ihre tradierten Markenattribute wie Sicherheit, Vertrauen und Stabilität aufgeben sollen. Aber es zeigt, dass diese Markenattribute im heutigen Marktumfeld eine ambivalente Rolle in der Positionierung einer Bank einnehmen und auch hemmend für die eigene strategische Weiterentwicklung sein können. Eine Unternehmenskultur, welche auf Sicherheit und Stabilität ruht, wird kaum die digitale Zukunft erobern.

Die eigentliche Achillesverse (und gleichzeitig deren bedeutendste Cash-Cow) traditioneller Banken ist ihr Preismodell. So versuchen Robinhood wie andere Anbieter genau dieses anzugreifen, indem es vermeintlich kostenlosen Handel anbietet. In diesem konkreten Fall wohl schlussendlich mit keinem nachhaltigen Erfolg, da Robinhoods Preismodell so in einem europäischen Kontext aus regulatorischer Perspektive kaum umsetzbar wäre und mehr Interessenskonflikte birgt als löst. Aber andere Anbieter werden sicherlich vermehrt Angriffe auf die bestehenden Preismodelle führen.

Lauter verpasste Chancen

Ein Angriff auf das Preismodell ist auch immer ein Angriff auf die Kostenstruktur eines Anbieters und hier werden die betriebswirtschaftlichen Schwachstellen unbarmherzig offengelegt: die mangelnde Skalierbarkeit traditioneller Bankenmodelle und das inzwischen immer weiter klaffende Missverhältnis zwischen Lohnniveau und Rendite auf dem eingesetzten Kapitel. Die «Financials» des Bankenmodells sind zunehmend angreifbar geworden, nicht zuletzt aufgrund einer erstaunlichen unternehmerischen Passivität der Etablierten gegenüber der Erschliessung neuer Einnahmequellen.

Der Wettbewerb zwischen, sagen wir, der Bank Julius Bär und Robinhood, wird sich nicht darin zeigen, dass die Kunden von Julius Bär in Scharen zu Robin Hood wechseln. Die Wettbewerbsmechanismen wirken indirekter, schleichender und zeigen sich im Margenkampf, in den unterschiedlichen Wachstumszahlen, Unternehmensbewertungen und wohin Risikokapital fliesst. Längst wird an alternativen Finanz-Ökosystemen gearbeitet. Neobanken, Bitcoin, Libra oder Social-Trading Plattformen und Heerscharen von weiteren Fintechts ziehen Investitionskapital in Milliarden und Kunden in Millionen an.

Jammern lenkt ab

Diese Dynamik sucht man bei der Marktkapitalisierung der etablierten Banken vergebens. Das Jammern über negative Zinsen lenkt davon ab, dass aktuell sehr wohl extreme Unternehmenswerte in der Bankenwelt geschaffen werden, aber eben außerhalb der etablierten Banken. Unternehmerisch gesprochen sind das alles verpasste Chancen, die das bestehende Bankmanagement nicht erkannt oder falsch eingeschätzt hat.

Ob Robinhood als Online-Broker eine goldene Zukunft beschieden ist, mag man durchaus anzweifeln. Robinhood bringt aber die Avantgarde einer neuen digitalen Bankkunden-Generation erstmals ins Rampenlicht, welche nicht voreilig belächelt werden sollte. Diese Avantgarde wird mit der Zeit auch konservativere und vermögendere Kunden neugierig machen und deren Verhalten beeinflussen. Diese Geschäftsopportunitäten aber einfach den Neobanken und Newcomern zu überlassen, wäre ein fataler strategischer Fehler.

Gefahr der Kannibalisierung

Auch heute noch sind strategische Diskussionen in der Bankenwelt von der Gefahr der Kannibalisierung des eigenen Geschäftes geprägt. Dies führt automatisch zu einer stärkeren Ausrichtung an den in der Vergangenheit gewonnenen Kunden als an der Chance zukünftiger neu gewonnener Kunden. Eine Sackgasse in der Strategieentwicklung, aus der viele Banken schleunigst herausfinden müssen.


Teodoro D. Cocca ist seit 2006 Professor für Asset und Wealth Management an der Johannes Kepler Universität Linz. Davor war er einige Jahre bei der Citibank sowohl im Investment- als auch im Private Banking tätig, forschte an der Stern School of Business in New York und lehrte am Swiss Banking Institute in Zürich. Zudem ist der Schweizer mit italienischen Wurzeln assoziierter Professor für Private Banking am Swiss Finance Institute (SFI) in Zürich und beratend für Finanzunternehmen und Behörden im In- und Ausland tätig. Von 2011 bis 2020 war er Mitglied des Verwaltungsrats der VP Bank in Vaduz und leitete dort den Strategie- und Digitalisierungsausschuss. Er schreibt als Kolumnist regelmässig für finews.ch.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.36%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.77%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.88%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.34%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.66%
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